Tschechien: Ersatz für russische Brennelemente
28. Februar 2023Noch vor einem Jahr, zu Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine, war die Tschechische Republik bei ihren Gasimporten zu 97 Prozent von Russland abhängig. Im Januar 2023 dagegen hat sie keinen einzigen Kubikmeter Gas aus Russland mehr importiert. "Die russischen Lieferungen über Deutschland wurden durch Gas aus Norwegen und Flüssigerdgas aus Belgien und den Niederlanden ersetzt", sagte Industrie- und Handelsminister Jozef Sikela vor kurzem stolz gegenüber Reportern, und auf seinem Twitteraccount schrieb er: "Auch ohne Gasimporte bewältigen wir den Winter so gut wie noch nie."
Doch in Wirklichkeit konnte die Tschechische Republik den Winter nur dank russischem Kernbrennstoff überstehen, mit dem die beiden Atomkraftwerke Temelin und Dukovany versorgt werden. Temelin ist mit einer Kapazität von 2400 MW der größte Stromerzeuger in der Tschechischen Republik, während Dukovany mit vier älteren Blöcken ebenfalls über eine Kapazität von fast 2000 MW verfügt. Zusammen erzeugen die beiden Kraftwerke fast 40 Prozent des Stroms in der Tschechischen Republik. Dank des reibungslosen Betriebs der Kernkraftwerke ist das Land einer der größten Stromexporteure Europas. Der größte Teil der Exporte geht nach Deutschland und Österreich.
Von Rosatom zu Westinghouse
Die beiden Kernkraftwerke werden von dem Energieunternehmen CEZ betrieben. Mehrheitseigentümer ist der tschechische Staat. Seit Ausbruch des Kriegs landeten zweimal russische Transportflugzeuge in Tschechien, um neue Brennelemente zu liefern. Doch die Regierung in Prag bemüht sich, die Abhängigkeit von den russischen Lieferungen zu verringern. Nicht, weil die russische Firma Rosatom unzuverlässig liefern würde. Die Brennelemente sind auch nicht von den Sanktionen betroffen. Die Entscheidung hat politische Gründe.
"Ab 2024 wird der Brennstoff für das Kernkraftwerk Temelin von dem US-amerikanischen Unternehmen Westinghouse und dem französischen Unternehmen Framatome geliefert werden", verkündete Premierminister Petr Fiala im April 2022 auf seiner Facebook-Seite. "Dies wird die Lieferung aus Russland ersetzen und unsere Abhängigkeit von diesem Land, das ein Sicherheitsrisiko für die Tschechische Republik darstellt, verringern."
"Die Lieferungen werden ab 2024 erfolgen und etwa fünfzehn Jahre lang laufen", sagt CEZ-Sprecher Ladislav Kriz der DW. "Der Wert des Vertrags liegt in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen Euro." Der Wechsel des Lieferanten von russischen zu westlichen Unternehmen werde die Stromerzeugung nicht teurer machen. "Die Kosten sind ähnlich", so Kriz. Und der Brennstoff mache nur einen sehr kleinen Teil der Produktionskosten eines Kernkraftwerks aus, denn anders als bei Gaskraftwerken sei ein Kernkraftwerk zwar teuer im Bau, aber billig im Betrieb.
Brennstäbe für ältere Kraftwerke
Temelin wurde nach dem Zusammenbruch der UdSSR fertiggestellt, ist zudem mit westlicher Technologie ausgestattet und hat bereits in der Vergangenheit amerikanischen Kernbrennstoff verwendet. Daher ist der Wechsel des Lieferanten nicht so problematisch. Ganz anders sieht es beim Kraftwerk Dukovany aus, das ältere Reaktoren sowjetischer Bauart hat. "Auch in Dukovany rechnen wir mit einem Wechsel des Brennstofflieferanten", sagt Ladislav Kriz. "Wir verhandeln aktiv in dieser Richtung - es ist nur komplizierter als bei Temelin, weil außer Russland noch niemand Brennstoff für diesen Reaktortyp kommerziell anbietet."
Im Dezember 2023 vereinbarten die spanische Firma Enusa und die amerikanische Westinghouse Electric Company, auch Brennelemente für die älteren Reaktoren vom Typ WWER-440 herzustellen und sie an die Länder zu liefern, die solche Kraftwerke betreiben, darunter die Tschechische Republik, die Slowakei, Bulgarien und die Ukraine. Bereits im kommenden Jahr könnten die Unternehmen den ersten Brennstoff an osteuropäische Kunden liefern.
Die Ukraine hat die EU wiederholt aufgefordert, die Einfuhr von Kernbrennstoffen in die EU-Sanktionen gegen Russland einzubeziehen. Wenn ein Ersatz für russischen Kernbrennstoff möglich ist, sogar für WWER-440-Reaktoren, wird es wahrscheinlich möglich sein, das Embargo in der EU durchzusetzen.
Große Pläne für kleine Reaktoren
Ein Ausstieg aus der Kernenergie kommt für die Tschechische Republik nicht in Frage. Im Gegenteil: Die Regierung in Prag hat große Pläne im Bereich der Kernenergie. Sie hat eine Ausschreibung für den Bau von zwei weiteren Reaktoren mit einer Gesamtkapazität von 2400 MW in Dukovany gestartet, die 2036 in Betrieb gehen sollen. Und sie will den Betrieb des Kernkraftwerks Temelin bis 2050 verlängern. Die Regierung von Petr Fiala erwägt außerdem den Bau von zwei weiteren Blöcken mit einer Gesamtleistung von 2400 MW in Temelin.
Darüber hinaus setzt Prag auch auf kleine modulare Reaktoren, die von Forschungsinstituten in der Tschechischen Republik entwickelt werden. "Der erste modulare Reaktor dieser Art soll im Jahr 2032 im Kernkraftwerk Temelin in Betrieb genommen werden", sagte Silvana Jirotkova, Leiterin der Entwicklungsabteilung für kleine modulare Reaktoren bei CEZ, dem Tschechischen Rundfunk. CEZ möchte diese modularen Reaktoren nach und nach in seine derzeitigen Kohlekraftwerke oder in riesige Heizkraftwerke wie Melnik einbauen, das einen großen Teil der tschechischen Hauptstadt Prag mit Wärme versorgt.
Ideal für die Wärmeerzeugung
Laut Professor Radek Skoda, der das "Teplator" (Wärmeerzeuger) genannte Gerät an der Tschechischen Technischen Universität in Prag entwickelt, sind kleine modulare Reaktoren ideal für die Wärmeerzeugung.
"Wir sind von der positiven Reaktion überrascht. Das liegt auch daran, dass die Akzeptanz der Kernenergie in der Tschechischen Republik recht hoch ist", sagte Skoda der DW im vergangenen Jahr über die Möglichkeit, den ersten Prototypen in einem der großen Heizkraftwerke in Betrieb zu nehmen.
Tatsächlich ist die Unterstützung für die Kernenergie in Tschechien seit Jahrzehnten sehr groß. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist sie noch weiter gestiegen. Laut einer Umfrage sprachen sich im November vergangenen Jahres 72 Prozent der tschechischen Bevölkerung für die Entwicklung der Kernenergie aus, vier Prozent mehr als ein halbes Jahr zuvor.