Türkisches Kino in Deutschland
1. März 2013
Roter Teppich, kreischende Fans, Blitzlichtgewitter. Kaum sind die Filmfestspiele vorbei, herrscht erneut Glamour und Trubel vor dem Cinemaxx Kino in Berlin. Doch nicht Angelina Jolie oder Brad Pitt werden erwartet, sondern die türkischen Stars Kıvanç Tatlıtuğ, Belçim Bilgin und Mert Fırat. Sie sind die Hauptdarsteller des türkischen Blockbusters "The Butterfly's Dream – Kelebegin Rüyasi" und werden bei der Premiere in der deutschen Hauptstadt von hunderten jubelnden Fans empfangen.
Die junge Hauptdarstellerin Belçim Bilgim ist überwältigt. "Das ist total verrückt. Es fühlt sich an, als wären wir zu Hause", beschreibt sie den tosenden Empfang ihrer türkischen Fans in Deutschland. "Berlin ist unsere gemeinsame Stadt – die Symbiose der deutschen und türkischen Kultur. Beide Seiten sind hier vereint", meint Yilmaz Erdogan, der Regisseur des Films und widmet sich wieder seinen Fans.
Zwei Kulturen an der Kinokasse
Doch betrachtet man die deutsche Kinolandschaft, scheinen die beiden Kulturen an den Kinokassen bislang noch nicht vereint. So laufen türkische Produktionen in Deutschland schon seit mehreren Jahren parallel in den großen deutschen Kinos und werden vom nicht-türkischen Kinogänger meist überhaupt nicht wahrgenommen.
Mit "The Butterfly Dream" wird jetzt erstmals versucht, eine türkische Produktion auch in Deutschland einem breiten Publikum schmackhaft zu machen. Das Historiendrama, das die Geschichte zweier junger Dichter in der Türkei während des Zweiten Weltkriegs erzählt, gehört zu den teuersten Produktionen der türkischen Kinofilmgeschichte. In fast 200 Kinos wird er europaweit starten, außerdem in den USA, im Nahen Osten und in den Balkan-Ländern. Über 1000 Außenplakate wurden erstmals zur Bewerbung eines türkischen Films deutschlandweit angebracht.
Türkisches Parallelkino in Deutschland
Mit einer Community von rund 3 Millionen türkischstämmigen Bürgern hat sich der Standort Deutschland bereits in den letzten zehn Jahren zu einer zusätzlichen Einspielquelle für den türkischen Film entwickelt. Die Filme werden mit wenig finanziellem Aufwand auf Deutsch untertitelt, so dass auch Deutsch-Türken der zweiten und dritten Einwandergeneration alles verstehen können. Auf diese Weise erreichen sie bis zu 300.000 Kinozuschauer, wie der in Köln lebende Regisseur und Filmproduzent Sinan Akkuş berichtet. "Manch ein deutsch-deutscher Film wäre froh, insgesamt so viele Zuschauer zu erreichen. Mein Film 'Evet! Ich will' hatte – was für einen Debütfilm nicht schlecht ist – gerade mal 40.000 Zuschauer."
"Gastarbeiterkino" addressiert deutsches Publikum
"Evet! Ich will" von Sinan Akkuş zählt zur Kategorie des so genannten "deutsch- türkischen Kinos“, ebenso wie der in Deutschland sehr erfolgreiche Film "Almanya" von Yasemin Samdereli oder Filme des Regisseurs Fatih Akin. Es sind Produktionen von deutschen Filmemachern türkischer Herkunft, die meist Integrationsthematiken aufgreifen und die Konflikte oder den "Culture Clash" der Türken in Deutschland beschreiben. Entgegen aller Vermutung finden diese deutsch-türkischen Filme kaum Anklang beim Großteil der türkischen Bevölkerung in Deutschland, erläutert Amin Farzanefar, Experte für Kino des Nahen und Mittleren Ostens. "Es gehen gerade mal 3-4 Prozent türkische Zuschauer in diese Filme. Sie erreichen eher deutsche Zuschauer, die sich für eine multikulturelle Gesellschaft interessieren."
Der Großteil dieser Produktionen beschreibt die Probleme der türkischen Bevölkerung in Deutschland, und darauf haben die meisten Türken laut Sinan Akkuş keine Lust. Dadurch, dass sich Viele über türkische Medien informieren, interessierten sie sich auch eher für die Filme, in denen ihre Stars mitspielen und die in türkischer Sprache laufen, was bei deutsch-türkischen Filmen meist nicht der Fall ist. "Sie wollen Unterhaltung aus ihrem Heimatland", betont Farzanefar. Das hänge unter anderem mit dem Bedürfnis zusammen, in der Diaspora von den aktuellen Trends und dem Geschehen im Heimatland nicht abgekoppelt zu sein. Beobachten lässt sich das auch an den zeitnahen Filmpremieren in der Türkei und in Deutschland.
Andere Sprache – andere Dramaturgie
Laut Amin Farzanefar sind die meisten türkischen Produktionen darüber hinaus in ihrer Erzählweise und Dramaturgie auf das türkische Zielpublikum zugeschnitten. Sie seien nicht zuletzt auch aus diesem Grund bisher nicht darauf angelegt, das deutsche Kinopublikum mit anzusprechen. "In fast allen Filmen geht es darum, den Ausgleich zu finden zwischen ländlichen Traditionen und dem Überleben in der Großstadt." Damit können sich die Meisten identifizieren. Familienwerte, generationsübergreifender Herzschmerz sowie die Krankheit oder der Tod eines Protagonisten sind fast immer ein Muss, wie Amin Farzanefar analysiert.
"'The Butterfly's Dream' bedient die Traurigkeit, das Emotionale und den Herzschmerz der Türken sehr gut“, meint Sinan Akkuş. Er unterscheidet sich jedoch von den meisten anderen türkischen Filmen durch seine hochwertige Machart. So kommt hier echte Hollywood-Ästhetik zum Tragen.
Öffnung des türkischen Kinos
Ebenso ist die Erzählweise, die Art der Produktion und der Cast des Films sehr europäisch angelegt. "Das bringt den türkischen Film zum ersten Mal ein bisschen näher nach Europa“, betont der interkulturelle Medienberater Akin Duyar im Gespräch mit der Deutschen Welle.
So bleibt "The Butterfly's Dream" zwar eine türkische Geschichte, aber im internationalen Look. Vielleicht stehen damit die Chancen für den Film nicht schlecht, ein gemischtes deutsches, türkisches und deutsch-türkisches Publikum anzulocken. Denn es geht vor allem um Liebe und um Dichtkunst, und das sind universelle Themen – in Deutschland, in der Türkei und auf der ganzen Welt.