Tschads Helme des Anstoßes
11. März 2015Anspannung herrscht in Tschads Hauptstadt N'Djamena. Mit einer Verordnung fing es an: Ab dem 1. März hätten müssten alle Motorradfahrer Helme tragen, verkündete das tschadische Innenministerium vergangene Woche - zum Unmut vieler Studenten und Schüler. Sie könnten sich keine Helme leisten, erklärten sie und demonstrierten gegen das Dekret. Am Montag eskalierten die Proteste: Autos gingen in Brand auf, Studenten entrissen Menschen ihre Helme und zerstörten sie. Die Polizei griff hart durch und schoss mit Tränengas in die Menge. Laut offiziellen Angaben kam ein Student bei der Auseinandersetzung ums Leben - von mindestens drei Toten sprechen die Demonstranten und Vertreter der Zivilgesellschaft.
Gewehre gegen Schulhefte
"Die Polizisten haben den Busparkplatz der Universität umzingelt", schilderte ein Jurastudent die Geschehnisse gegenüber der DW. "Sie haben mit scharfer Munition geschossen und einen Bus angezündet." Der Student wurde Augenzeuge, wie ein Kommilitone erschossen wurde: "Er war auf dem Parkplatz und wollte fliehen. Sie schossen scharf und er fiel zu Boden. Wir hatten nur unsere Hefte und sie hatten scharfe Munition", so der Student: "Es war Mord!"
Unverhältnismäßig sei das Vorgehen der Polizei gewesen, sagt Daniel Dezoumet Passalet, der Vorsitzende der tschadischen Organisation Menschenrechte ohne Grenzen. "Auch wenn es notwendig ist, Helme zu tragen, sollte die Regierung den Dialog suchen", so der Menschenrechtler im DW-Interview. Er kritisiert, dass die Regierung den Menschen keine Zeit gegeben habe, sich auf die Helmpflicht einzustellen - anders als die Händler: "Die sind häufig regierungsnah oder stammen aus derselben Region wie Präsident Idriss Déby. Noch bevor eine solche Maßnahme angekündigt wird, steigen die Preise." Ein Helm koste inzwischen das drei- bis vierfache als zuvor.
Machtspiele
Nur zu bekannt erscheint all das Helga Dickow vom Arnold-Bergsträsser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung. Genau die gleiche Entwicklung habe es 2012 schon einmal gegeben. "Es gab einen Erlass: 'Helmpflicht' - von einem Tag auf den anderen", erinnert sich die Freiburger Tschad-Expertin. Wer ohne Helm unterwegs war, habe Geldstrafen zahlen müssen. "Schließlich haben alle Helme getragen - und auf einmal gab es keine Kontrollen mehr und die Helmpflicht war wieder vergessen."
Auch nach der Niederschlagung der Proteste vom Montag schwelt der Konflikt weiter. Auf die offene Konfrontation folgen nun Repressionen: Schulen und Universitäten bleiben in N'Djamena fürs Erste geschlossen. Das verkündete die Regierung am Dienstag - und verhängte auch gleich eine vorübergehende SMS-Sperre. Laut Dickow geht es den Demonstranten um mehr als die Helme: Die Studenten in N'Djamena kämen oft aus armen Familien und seien auf kleine Stipendien angewiesen. Unter ihnen habe sich eine Mukosa: "Die Situation der Menschenrechte im Tschad ist beunruhigend!"große Frustration angestaut, die nun offenbar herausbreche. "Die Leute, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder zum Studium ins benachbarte Ausland oder nach Europa und Kanada."
Sicherheitsstaat Tschad: unbezwungen und unverzichtbar
Eine Entwicklung wie im nahen Burkina Faso, wo unzufriedene Bürger vergangenen Oktober Präsident Blaise Compaoré zum Rücktritt zwangen, hält Dickow im Tschad indes für unwahrscheinlich. "Die Menschen sind dort einfach zu arm und haben keine Kraft, um sich auf einen langfristigen Widerstand einzustellen."
Dazu kommt, dass Déby, der seine Karriere beim Militär gemacht hat, auf einen starken Sicherheitsapparat setzen kann - den stärksten in der ganzen Region. Als Militär regiere er natürlich mit militärischen Methoden, sagt Dickow. "Im Tschad werden Sicherheitskräfte nie in den Gebieten eingesetzt, aus denen sie kommen. Sie kennen oft die Sprache nicht, haben dort keine Familienangehörigen. Das unterstützt das Klima der Gewalt."
Die mächtige Armee von Präsident Idriss Déby hatte schon 2012 in der Mali-Krise interveniert. Seit Januar geht sie nun gezielt gegen die islamistische Miliz Boko Haram vor - zunächst in Kamerun, inzwischen auch in Nigeria und Niger. Mit seinem Eingreifen in Nigeria zeigt sich der Tschad einmal mehr als unverzichtbarer militärischer Bündnispartner in der Region. Die französische Fachzeitschrift Jeune Afrique zeichnet in ihrer aktuellen Ausgabe das Bild von Déby als "Paten" der Region, die infolge der Ereignisse des Arabischen Frühlings im Chaos versunken sei. Die Bedeutung als vermeintlich stabiler Sicherheitsstaat inmitten von Konflikten sichert dem Präsidenten auch einen starken Rückhalt in der internationalen Gemeinschaft, besonders in den USA und Frankreich - ganz gleich, mit welchen Mitteln er im eigenen Land regiert.