Türkei: Taktieren zwischen den Supermächten
23. April 2021Die jüngste Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine wird auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres besonders aufmerksam beobachtet: Sowohl mit Kiew als auch mit Moskau unterhält die türkische Regierung enge Beziehungen. Doch der Spagat gestaltet sich zunehmend schwierig.
Zum Ärger der russischen Regierung empfing Präsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Istanbul und positionierte sich anschließend klar gegen den Kreml. "Wir verteidigen die territoriale Integrität der Ukraine und ihre Souveränität", betonte Erdogan nach dem Treffen. Die beiden Staatschefs kündigten zudem an, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen ihren Ländern zu vertiefen.
Die Ukraine ist ein wichtiger Partner, mit dem Ankara lukrative Geschäfte macht - auch Rüstungsgeschäfte: Im vergangenen Jahr unterzeichneten die beiden Länder ein Abkommen über die Lieferung von sechs türkischen Kampf- und Aufklärungsdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 samt drei Bodenkontrollstationen.
Seit ungefähr fünf Jahren treibt die Türkei ihr Drohnenprogramm voran. Die unbemannten Fluggeräte wurden von den türkischen Streitkräften in zahlreichen Konflikten eingesetzt und erwiesen sich als hoch effizient. Weil die Ukraine sich seit 2014 in einem bewaffneten Konflikt mit dem großen Nachbarn Russland befindet, weckten die Drohnen aus türkischer Produktion Begehrlichkeiten in Kiew.
"Das stört Russland gewaltig"
Es sei ein legitim, wenn die Türkei die Ukraine beim Kampf gegen Separatismus unterstütze, findet Mitat Celikpala von der Istanbuler Kadir-Has-Universität. "Doch das stört Russland gewaltig", so der Experte für Internationale Beziehungen.
Celikpala hält diese Politik daher für riskant: "Die Türkei hat im Jahr 2015 erfahren, wie schmerzhaft Sanktionen von Russland sein können." Als eine türkische Luftabwehrrakete im November 2015 ein russisches Kampfflugzeugs im türkisch-syrischen Grenzgebiet abschoss, verhängte die russische Regierung Strafzölle gegen die Türkei und Beschränkungen für russische Urlauber.
Nicht nur in der Ostukraine, auch im libyschen Bürgerkrieg, im Konflikt in der nordwestsyrischen Region Idlib und im aserbaidschanisch-armenischen Konflikt in der Region Berg-Karabach verfolgen Ankara und Moskau gegensätzliche Ziele.
USA und Türkei: Eine schwierige Beziehung
Auch mit der anderen Supermacht - den USA - traten in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Interessenkonflikte auf. Besonders im Mai 2019 stellte die türkische Regierung die Beziehungen zu Washington auf die Probe: Das NATO-Mitglied Türkei entschied sich, den Luftraum mit dem russischen Raketenabwehrsystem S-400 zu schützen. Die Androhung von Sanktionen und sogar ein Ultimatum beeindruckten den türkischen Präsidenten wenig - die Türkei kaufte das russische Waffensystem. Das war nicht nur für Washington ein Affront, sondern für die gesamte NATO - schließlich gilt Russland als geostrategischer Gegner des transatlantischen Bündnisses.
Der damalige US-Präsident Donald Trump ließ die Türkei ungestraft gewähren - Sanktionen hat Washington bisher nicht verhängt. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich diese Nachsicht gegenüber Ankara unter Trumps Nachfolger ändern wird, denn Joe Biden ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten, den er als Autokraten bezeichnet.
Für welche Seite entscheidet sich Ankara?
Doch der Ukraine-Konflikt könnte für beide Länder eine Chance bieten, wieder an einem Strang zu ziehen. Genau wie Erdogan versprach auch US-Präsident Biden "das unerschütterliche Engagement der Vereinigten Staaten für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine".
"Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland werden sich zukünftig verstärken. Und dann möchte der Westen die Türkei auf seiner Seite haben", lautet die Prognose Celikpalas. Zunächst müsste sich Ankara jedoch aus der amerikanisch-russischen Zwickmühle befreien und womöglich Sanktionen aus Moskau hinnehmen.