Tokio greift nach den Ringen
7. September 2013"Wir brauchen keine Olympischen Spiele in Tokio" - unter diesem Motto zogen Anfang August mehrere Dutzend Demonstranten durch die japanische Hauptstadt. Auf Transparenten und über Megaphone kritisierten die Protestteilnehmer, dass Olympische Spiele in Tokio auf dem Rücken der Armen ausgetragen würden. Allein das neue Olympiastadium werde umgerechnet 1,2 Milliarden Euro kosten. Das müssten die Stadtbewohner über höhere Steuern finanzieren.
Auch eine Gruppe Japaner im sozialen Netzwerk Facebook zieht gegen die Austragung der Spiele im Jahr 2020 in Tokio zu Felde. Die Unterstützerin Mayoko Nagochi bewertet den ökologischen Preis, der für Olympia zu zahlen sei, als zu hoch. So werde der Wasserpark für die Kanu-Wettbewerbe auf einem Gelände errichtet, dass viele Arten von Zugvögeln zum Ausruhen benutzten. Das Biotop werde durch die Olympischen Spiele unwiderruflich zerstört.
Klare Umfragemehrheit für Olympia
Doch die Organisatoren der Tokioter Bewerbung halten solche Kritiker für eine unbedeutende Minderheit. Nach ihrer eigenen Umfrage vom Frühjahr unterstützen 77 Prozent der Hauptstadtbewohner die Austragung der Spiele in Tokio. Eine Befragung des für Sport zuständigen Bildungsministeriums ermittelte im August sogar eine Zustimmungsrate von 92 Prozent. Spontane Straßenumfragen ergeben allerdings ein weniger einheitliches Bild.
Ein Rentner erinnert sich mit Freude daran, wie er sich vor 50 Jahren den ersten Fernseher kaufte, um Olympia 1964 in Tokio mitzuerleben. "Eine erneute Austragung der Spiele wird Japan guttun", gibt er sich überzeugt. Eine junge Angestellte ist dagegen skeptisch: "Es heißt, die Spiele sollen dem Wiederaufbau der Tsunami-Gebiete dienen", meint sie. "Aber wie der Sport dabei helfen soll, kann ich mir gar nicht vorstellen." Sie möchte das Geld für Olympia lieber anders ausgeben.
"Drei Kernstärken"
Doch gerade für die Finanzierung der Spiele hat Tokio gut vorgesorgt. Schon für die frühere Bewerbung für Olympia 2016, das an Rio de Janeiro ging, hat die Stadtregierung umgerechnet 4,5 Milliarden Dollar für die notwendige Infrastruktur beiseite gelegt. Die Veranstaltungskosten von 3,4 Milliarden Dollar sind zum Großteil über Lizenzrechte und private Sponsoren abgedeckt. Die Creme de la Creme der japanischen Wirtschaft von Toyota bis zum Mobilfunkanbieter NTT Docomo hat sich verpflichtet. Zugleich versprechen die Organisatoren einen wirtschaftlichen Nutzen von 22 Milliarden Euro.
Die offizielle Bewerbungskampagne argumentiert mit den drei "Kernstärken" der japanischen Hauptstadt: Erstens könne Tokio mit "Gewissheit" die Anforderungen an Infrastruktur, Stabilität und Sicherheit erfüllen - ein Seitenhieb auf die Probleme mit Sportstätten und Kriminalität in Rio de Janeiro. Zweitens versprechen die Organisatoren "festliche Stimmung" - die 35 Millionen Bewohner des Großraums Tokio seien große Sportfans. Das hätten die Fußball-Weltmeisterschaft 2002 und der jährliche Marathon bewiesen. Drittens werde Tokio mit "Innovation" punkten, so dem futuristischen Olympia-Stadion der irakisch-britischen Stararchitektin Zaha Hadid.
Stark verbesserte Bewerbung
Für die japanische Hauptstadt steht viel Geld auf dem Spiel. 200 Millionen Dollar hat bereits der erste Bewerbungsversuch gekostet. "Wir haben das Beste davon übernommen und den Rest verbessert", beschrieb Tsunekazu Takeda (im Artikelbild links, beim Startschuss der Kampagane im 2012), Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und Chef des Sportartikel-Fabrikanten Mizuno, die überarbeitete Strategie. So wurde die Fläche für das Olympische Dorf um ein Drittel vergrößert und das neue Olympia-Stadion ins Stadtzentrum verlegt. 85 Prozent der Sportstätten liegen im Acht-Kilometer-Umkreis des Dorfes.
Das Verkehrsproblem will man durch eigene Olympia-Fahrspuren für Athleten und Besucher lösen. Dazu spekulieren die Organisatoren auf den emotionalen Nachhall der Tsunami-Katastrophe vom 11. März 2011. "Japan tut viel für den Wiederaufbau, Olympia würde helfen", meint der NOK-Chef Takeda. Zugleich redet das Bewerbungskomitee mögliche Ängste vor einer Verstrahlung als Folge des Atomunfalls in Fukushima herunter. "Die Strahlung in Tokio ist genauso niedrig wie in Paris oder New York", betonte Stadt-Gouverneur Naoki Inose.
Hinter den Kulissen gibt man sich zuversichtlich. Jedoch will sich niemand zu den Mitbewerbern Istanbul und Madrid äußern, nachdem sich Gouverneur Inose sich für eine Bemerkung über die "islamische" Bewerbung von Istanbul beim IOC entschuldigen musste. Die Äußerung hatte in islamischen Ländern Proteste ausgelöst. Doch auf der Straße formuliert ein Tokioter im Anzug, was für einen Sieg von Tokio spricht: "Anders als bei Madrid und Istanbul gibt es bei Tokio keine echten Minuspunkte - der Nahverkehr funktioniert und das Essen ist hervorragend".