Touristenziel: Autobahn
14. November 2003Es kann schon passieren, dass einem beim Bummel durch ein Einkaufszentrum in Peking ein Hochglanzposter mit dem wohl vertrauten Schloss Neuschwanstein entgegenleuchtet. Mit dem Schlagwort "Romantisches Deutschland" lockt die Deutsche Zentrale für Tourismus reiselustige Chinesen.
Guido Brettschneider, Finanzvorstand des Reisveranstalters TUI China erklärt: "Zur Zeit sagt die Statistik, dass etwa 80 bis 85 Millionen Chinesen heute das Geld haben, sich eine Auslandsreise zu leisten. Das sind Menschen, die in Joint-Venture-Unternehmen arbeiten und Selbständige.“
Sightseeing-Objekt: Autobahn
Für eine Woche Deutschland zahlen chinesische Touristen umgerechnet mindestens 1.000 Euro - gemessen an den chinesischen Preisverhältnissen eine ganze Stange Geld. Dafür wollen sie nicht nur Schloss Neuschwanstein und einige Großstädte bewundern, sondern auch ausführlich einkaufen. Fester Bestandteil der Rundreisen sind Fabrikverkäufe bekannter Textilhersteller in Süddeutschland.
Begeistert sind chinesische Touristen aber noch von anderen Dingen, erzählt Brettschneider: "Chinesen lieben Autos, sie lieben es, möglichst schnell zu fahren, sie lieben moderne Technik. Für sie ist Deutschland einfach das Autoland. Deutsche Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen üben auf Chinesen einen unglaublichen Reiz aus." So will TUI seine chinesischen Kunden ab dem nächsten Jahr über deutsche Autobahnen brettern lassen. Daheim in den Großstädten stehen sie meist im Stau, und auf den chinesischen Autobahnen gibt es strenge Tempolimits, zudem muss man für deren Benutzung auch bezahlen.
Neues ja, aber bitte nicht zuviel!
Bei aller Aufgeschlossenheit dürfe die Dosis an Ungewohntem und Unbekanntem für die Gäste nicht zu hoch sein, meint TUI-Mann Brettschneider. "Sie wollen gerne chinesisch essen, nur sehr selektiv europäisch. Sie haben bestimmte Anforderungen an die Hotelzimmer.“ So ist für die leidenschaftlichen Teetrinker aus China ist ein Wasserkocher einfach ein "Muss" im Hotelzimmer.
Zukunftsmusik: drei Länder in vier Tagen
Individualreisen für Chinesen nach Europa sind bislang nicht erlaubt - es sei denn, man hat eine persönliche Einladung und erhält von deutscher Seite das nötige Visum. Bislang ist Deutschland das erste mitteleuropäische Land, das die Einreise von chinesischen Touristengruppen überhaupt genehmigt. Vorher waren nur Geschäftsreisen, Besuche auf Basis persönlicher Einladungen und offizielle Besuche erlaubt.
Der Vorsprung, den sich die deutsche Tourismusbranche damit auf dem chinesischen Markt verschafft hat, könnte aber bald dahin sein. Denn die übrigen EU-Länder haben nachgezogen und werden chinesische Touristengruppen wohl im nächsten Jahr zulassen. Dann könnte das Schloss Neuschwanstein zum Zwischenstopp auf dem Weg zum Eifelturm degradiert werden, wenn es heißt: drei Länder in vier Tagen.