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Touristenboom mit Mängeln

Jeanette Seiffert13. Februar 2014

Deutschland wird bei Touristen immer beliebter: Fast 411 Millionen Übernachtungen, davon über 70 Millionen aus dem Ausland, waren es 2013. Es ist das vierte Rekordjahr in Folge - doch der Boom offenbart auch Schwächen.

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Touristen vor dem Kölner Dom. Foto: Oliver Berg dpa/lnw
Bild: picture alliance/Oliver Berg

Es scheint sich zu lohnen, das Geschäft mit den Touristen. Auf dem Platz vor dem Kölner Dom tummeln sich oft gleich mehrere "lebende Statuen" gleichzeitig: Schausteller, die sich mit Metallfarbe angesprüht haben und stundenlang sogar bei Wind und Regen ausharren, um sich für ein paar Münzen von Besuchern aus aller Welt fotografieren zu lassen. Kein Wunder, denn laut einer Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) rangiert der Kölner Dom bei ausländischen Touristen auf Platz drei der beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland - noch vor dem Brandenburger Tor, nur knapp hinter Schloss Schwanstein und dem Europapark in Rust.

Seit zehn Jahren kennen die Tourismuszahlen nur eine Richtung: nach oben. Wird ausgerechnet das nicht gerade sonnenverwöhnte Deutschland zum europäischen Top-Reiseland?

Aufholpotenzial beim Tourismusziel Deutschland

Fakt ist: Gerade unter Europäern werden deutsche Urlaubsregionen immer beliebter. Allein aus Großbritannien kamen 2013 rund 350.000 Gäste mehr als im Vorjahr, auch die Touristenzahlen aus Russland, der Schweiz und Polen steigen. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat liegt Deutschland bei den Touristen innerhalb der EU auf Platz sechs. Mit klassischen Urlaubsländern wie Spanien, das mit knapp 250 Millionen Übernachtungen aus dem europäischen Ausland stets auf dem ersten Platz rangiert, kann Deutschland allerdings kaum mithalten. Auch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Tourismusbranche ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eher gering: Laut Eurostat betrug der Anteil der Einnahmen aus dem Tourismussektor am deutschen Bruttoinlandsprodukt 2011 nur etwa 1,1 Prozent - gegenüber Kroatien und Malta mit jeweils rund 14 Prozent und Spanien mit immerhin vier Prozent.

Ostseestrand von Rostock-Warnemünde. Foto: Bernd Wüstneck/dpa
Kann die Ostsee mit der Côte d'Azur mithalten?Bild: picture-alliance/dpa

Touristenmagnet Berlin

Aus Sicht von Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), ist vor allem ein Bereich verantwortlich für die positiven Zahlen: "Der Städtetourismus boomt natürlich besonders", sagte sie im DW-Interview - und davon profitiere aktuell vor allem Berlin. Die Hauptstadt schwimmt ohnehin seit Jahren auf einer weltweiten Sympathiewelle. Im Jahr 2013 hat die Zahl der Übernachtungen noch einmal um über acht Prozent zugelegt. Mit knapp 25 Millionen Besuchern ist sie den deutlich größeren Metropolen London (48 Millionen) und Paris (36 Millionen) dicht auf den Fersen: "Ein Wochenende in einer Stadt in Deutschland verbringen, ins Musical gehen, sich kulturelle Dinge anschauen - das liegt im Trend", erklärt Ingrid Hartges.

Doch die Wachstumsraten haben nicht nur mit einem Touristenboom zu tun: Viele Besucher kommen aus rein beruflichen Gründen. Bei Kongressen und Tagungen liegt Deutschland im weltweiten Ranking hinter den USA auf Platz zwei. Ein Trend mit Schattenseiten: Es kommen zwar mehr Gäste nach Deutschland - doch sie bleiben kürzer, im Schnitt nur noch 2,7 Tage. Vor zehn Jahren waren es noch 3,5 Tage. Seit Jahren kämpfen Marketingexperten in den Tourismushochburgen vergeblich darum, dass die Übernachtungsgäste länger bleiben.

Berlin - Grafitti in Berlin
Die Berliner Mauer: Platz fünf der beliebtesten TouristenzieleBild: picture-alliance/W. Steinberg

Der Trend zum Kurzurlaub ist ein Grund dafür, dass die Umsätze in deutschen Hotels und Pensionen in den vergangenen Jahren nur mäßig gestiegen sind. Ein weiterer dürfte der enorme Preisdruck in der Branche sein: Deutschland ist ein vergleichsweise günstiges Urlaubsland. Das gilt besonders für die Hauptstadt: Ein Hotelzimmer in Berlin kostet im Schnitt knapp 90 Euro, gegenüber London mit über 170 Euro und Paris mit über 250 Euro für ein Doppelzimmer sind das Schnäppchenpreise. "Davon profitieren ja grundsätzlich auch die Gäste", meint Ingrid Hartges von der Dehoga. "Ich denke, dieser Wettbewerb ist gesund und wichtig."

Mitarbeiter profitieren nicht

Das Geschäft werde auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen, beklagt dagegen Guido Zeitler von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG). Zwar werde im Hotelgewerbe kräftig gebaut - doch gleichzeitig nehme der Anteil der geringfügig Beschäftigten und sogenannter "Minijobber" zu, die höchstens 450 Euro im Monat verdienen dürfen und sozial schlecht abgesichert sind. "Es herrscht ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb, der vor allem zu Gunsten der großen Hotelketten ausgeht", betont Zeitler. Außerhalb der Boom- und Messezeiten werde zunehmend mit Schleuderpreisen gearbeitet - und gespart werde zuallererst beim Personal.

Zimmermädchen im Hotel. oto: Jan-Philipp Strobel/dpa
Erfolg auf Kosten von Minijobbern und Niedriglöhnern?Bild: picture-alliance/dpa

Verdrängungswettbewerb hin, niedrige Hotelpreise her: Auch die Deutschen selbst sind in Sachen Reiselust keine Vorreiter mehr. Trotz guter Wirtschaftsentwicklung stagniert der Anteil der inländischen Urlauber. Laut einer aktuellen Tourismusanalyse geben die Deutschen sogar weniger für ihren Urlaub aus und verreisen kürzer als früher.