Tschechien erinnert an seine im Holocaust ermordeten Roma
30. April 2024Dreißig Jahre nach dem Fall des Kommunismus gibt es in der Tschechischen Republik endlich eine Gedenkstätte für die im Holocaust ermordeten Roma. Sie wurde auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Lety in Südböhmen eröffnet, in dem hauptsächlich Roma interniert waren. Staatspräsident Petr Pavel, Ministerpräsident Petr Fiala und ein Großteil der tschechischen Regierung waren zu der feierlichen Einweihung am 23.04.2024 gekommen.
"Auch heute noch ist es notwendig, an das zu erinnern, was hier geschehen ist. Es ist eine Warnung, wie weit Menschen gehen können", sagte Präsident Pavel. Die Öffentlichkeit wird die Gedenkstätte zum ersten Mal am 12. Mai besichtigen können. Ein Gedenkpfad wird die Besucher durch das gesamte ehemalige KZ-Gelände führen, das auch Nachbildungen der Lagerbaracken umfasst.
KZ, Schweinefarm, Gedenkstätte
Mit der Einweihung der Gedenkstätte geht das lange Ringen um die Erinnerung an die Ermordung der tschechischen Roma durch die Nazis und ihre Helfer zu Ende. Jahrzehntelang war in dem ehemaligen Lager eine Schweinefarm untergebracht.
Die Bemühungen um ihre Beseitigung und den Bau einer Gedenkstätte für die Roma wurden in den 1990er Jahren vom damaligen Präsidenten Vaclav Havel vorangetrieben. Doch erst im Jahr 2017 beschloss die Regierung, einem privaten Unternehmer die Schweinefarm für umgerechnet knapp 20 Millionen Euro abzukaufen. Vor zwei Jahren wurde mit dem Abriss der Mästerei begonnen.
Die Gedenkstätte, an deren Bau sich auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt hat, ist Teil des Roma-Museums in Brno, das früher Brünn hieß.
Ein Lager unter tschechischer Aufsicht
Die Entscheidung, in Lety ein Arbeitslager einzurichten, war Anfang März 1939 gefallen, kurz vor der Besetzung der tschechischen Länder durch Nazi-Deutschland. Nach der heute überwiegenden Meinung tschechischer Historiker war das Lager vor allem für Roma bestimmt. Aber auch andere nicht-sesshafte Personen wurden hier inhaftiert und zur Zwangsarbeit herangezogen.
Nach der Besetzung durch die Nationalsozialisten wurde das Lager in Lety in ein klassisches Konzentrationslager für Roma umgewandelt. 1942 bis 1943 durchliefen 1294 Menschen das Lager, von denen mindestens 335 während ihres Aufenthalts dort ums Leben kamen. Ein weiteres ähnliches Lager befand sich in Kunstat bei Hodonin.
Als das Hitler-Regime 1943 beschloss, die Roma in den von den Nazis kontrollierten Gebieten zu vernichten, wurden die Menschen aus dem Lager in Lety in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht, wo sie ermordet wurden. Das Lager wurde im Jahr 1943 aufgelöst.
Die Bewacher des Lagers in Lety waren Tschechen, und das Lager unterstand bis zu seiner Auflösung der Regierung des Protektorats Böhmen und Mähren. Die meisten Todesfälle im Lager waren auf die sehr schlechten hygienischen Bedingungen in der Einrichtung zurückzuführen. Nach dem Krieg wurde gegen die Lagerleitung ein Prozess geführt, aber niemand wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Gedenkstätte Lety - ein Traum geht in Erfüllung
"Die Eröffnung des Holocaust-Mahnmals für die Roma und Sinti in Lety ist ein wahr gewordener Traum der Roma", sagt Lucie Fukova, die Roma-Beauftragte der tschechischen Regierung zur DW. Noch vor wenigen Jahren habe an diesem Ort Gestank geherrscht - und ein Gefühl unglaublicher Ungerechtigkeit angesichts der Existenz der Schweinefarm. "Wir erleben jetzt einen außergewöhnlichen Moment von globaler Bedeutung - nicht nur für die Nachkommen der Überlebenden und alle Roma, sondern für die gesamte Gesellschaft", so Fukova. Die Eröffnung der Gedenkstätte sei das Ergebnis jahrelanger Bemühungen und Arbeit, vor allem von Nachfahren der Überlebenden und Menschenrechtsaktivisten. "Unser Staat musste sich auch mit seiner langjährigen Schuld auseinandersetzen, historisch, politisch und menschlich", fügt sie hinzu.
Premierminister Fiala zeigte sich erleichtert über die Einrichtung der Gedenkstätte. "Endlich können wir den Roma-Opfern der monströsen, unfassbaren Ideologie, die Europa in den 1930er und 1940er Jahren im Griff hatte, in Würde gedenken", sagte er vor Journalisten in Lety. "Wir müssen offen zugeben, dass das alles zu lange gedauert hat. Die Gedenkstätte hätte schon viel früher hier stehen sollen." Außenminister Jan Lipavsky stimmt zu. Im Gespräch mit der DW sagt er: "Mit der Eröffnung des Denkmals zahlen wir einen Teil unserer Schuld gegenüber allen Roma und Sinti zurück, die jahrelang für ihren berechtigten Platz im Gedächtnis unserer Nation gekämpft haben."
Antiziganismus wird wie Antisemitismus behandelt
Die Roma-Minderheit macht etwa 2,5 Prozent der elf Millionen Einwohner Tschechiens aus. Die proeuropäische Regierung Fiala hat sich zum Ziel gesetzt, ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage zu verbessern. Am 10. April 2024 verabschiedete sie einstimmig eine Definition von "Antiziganismus", die wie Antisemitismus behandelt wird. "Die Definition bezeichnet eine spezifische Form des Rassismus, dem Roma aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Kultur oder Lebensweise ausgesetzt", sind so das tschechische Kabinett in seinem Beschluss. Die Definition wurde von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) in Anlehnung an die Definition von Antisemitismus formuliert. Sie wurde 2020 verabschiedet und anschließend von vielen Ländern übernommen. Mit der Verabschiedung der Definition solle die Ablehnung der Diskriminierung von Roma einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden, erklärte die tschechische Regierung.
"Es ist auch ein wichtiger symbolischer Schritt und eine Botschaft an die Roma-Gemeinschaft, dass sie dazugehört. Die Regierung der Tschechischen Republik hat unmissverständlich klargestellt, dass jegliche Äußerungen von Hass oder Diskriminierung in der Tschechischen Republik nicht willkommen sind", so Fukova zur DW.
Bessere Bildungschancen für Roma
Die Roma bilden in der Tschechischen Republik überwiegend das schwächste soziale Segment der Bevölkerung. Die Hälfte von ihnen lebt in "sozial ausgegrenzten Gebieten". Ein Teil der tschechischen Roma, schätzungsweise 50.000 bis 70.000 Menschen, wanderte vor dem Brexit nach Großbritannien aus, um der Diskriminierung in ihrer Heimat zu entgehen. Die meisten von ihnen fanden dort Arbeitsmöglichkeiten.
Dennoch hat die Regierungsbeauftragte Fukova die Hoffnung, dass sich die Situation der Roma in Tschechien verbessert. Der Weg dahin führe über den Zugang der Roma zu einer hochwertigen Bildung. "Wir werden gemeinsam mit der Regierung an der Entwicklung von schulischen Rahmenprogrammen zur Anhebung des Bildungsniveaus der Roma arbeiten", erklärt sie im Gespräch mit der DW. Damit wolle man der Segregation und Isolation der Roma-Minderheit entgegenwirken.