Neue Wege für die Mobilität auf dem Land
12. Februar 2022"Bei uns ist fast niemand ohne Auto. Zwei, drei, vier Autos pro Familie sind eigentlich normal," sagt Britta Seifert. Sie wohnt tief in der Eifel, im beschaulichen Krälingen, das weniger als 400 Einwohner hat. In Bezug auf Autos ist ihr Dorf keine Ausnahme.
Wer in Deutschland auf dem Land wohnt, fährt Auto. Züge und Busse fahren in vielen Regionen eher selten und auch nicht in jedes Dorf. So ist es nicht verwunderlich, dass 90 Prozent der Haushalte auf dem Land einen oder mehrere PKW haben. Anders sieht es in größeren Städten aus. Hier kommt fast die Hälfte der Haushalte ohne eigenes Auto aus.
Für die Fahrt in den nächstgrößeren Ort Rheinbach braucht Britta Seifert gut 20 Minuten - zumindest mit dem Auto. Mit dem Bus wäre sie doppelt so lange unterwegs. Und dann fährt der Bus auch nur einmal die Stunde. "Deswegen ist der öffentliche Verkehr hier so unattraktiv," sagt sie, "weil ich für eine Besorgung, für die ich mit dem Auto gut eine Stunde unterwegs bin, drei Stunden brauche, wenn ich den Bus nutze."
Autoprivilegien müssen durchbrochen werden
Um das Klima zu schützen, soll es auch auf dem Land eine Verkehrswende geben - das hat die neue Bundesregierung verkündet. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Auch abseits der Städte soll allen Bürgern eine vernetzte, alltagstaugliche, bezahlbare und klimafreundliche Mobilität ermöglicht werden." Bewegung hat es aber noch nicht viel gegeben, meint Andreas Knie. Er leitet die Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
"Wir haben in Deutschland immer noch eine unglaubliche Auto-Förderpolitik," beklagt er. "Die neue Bundesregierung hat sich entschlossen, alle Privilegien des Autos, beispielsweise das Dienstwagen-Privileg, die Diesel-Subventionierung, die Pendlerpauschale, das freie Parken und einen Verzicht auf ein Tempolimit nicht anzugreifen." Ohne diese Vorteile wäre Autofahren nicht mehr so attraktiv, so Knie.
Außerdem würde der eigene Pkw unattraktiver werden, wenn die Fahrerinnen und Fahrer für die tatsächlichen Kosten des Autofahrens aufkommen müssten, wenn also beispielsweise auch Umwelt- und Klimaschäden oder Flächenverbrauch mit berechnet würden. Knie rechnet vor: "Der Autoverkehr kostet uns etwa 110 Milliarden jedes Jahr und an Steuern kommen etwa 60 Milliarden rein. Das sind 50 Milliarden, die wir als Gemeinschaft dazu geben. Der Öffentliche Nahverkehr kostet rund 40 Milliarden und es kommen so etwa 15 Milliarden rein. Das sind also nur 25 Milliarden, die wir dazutun."
Die letzte Meile anders organisieren
Es ist aber nicht damit getan, die Lust auf das Auto zu schmälern. Es muss auch noch der Teufelskreis des öffentlichen Verkehrs durchbrochen werden. Denn im Augenblick hat der öffentliche Verkehr durch die Corona-Pandemie wenig Nutzer und daher ein reduziertes Angebot, was wiederum zu noch weniger Nutzern führt.
Das könnte sich ändern, wenn vor allem die Hauptstrecken zwischen größeren Orten und Städten durch Busse und Bahnen verbunden würden, die regelmäßig fahren. An Verkehrsknotenpunkten, sogenannten Hubs, könnten die Menschen aus weiter entfernten Gegenden zusteigen. "Man muss die berühmte letzte Meile neu organisieren, sodass wir alle Menschen mithilfe eines Smartphones in die Lage versetzen, zu diesem Hub zu kommen, ohne dass sie ein eigenes Auto brauchen", schlägt Knie vor.
Der Weg zu einem solchen Hub kann auf alle mögliche Weise organisiert werden. Wer mit dem eigenen Auto fährt, könnte andere mitnehmen. Subventionierte Ruftaxis könnten bei Bedarf angefordert werden. Dorfgemeinschaften könnten Bürgerbusse einsetzen, die von ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrern gefahrenen werden oder sie könnten E-Autos anschaffen, die gemeinsam genutzt werden. Auch Mitfahrbänke sind eine Option. Wer sich hier hinsetzt, gibt Vorbeifahrenden das Signal, dass er oder sie mitgenommen werden möchte.
Zu Fuß gehen und Fahrradfahren schont das Klima
Nicht zuletzt kann die letzte Meile auch per Fahrrad bewältigt werden. Dafür braucht es aber ein sicheres Radwegesystem, dass es bislang auf dem Land kaum gibt, so Mobilitätsforscher Knie: "Jede Straße muss einen sicheren und ausgewiesenen, breiten Radstreifen haben. Dafür müssen wir nicht noch mal zusätzlich Fläche versiegeln und neue Wege anlegen, sondern wir müssen schlichtweg den Raum neu aufteilen.". In den Niederlanden, Dänemark und skandinavischen Ländern funktioniere das bereits.
Wobei auffalle, dass das alles Länder ohne eigene Autoindustrie seien, sagt Andreas Knie. Bei uns würde dagegen jede Beschneidung des Autoverkehrs als Angriff auf die Autoindustrie und damit auf Arbeitsplätze gewertet. Dabei hat der Rad- und Fußverkehr viel Potential. Fast die Hälfte der auf dem Land zurückgelegten Wege sind nur ein bis vier Kilometer lang und könnten daher gut mit dem Rad oder zu Fuß erledigt werden.
Flut hat Verkehrswende ausgebremst
Auch in Krälingen sind Radwege Mangelware. Die heute 17-jährige Tochter von Britta Seifert ist trotzdem eine Zeit lang mit dem Rad zur Schule gefahren - auf Landstraßen. "Sie hat sich oft beschwert, weil sie von Autos gefährlich nah überholt wurde", erzählt Seifert. Inzwischen ist ihre Tochter auf ein Mikro-Car umgestiegen, das sie schon als Minderjährige fahren darf. Damit besitzt auch der Haushalt Seifert mit drei Personen drei Autos.
Aber, sagt Britta Seifert, die sich ehrenamtlich als Ratsmitglied in ihrer Verbandsgemeinde Altenahr engagiert, das Thema Umstellung des Verkehrs ist auch in der Region um Krälingen ein Thema und es gibt bereits erste Projekte. So wurden einige Mitfahrbänke aufgestellt und Senioren- und Schülertaxis eingerichtet, die öffentlich bezuschusst werden. Allerdings sei die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Sommer eine große Bremse für neue Projekte, so Seifert, "weil jetzt erst wieder Straßen neu aufgebaut werden müssen. Aber das Thema ist noch nicht zu Ende. Ich denke, da wird in Zukunft noch was kommen."