"Gastarbeiter" oder "Almanci": Deutschtürken zwischen zwei Welten
1. Dezember 2011Die 36-jährige Kölnerin Hülya Bozkurt arbeitet als Fachverkäuferin in einer großen Bäckerei und versucht, jedes Jahr in die Türkei zu fliegen. "Früher war es schöner. Damals war der Empfang freudiger, denn wenn wir in den Ferien dort eintrafen, waren unsere Mitbringsel immer der Hit. Die Schokolade aus Deutschland. Die ganzen Geschenke", erinnert sich die junge Frau. Ihre Verwandten hätten sich darüber gefreut und es kaum abwarten können, sie das Jahr darauf wieder willkommen zu heißen. Es seien nicht nur die Geschenke gewesen, weswegen die Türken aus Deutschland in der Heimat herzlich empfangen worden seien, sagt Bozkurt. "In deren Augen hatten wir immer die starke Deutsche Mark in der Tasche. Daher wurde uns alles doppelt so teuer angedreht." Das habe man aber gerne in Kauf genommen, denn das, was man in Deutschland verdient habe, sei in der Türkei viel mehr wert gewesen.
"Deswegen waren wir eigentlich ganz entspannt. Und in der Türkei hatte man den Eindruck, dass wir viel Geld verdienen." Heute sieht es anders aus. Die Türkei hat sich wirtschaftlich sehr entwickelt. Und die Geschenke aus "Almanya" sind nicht mehr so außergewöhnlich.
"Nur im Flieger zu Hause"
Im Laufe der Jahre bekamen die türkischen Gastarbeiter des Öfteren auch eher abfällige Bezeichnungen zu hören. Man nennt sie "Almanci – Deutschländer" oder "Die Verlorenen".
Diese Bezeichnungen drückten eine Mischung aus Mitleid und Sympathie, aber auch Missachtung aus. Denn die ausgewanderten Türken galten als unintegriert, ungebildet und sprachen immer mehr eine "Mischmasch-Sprache" aus Deutsch und Türkisch, die man in der Türkei nicht ganz verstehen konnte. Funda Eren ist seit Anfang der 1980-er Jahre in Deutschland. Die 48-jährige Projektleiterin im Bildungsbereich wehrt sich gegen solch ein Schubladendenken. Vor etwa 20 Jahren hat man sie zum ersten Mal in der Familie in der Türkei plötzlich "die Deutschländerin" genannt. "Ich habe mich sehr aufgeregt und es ihnen verboten, mich jemals wieder so zu nennen", erzählt sie. Denn dann werde man nicht nur in Deutschland als Ausländer behandelt, sondern auch in der Heimat. "Wir sind genau in der Mitte. Wahrscheinlich dürfen wir uns nur auf dem Flug zwischen den beiden Ländern zu Hause fühlen. Mich haben sie dann nie wieder „die Deutschländerin" genannt."
Keine Aufmerksamkeit für "Almanci"
"Deutschländer" genannt zu werden, hat den 61-jährigen Muzaffer Kaplan nie gestört. Aber auch er stellt einen Wandel in der Wahrnehmung der Deutschtürken in der Heimat fest. Der Teppicharbeiter aus der Schwarzmeerregion, der seit 30 Jahren in Deutschland arbeitet und kurz vor der Rente steht, erinnert sich: "Egal wo wir hingingen - ins Café, in die Läden – man sagte 'Ach, der Deutschländer ist da' und begegnete uns mit größerer Aufmerksamkeit." Nun sei davon nichts mehr übrig. Die "Deutschländer" seien den Menschen in der Türkei egal geworden, denn die Daheimgebliebenen seien in einer besseren Position. "Sie haben nicht die Probleme, die wir hier haben. Wenigstens sind sie in der Heimat und nicht in der Ferne wie wir."
Doch nicht das gelobte Land
In der Türkei wird der Wohlstand sichtbarer. Der gebürtigen Kölnerin Tugba Acar fällt immer mehr auf, dass zum Beispiel die Kleidung der Menschen in der Türkei kaum noch von der in Deutschland zu unterscheiden ist. Oder die Autos. Viele Menschen in der Türkei hätten allerdings noch immer ein falsches Bild vom Leben in Deutschland, sagt die Schmuckverkäuferin. Man glaube in der Türkei, dass die Türken in Deutschland ein sorgloses Leben führten: "Sie denken, dass uns alles einfach in den Schoß fällt, dass wir kaum zu arbeiten brauchen", erklärt Acar. Viele, die später zugewandert sind, bereuen diese Entscheidung inzwischen. "Denn in Deutschland wird immer gearbeitet und gespart." Wenn man in die Heimat fahre, habe man immer das Ersparte dabei, das man dort ausgebe. "Da wundern sich die Menschen natürlich und fragen sich, woher das ganze Geld kommt. Na, das haben wir gespart! Und wenn wir wieder zurück sind, kämpfen wir wieder um das tägliche Brot."
"Das ist kein Leben"
Dass die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in der Türkei die Wahrnehmung über die Deutschtürken beeinflusst hat, bekommt auch der Kölner Elektroverkäufer Hamdi Lal zu spüren. Er war sieben Jahre alt, als er mit seiner Familie aus der Türkei ausgewandert ist und lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Er fühlt sich manchmal nahezu diskriminiert - und zwar in der Türkei: "Früher haben wir Devisen in der Tasche gehabt und im Heimaturlaub reichlich Geld gelassen. Aber jetzt heißt es dort: 'In Deutschland gibt es kein Geld mehr, und ihr lebt sowieso unter abscheulichen Umständen. Das ist kein Leben’." Man werde oft gefragt, wieviel man verdiene. Dann werde man verhöhnt, dass das kein ernstzunehmender Betrag sei.
Nicht eingehaltene Versprechen
Vom türkischen Staat fühlen sich die Deutschtürken seit langem stiefmütterlich behandelt. Der Staat könne sehr fordernd sein, wenn es ums Geld gehe, aber sehr langsam, wenn er Dienste leisten solle, glauben viele. Auch das relativ junge Ministerium für Auslandstürken wird misstrauisch beäugt. Einer der größten Wünsche vieler hierzulande lebender türkischer Staatsbürger ist es, bei Wahlen in der Türkei von Deutschland aus die Stimme abzugeben. Das wird den Deutschtürken seit Jahren versprochen. Bislang passierte allerdings nichts. Und das regt den Antiquitätenhändler Birol Sahin, der seit 33 Jahren hier lebt, sehr auf: "Wir sollen unsere Pässe erneuern. Das kostet. Neue Ausweise? Das kostet auch. Neues Wehrdienstgesetz? Sich von der Wehrpflicht zu befreien, kostet nun auch mehr." Doch diese Veränderungen seien schnell durchgewunken worden, beklagt Sahin und stellt die Frage, die sich viele Deutschtürken stellen: "Warum warten wir dann seit Jahren, dass wir von hier aus unsere Stimmen abgeben können?"