Trauer und Jubel: wie Iraner auf den Tod von Raisi reagieren
21. Mai 2024Im Iran haben die Trauerfeierlichkeiten für die Opfer des Hubschrauberabsturzes begonnen, bei dem am Wochenende Präsident Ebrahim Raisi und Außenminister Hussein Amirabdollahian ums Leben gekommen sind. Der Religionsführer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, hat fünf Tage Staatstrauer angeordnet.
"Am liebsten würde ich mit meinen Freundinnen ins Auto steigen und ans Kaspische Meer fahren, aber heute ist kein Feiertag," beschwert sich eine junge Frau aus Teheran im Gespräch mit der DW . "Ich muss heute arbeiten. Nur morgen wurde offiziell als Feiertag angekündigt. Vielleicht weil die Trauerfeier in Teheran stattfindet". Zur Trauerfeier wurde sie auf keinen Fall hingehen, betont sie und fügt hinzu: "Er war nicht mein Präsident, ich hatte ihn nicht gewählt. Ich gehe seit langem nicht mehr wählen, weil ich nicht glaube, dass meine Stimme zählt oder etwas ändert."
Ein Präsident ohne Mehrheit
Ebrahim Raisi, seit August 2021 Präsident des Iran, ging als Gewinner einer Präsidentschaftswahl mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik hervor. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 48 Prozent. Raisi konnte knapp 62 Prozent der Stimmen, vor allem aus konservativ-religiösen Kreisen der Bevölkerung, für sich gewinnen. Nach seinem plötzlichen Tod ist die Bevölkerung gespalten.
Staatsmedien veröffentlichten am Dienstag zum Auftakt der Trauerzeremonie in der nordwestlichen Metropole Tabriz Bilder von Tausenden Trauernden. Tabriz ist die Hauptstadt der Provinz Ost-Aserbaidschan, wo sich am Sonntag der Helikopterabsturz ereignete. Videos von iranischen Nachrichtenagenturen zeigen Menschenmassen unter wolkenverhangenem Himmel und einen offenen, mit Blumen geschmückten Lastwagen mit mehreren Särgen, der langsam durch die Straßen fuhr. Menschen versuchten, den Lastwagen und die Särge zu berühren.
In den sozialen Netzwerken herrscht eine andere Stimmung. Vor allem auf der Plattform X feiern viele Iraner den Tod des Präsidenten. Man findet Bilder und Videos von tanzenden Menschen, die sich über den Tod von Raisi freuen; so zum Beispiel zwei junge Frauen, die während der landesweiten Proteste mit dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" von Metall- und Gummigeschossen der Sicherheitskräfte getroffen wurden.
Saeed Afkari, der Bruder des im September 2020 hingerichteten iranischen Wrestlers Navid Afkari, schreibt auf seinem Account: "Ich habe meine Mutter in all diesen Jahren noch nie so glücklich gesehen".
Raisi, der vor seiner Amtszeit als Präsident als Chef der Justiz und zuvor als stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts sowie Mitglied der "Todeskommission" für zahlreiche Hinrichtungen im Iran verantwortlich war, spielte bei der blutigen Unterdrückung der wiederholten landesweiten Proteste, zuletzt nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022, eine entscheidende Rolle.
Kaum Hoffnung auf Gerechtigkeit
"Gerecht wäre, wenn Raisi vor einem internationalen Gericht in einem fairen Prozess für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Das wäre aber in naher Zukunft nicht möglich gewesen. Deswegen freuen sich viele Iraner, dass er so gestorben ist", sagt der Soziologe Mehrdad Darvishpour, Professor an der Universität Mälardalen in Schweden.
Auf Nachfrage der DW fügt er hinzu: "Sein Todesfall, bei dem nach stundenlangen erfolglosen Bemühungen, den vermissten Präsidenten zu finden, die Behörden Amerika, Europa und die Türkei um Hilfe baten und am Ende dank einer türkischen Aufklärungsdrohne die Unfallstelle und die Leichen gefunden wurden, erklärt die Schadenfreude vieler Iraner. Besonders da Raisi nicht nur eine der kriminellsten Figuren dieses Regimes war, sondern auch einer der wichtigsten möglichen Kandidaten für die Nachfolge der Führung nach dem Tod von Chamenei, löste sein Tod bei vielen große Freude aus."
Die Särge von Präsident Raisi und der anderen Opfer sollen heuet noch in die religiöse Hochburg und Pilgerstadt Ghom gebracht werden und später, voraussichtlich am Abend, in der Hauptstadt Teheran ankommen. Raisi soll am Donnerstag im schiitischen Zentrum seiner Heimatstadt Maschhad, dem Heiligtum von Imam Resa, begraben werden.