EU bleibt zurückhaltend gegenüber Russland
19. April 2021Zwar verhängten die EU-Außenminister weitere Sanktionen gegen die Militärjunta in Myanmar, diesmal gegen zwei ihrer Konzerne, die Myanmar Economic Corporation (MEC) and Myanmar Economic Holdings Ltd (MEHL). Aber im Kern ihres Treffens stand das mehr als angespannte Verhältnis zu Russland. Und gegenüber Präsident Wladimir Putin belassen es die Europäer bei Appellen.
Gigantischer Militäraufmarsch
"Es ist die größte Stationierung russischer Truppen (an der Grenze zur Ukraine - Red.) überhaupt", erklärte EU-Chefdiplomat Josep Borrell nach den Gesprächen mit seinen Kollegen und nannte die Zahl von 150.000 Soldaten. Die Quelle dieser Information wollte er nicht nennen. Auch sei die Verlegung vom Militär bis zuletzt fortgesetzt worden, inzwischen gebe es Feldhospitäler und immer mehr Ausrüstung. Die von Borrell genannte Zahl wurde später jedoch nach unten korrigiert. Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, die Angabe von "mehr als 150.000" sei ein Fehler gewesen, man solle von "mehr als 100.000" russischen Soldaten sprechen.
"Das Risiko für eine weitere Eskalation liegt auf der Hand", hatte Borrell zuvor betont. Aber entgegen den dringenden Wünschen des ukrainischen Außenministers, mit dem sich die EU am Montag erneut beriet, stand am Ende keinerlei Aktion. Dmytro Kuleba hatte weitere Sanktionen gegen Moskau gefordert, er konnte am Ende aber nur Komplimente der Europäer mit nach Hause nehmen - für "die zurückhaltende Antwort der Ukraine" auf die Provokationen Russlands.
Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas sprach davon, man solle eine Eskalationsspirale durch unbeabsichtigte Ereignisse vermeiden und rief nach "vertrauensbildenden und deeskalierenden Maßnahmen". Die beteiligten Länder würden sich im sogenannten Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine) weiter darum bemühen, das Minsker Abkommen endlich umzusetzen.
Angesichts des massiven Truppenaufmarschs in der Region ist nicht klar, wie viel europäische Uneinigkeit sich hinter diesen diplomatischen Formeln verbirgt. Maas betonte, dass "die EU bei Sanktionen derzeit niemandem hinterher hinkt". Ein Hinweis auf die seit Jahren wegen der illegalen Annexion der Krim bestehenden EU-Sanktionen und die im März verhängten Listungen von vier Personen aus dem Sicherheitsapparat wegen des Nowitschok-Anschlags gegen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny.
Jedem sei klar, so der deutsche Außenminister, "dass die Dinge (der Truppenaufmarsch) so für uns nicht akzeptabel sind und Konsequenzen haben werden". Wie die aber aussehen, darüber scheint man in Brüssel noch nachzudenken. Am Wochenende war der französische Präsident im Interview mit dem US-Sender CBS deutlicher geworden: Wenngleich der Dialog mit Moskau wichtig sei, so müsse man dennoch "klare rote Linien ziehen", um dem Kreml Grenzen zu setzen. "Nur so kann man glaubwürdig sein. Ich glaube, dass Sanktionen allein nicht genügen, aber sie sind Teil des Pakets."
Lasst Nawalny frei!
Chefdiplomat Borrell, seine Kollegen Außenminister und die EU-Kommissionspräsidentin appellierten noch einmal an Moskau, Regimekritiker Alexej Nawalny angesichts seines schlechten Gesundheitszustands aus der Haft zu entlassen. Er habe einen Brief von Nawalnys Team erhalten, so Borrell, wonach sich dessen Situation verschlechtere.
Borell begrüßte zwar die jüngste Mitteilung aus Moskau, dass Nawalny in ein anderes Gefängniskrankenhaus verlegt worden sei, aber er müsse auch Zugang zu Ärzten seines Vertrauens bekommen. "Russland ist für Nawalnys Sicherheit und Gesundheit zuständig, wir werden sie (die Regierung) dafür verantwortlich machen", erklärte der EU-Chefdiplomat. Aber auch diese Drohung blieb im Ungefähren - vermutlich möchte man sich hinter den USA einreihen. Die Regierung in Washington hatte mit Konsequenzen gedroht, falls der Oppositionspolitiker in der Haft versterben würde.
Tschechiens diplomatischer Krieg mit Moskau
Die jüngsten Ereignisse in Tschechien bringen das Land jetzt in klaren Kollisionskurs mit Moskau und beenden das Liebäugeln in Prag mit einem besonderen Verhältnis zwischen beiden Ländern. Der tschechische Geheimdienst konnte jetzt eine seit 2014 ungeklärte Bombenexplosion in einem Waffenlager mit zwei Toten russischen Kollegen zuordnen.
Zwei daran beteiligte Männer benutzten übrigens die gleichen Pässe wie die Verdächtigen bei dem Nowitschok-Anschlag 2018 im britischen Salisbury gegen den früheren russischen Agenten Sergej Skripal. Alle Indizien weisen auf den russischen Auslandsgeheimdienst FSB hin. Das explodierte Lager gehörte einem bulgarischen Waffenhändler, der die Ukraine belieferte für ihren Kampf gegen pro-russische Separatisten im Donbas.
Die Regierung in Prag ist erzürnt darüber, dass dieser Sabotageakt auf ihrem Territorium stattfand. Im tschechischen Parlament wurde vom schwersten Anschlag gegen die Souveränität seit 1968 gesprochen. Außenminister Jan Hamacek informierte seine EU-Kollegen über die Einzelheiten. Die Affäre mündete bislang in eine Zug-um-Zug Ausweisung von Diplomaten der Gegenseite jeweils aus Prag und Moskau.
In Brüssel gab es für die Tschechen Solidaritätsbekundungen. Und der Vorfall gilt als Weckruf für alle EU-Regierungen, dass sie dem Treiben russischer Diplomaten und Agenten noch mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. "Die weitere Diskussion ist noch im Fluss", sagte Außenminister Heiko Maas dazu. Tschechien will derweil handfest reagieren und Russland vom Bieterwettbewerb um ein neues Atomkraftwerk ausschließen. Außerdem sagte Prag den Ankauf des Sputnik-Impfstoffs ab. Die tschechische Regierung verstärkt jetzt die Reihen der Moskau-Kritiker in der Europäischen Union und bringt eine Stimme für weitere Strafmaßnahmen mit an den Tisch.