Truppenabzug in Mali: Rückschlag im Anti-Terror-Kampf
17. Februar 2022Senegals Präsident Macky Sall hat im Kontext der Debatte um den Abzug internationaler Truppen mehr Solidarität mit den Sahelstaaten gefordert. "Wir sollten uns nichts vormachen", sagte Sall der DW kurz vor Bekanntwerden der französischen Abzugspläne für Mali: "Wenn in Afrika nicht Frieden und Sicherheit herrschen, werden in der ganzen Welt nicht Frieden und Sicherheit herrschen."
Truppenabzug statt "robusterem Mandat"
Afrika werde zunehmend zur "Schwachstelle im internationalen Kampf gegen den Terrorismus", sagte Sall, der im Februar turnusmäßig den Vorsitz der Afrikanischen Union übernommen hat - und äußerte Zweifel an den Schlüssen der internationalen Gemeinschaft: "Als es um Afghanistan ging, ist es gelungen, eine weltweite Koalition mit mehr als 100.000 Soldaten aufzubauen." Doch beim Sahel sehe die Sache anders aus: "Wir haben uns seit zehn oder zwölf Jahren beim Sicherheitsrat dafür eingesetzt, dass es eine stärkere Unterstützung, eine Mission mit einem robusteren Mandat gibt. Es gelingt nicht, sie aufzustellen."
Stattdessen beginnt die internationale Militärbeteiligung im Sahel auseinanderzubrechen. Erst am Donnerstagmorgen (17.02.22) besiegelte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Abstimmung mit europäischen Partnern das Ende der Missionen Barkhane und Takuba: Binnen sechs Monaten werde Frankreich sämtliche Truppen aus Mali abziehen, erklärte Macron. Die Zukunft der UN-Mission MINUSMA und der EU-Ausbildungsmission EUTM (beide unter deutscher Beteiligung) gerät damit weiter ins Wanken.
Deutschland sei sich mit seinen europäischen Partnern einig, dass die Fortsetzung der Missionen Barkhane und Takuba im Moment nicht mehr leistbar sei, sagte die Staatsministerin Katja Keul aus dem Auswärtigen Amt. Die Lage in Mali sei derzeit inakzeptabel. "Wir haben bis heute keinerlei Signal von der malischen Regierung, dass sie zu einem demokratischen Prozess im Sinne der Transformation zurückkehren will", sagte Keul der DW. Nun müsse mit den europäischen Nachbarn gemeinsam geprüft werden, ob die bestehenden Missionen MINUSMA und EUTM ihre Ziele noch erreichten.
Deutschland als Partner weiter gefragt
Auch das westafrikanische Wirtschaftsbündnis ECOWAS, dem der Senegal angehört, hatte Mali nach den Putschen von 2020 und 2021 mit Sanktionen belegt. Präsident Sall betonte indes: "Wir sind solidarisch mit den Entscheidungen der ECOWAS, aber auch mit den Leiden des malischen Volkes." Eine Zusammenarbeit mit den Übergangsbehörden und die Einigung auf einen "vernünftigen Weg des Übergangs" - das ist laut Sall unerlässlich, damit Mali wieder in die "Gemeinschaft der Nationen" zurückkehren kann.
Auch Amadou Maiga, parlamentarischer Sekretär des Nationalen Übergangsrates (CNT) in Mali, setzt auf eine weitere Zusammenarbeit mit dem langjährigen Partner Deutschland. "Mali muss sich neu erfinden, sich reformieren und natürlich die Instabilität bekämpfen. Deutschland ist lang genug an der Seite Malis, um seinem Bruderland wirklich helfen zu können", betont Maiga im DW-Interview.
Währenddessen erhöhen die Putschisten den Druck auf die französische Regierung. Maigas Kollege im Übergangsrat, Fousseyni Ouattara, begrüßte den Abzug. "Wir machen Frankreich und die Europäer darauf aufmerksam, dass wir mit der von Frankreich genannten Frist von sechs Monaten für den Abzug von Barkhane nicht einverstanden sind. Wir wollen, dass die französischen Streitkräfte innerhalb von höchstens 30 Tagen das malische Staatsgebiet verlassen", sagte er.
Nicht alles war schlecht
Für Deutschland wird die Situation dann wahrscheinlich schwieriger. "Der Abzug der Franzosen und seiner europäischen Partner aus Mali ist ein Rückschlag für die Bundeswehr und die UN-Mission insgesamt", sagt Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programms bei der Konrad-Adenauer-Stifung (KAS). "Die Franzosen als Kampftruppe, als Anti-Terror-Einheit sind nicht zu ersetzen durch die UNO-Einheit, die ein defensives Mandat hat und gar nicht die Mittel hätte, um Terroristen auszuschalten." Laessing warnt vor einem kurzfristigen Abzug wie aus Afghanistan - dieser werde das Land nur weiter destabilisieren.
Obwohl der Bundeswehreinsatz wenig effizient gewesen sei, gelte: "Ohne die Bundeswehr, ohne die UNO wäre die Sicherheitslage noch viel schlimmer gewesen. Da wäre Mali vielleicht schon jetzt zusammengebrochen." Nicht zuletzt sind dadurch auch europäische Interessen gefährdet: Im Vergleich zu Afghanistan hätte ein Scheitern des Westens im Sahel viel direktere Auswirkungen auf Deutschland und Europa, so das Fazit einer aktuellen KAS-Studie. Vor allem, weil Unsicherheit und Perspektivlosigkeit die Menschen weiter massiv in die Migration nach Europa drängen würden.
Zivilgesellschaft im Niger gegen weitere Truppen
Doch wie kann eine militärische Hilfe im Sahel in Zukunft aussehen? Die "langfristigen Ziele vor Ort" blieben bestehen, betont Staatsministerin Keul: Man wolle "die Sicherheit der Menschen und die Stabilität der Region verbessern". Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht betonte am Donnerstag in deutschen Medien, es sei wichtig, im Sahel "weiter den Kampf gegen den Terrorismus zu führen". Aus Frankreich heißt es bereits, das Zentrum künftiger Militäroperationen im Sahel werde in das Nachbarland Niger verlegt, direkt in das Grenzgebiet zu Burkina Faso.
Zivilgesellschaftliche Organisationen dort zeigten sich im Vorfeld besorgt: Die Aufnahme neuer ausländischer Soldaten könne sich für Nigers Präsident Mohamed Bazoum als gefährlich herausstellen, sagte am Mittwoch Moussa Tchangari, Generalsekretär der Nichtregierungsorganisation Alternative espace citoyens: "Wenn die Regierung dem zustimmt, setzt sie ihr Fortbestehen aufs Spiel zu einem Zeitpunkt, an dem wir in Westafrika eine Rückkehr des Militärs an die Macht beobachten." Denn auch im Niger wächst der Frust, dass die internationale Präsenz die Sicherheitslage nicht verbessert. So warnte in Nigers Hauptstadt Niamey auch Mahamadou Idder Algabid, Vorsitzender der NGO Agir pour la paix et la sécurité au Sahel: "Solche Truppenverschiebungen könnten Öl ins Feuer gießen und die Atmosphäre, die bereits durch Desinformation vergiftet ist, weiter anheizen."
Die humanitäre Lage im Krisenland Mali spitzt sich indes weiter zu. Laut dem Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) muss ein Reaktionsplan allein 2022 rund 680 Millionen US-Dollar betragen, um 5,3 Millionen betroffenen Menschen zu helfen.
Mitarbeit: Mahamadou Kane (Bamako), Abdoulkarim Mahamadou (Niamey), Kossivi Tiassou, Nina Haase
Dieser Artikel wurde am 18.02.22 mit Zitaten von Staatsministerin Katja Keul und Fousseyni Ouattara, Mitglied im malischen Übergangsrat, ergänzt.