Triumph für Erdogan
2. November 2015Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat unmittbar nach dem Wahlsieg seiner konservativ-islamischen AKP für die von Präsident Recep Tayyip Erdogan angestrebte Verfassungsreform geworben. "Ich rufe alle Parteien, die in das Parlament einziehen auf, sich auf eine neue zivile nationale Verfassung zu verständigen", sagte Davutoglu in einer Ansprache vom Balkon der Parteizentrale in Ankara vor tausenden Anhängern. Er versprach, die Rechte aller Bürger und die Meinungs- und Glaubensfreiheit zu schützen.
Erdogan war im vergangenen Jahr als erster vom Volk gewählter Präsident vereidigt worden. Seitdem hat er seine Machtbefugnisse vergrößert und will sie auch in der Verfassung verankern. Um diese zu ändern, ist die AKP jedoch auf die anderen Parteien im Parlament angewiesen, weil es dazu einer Zweidrittel-Mehrheit bedarf. Erdogan strebt eine politische Aufwertung des Präsidentenamtes hin zu einer Präsidialherrschaft an.
Das Wahlergebnis wertete der Staatschef als ein Votum für Stabilität und die Einheit des Landes. Es sei zudem eine Botschaft an die kurdischen Rebellen, dass Gewalt und Demokratie nicht vereinbar seien, machte Erdogan in einer Erklärung deutlich. Das Wahlergebnis sollte von der ganzen Welt respektiert werden.
AKP fast 50 Prozent
Bei der Parlamentswahl am Sonntag erhielt die AKP nach Auszählung fast aller Stimmen knapp 50 Prozent, nach 40,9 Prozent bei der Wahl im Juni. Damit hat sie 316 der 550 Mandate in der Nationalversammlung in Ankara, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Platz zwei belegt die Mitte-Links-Partei CHP mit unverändert rund 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der ultrarechten MHP, die mit rund zwölf Prozent und einem Verlust von vier Punkten zu den Verlierern der Abstimmung gehört. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben.
HDP verliert eine Million Stimmen
Die pro-kurdische HDP büßte nach eigenen Angaben rund eine Million Wählerstimmen ein, schaffte es aber knapp über die Zehn-Prozent-Hürde. Sie zieht damit ebenfalls wieder ins Parlament ein. Parteichef Selahattin Demirtas kritisierte, von einer gleichberechtigten Wahl könne keine Rede sein. Nach Angriffen auf Parteibüros und dem Anschlag in Ankara vom Oktober, bei dem 102 Menschen getötet worden waren, hatte die HDP alle großen Wahlkampfveranstaltungen abgesagt. Dass die Partei dennoch wieder im Parlament sitzt, wertete Demirtas als Erfolg.
Der Wahlkampf in der Türkei war von Gewalt überschattet. Am Wahltag selbst war es vergleichsweise ruhig. 385.000 Sicherheitskräfte waren nach Angaben des Innenministeriums im Einsatz.
Das offizielle Endergebnis der Abstimmung soll erst in elf oder zwölf Tagen veröffentlicht werden, wie der Leiter der Wahlkommission, Sadi Güven, am Sonntagabend mitteilte. Insgesamt waren rund 57 Millionen Staatsbürger wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 86 Prozent.
se/kle (rtr, ape, dpa, afp)