Der Herr der Ringe
10. September 2013Angekommen auf dem Olymp, merkte man Bach die Anstrengung des Aufstiegs an. "Uff", pustete er mit aufgeblähten Backen in die Stille des Festsaals des Hilton Hotels von Buenos Aires. Das erste Wort des neuen IOC-Präsidenten war gewiss kein wegweisendes, dafür aber sicher ein ehrliches. Es hat ihn, den Profi-Sportpolitiker, den erfahren Netzwerker und den wortgewandten Conférencier, also doch einiges an Kraft gekostet, höchster Repräsentant des Weltsports zu werden.
Vom Olympiasieger zum IOC-Präsidenten
Die Szene verrät, dass trotz aller nach außen hin gezeigter Zuversicht von ihm und seiner Entourage die Wahl zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) beileibe kein Selbstläufer war. Bach führte in den vergangen Tagen während des IOC-Gipfels unzählige Gespräche in den Räumen und Gängen des Tagungshotels. Bis Buenos Aires hatte Bach noch keine Wahl als Sportfunktionär verloren - das sollte sich auch in der argentinischen Hauptstadt nicht ändern. Thomas Bach ist der neunte IOC-Präsident seit der Gründung des Verbandes 1894 durch den französischen Visionär Pierre de Coubertin.
Wie der Gründer der Olympischen Spiele der Moderne war auch Thomas Bach selbst Sportler und lernte zu seiner Zeit als Fechter zwei Kernkompetenzen für seine späteren Erfolge in der Sportpolitik - das geduldige Abwarten und das Gespür für den richtigen Moment zur Offensive. Bei seinem wichtigsten Vorstoß in seiner langen Karriere als Sportpolitiker agierte er wieder wie damals auf der Planche als Fechter. Lange hielt er die Deckung aufrecht, beobachtete seine Gegner und suchte plötzlich doch die Offensive: Als Erster ging er ins Rennen um das höchste Amt im Sport, die IOC-Präsidentschaft. Eine Entscheidung, die er nicht bereut haben dürfte, schließlich setzte er als einflussreicher und erfahrener IOC-Spitzenfunktionär seine Kontrahenten früh unter Druck.
Im olympischen Graubereich
Seit rund zwei Jahren hatten Beobachter darüber spekuliert, ob und wann der bisherige IOC-Vize-Präsident Bach für den Posten seines scheidenden Chefs Jacques Rogge kandidiert. Im vergangenen Mai tat er es und begründete: "Ich glaube, dass meine langjährige Erfahrung und aufgebauten Vertrauensverhältnisse sowie mein Herzblut als Athlet und Olympiasieger den einen oder anderen überzeugen können". Er sollte Recht behalten. Bach, der viele Freunde und Unterstützer in der glitzernden Sportwelt hat, absolvierte einen viermonatigen Wahlkampf, der ihn quer um den Globus führte. Dabei dürfen die Präsidentschaftskandidaten eigentlich gar keinen Wahlkampf führen, so wollen es die IOC-Statuten. Doch wo hören Hintergrundgespräche, Netzwerken und indirekte Lobbyarbeit auf? Wo fängt Wahlkampf an? Das IOC bewegt sich da in der Grauzone. Ein Bereich, den auch Bach kennt.
Kritik gab es zuletzt für Bach vor allem wegen seiner verschiedener wirtschaftlichen Engagements: So ist Bach nicht nur neuer IOC-Präsident, sondern auch immer noch Vorsitzender der Ghorfa-Gruppe, die für deutsche Unternehmen - offenbar auch bei Rüstungsgeschäften - Kontakte in die arabische Welt knüpft. Ein Unding findet Mathias John von Amnesty International, der darauf hinweist, dass das IOC "eigentlich für Völkerverständigung und Frieden stehen möchte". Mit Blick auf Bach hat John "kein gutes Gefühl, gerade wenn ich sehe, wie sehr die Ghorfa Rüstungsimporte unterstützt und wie wenig sie sich offensichtlich um menschenrechtlich verantwortliches Unternehmensverhalten kümmert", sagte John dem ARD-Magazin "Monitor". Bach reagierte kurz vor der Wahl dünnhäutig auf die Vorwürfe und versuchte, die Berichterstattung mit Hilfe seines Anwalts zu verhindern.
"Vielfältige Lebenssachverhalte"
Jens Weinreich dürfte das kaum gewundert haben. Der Journalist und Blogger ist seit langem einer seiner schärfsten Kritiker Bachs. Weinreich warf Bach wiederholt vor, aus seinen Ehrenämtern berufliche Vorteile zu ziehen. Bach dementiert jede Verquickung zwischen dem IOC-Ehrenamt und seiner beruflichen Tätigkeit. Es gebe aber "vielfältige Lebenssachverhalte, in denen sich persönliche, durch Freundschaften oder auch Ehrenämter begründete Bekanntschaften und berufliche Kreise überschneiden". Leise Zweifel bleiben aber: Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hatte Bach beim Siemens-Konzern einen Beratervertrag über rund 200.000 Euro und soll über seine IOC-Verbindungen zum kuwaitischen Energieminister Scheich Ahmad al-Sabah versucht haben, den kleinen Golfstaat als Großinvestor bei Siemens zu gewinnen. Prompt schlug am Vortag der Wahl auch ein Gegenkandidat in diese Kerbe: "Ich möchte einen unabhängigen Kandidaten, der nicht auf bestimmte Allianzen angewiesen ist und der seine Position für nichts anderes nutzt als zum Wohle des Sports", sagte der Schweizer Denis Oswald und handelte sich dafür einen Rüffel des IOC ein.
Auch solche schwerwiegenden Anschuldigungen prallen bisher an Thomas Bach ab, dessen Vita sich davon abgesehen makellos liest: 1953 geboren im fränkischen Würzburg und schon als Fünfjähriger im deutschen Fechter-Mekka Tauberbischofsheim am Florett aktiv. Gefördert vom großen Fechttrainer Emil Beck, wurde Bach 1971 deutscher Junioren-Meister und schaffte schnell den Sprung in die Nationalmannschaft, mit der er als 22-Jähriger den ganz großen Treffer setzte: Olympia-Gold mit der Mannschaft im Florett-Finale gegen Italien in Montreal 1976. Ein Jahr später folgte noch der Weltmeistertitel im Team. Doch der ehrgeizige Bach arbeitete längst an seiner Karriere nach der aktiven Laufbahn: Er vertrat als Athletensprecher seine Kollegen beim Olympischen Kongress 1981 und schloss zwei Jahre später sein Jura-Studium mit "magna cum laude" ab - zwei wichtige Qualifikationen für die nun folgende Karriere als Sportfunktionär.
Einflussreiche Förderer: Horst Dassler und Juan Antonio Samaranch
Beim Sportartikelhersteller Adidas lernte er als Direktor für internationale Beziehungen bei Konzern-Chef Horst Dassler das Einmaleins des Sport-Lobbyings und begann ein Netzwerk zu knüpfen. Bach, der auch Englisch, Französisch und Spanisch spricht, geriet schnell in den Blick des inzwischen verstorbenen ehemaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch. Der förderte den ambitionierten Juristen und positionierte Bach für eine sportpolitische Laufbahn. Bereits im Alter von 37 Jahren wurde Bach ins IOC gewählt, fünf Jahre später stieg er in den Führungszirkel, das Exekutivkomitee, auf. Und 2000 wurde er sogar Vize-Präsident des mächtigsten Sportverbandes der Welt.
An der Seite des amtierenden IOC-Präsidenten Jacques Rogge arbeitete Bach verlässlich, wartete geduldig auf seine Chance und hielt dem Chef den Rücken frei: In der vielleicht schwersten Krise des olympischen Dachverbands, dem Bestechungsskandal rund um die Spiele von Salt Lake City 2002, konnte Bach als Krisenmanager punkten. Rogge, der Bach nach eigener Aussage seit langer Zeit freundschaftlich verbunden ist, wird, so wie es aussieht, seinem deutschen Stellvertreter nun als Dank für dessen Loyalität mit dem einen oder anderen guten Wort helfen. Bach sei "eine wichtige Stütze der weltweiten olympischen Bewegung" und habe "alles, was ein Präsident braucht".
Reform des olympischen Programmes
Dort oben an der Spitze des olympischen Verbandes angekommen, muss Bach nun zeigen, dass er sein Wahl-Programm "Einheit in Vielfalt" auch tatsächlich in die Realität umsetzen kann und will. Wohlweislich hatte Bach darin allenfalls sanfte Reformen angekündigt. Denn die Ankündigung radikaler Veränderungen hätte ihn Stimmen kosten können, das wusste der erfahrene Sportpolitiker. Sein zentrales Bestreben, die Autonomie des Sports gegenüber einem möglichen stärkeren Einfluss von Politik und Justiz zu schützen, dürfte gut ankommen in der Welt des Sports. Schärfere Anti-Doping-Gesetze oder strafrechtliche Verfolgung von Sportbetrug und Korruption sind für viele Mitglieder der Sportelite ein rotes Tuch. Allerdings verspürt Bach in dieser Frage ausgerechnet in der Heimat Gegenwind: Innenminister Hans-Peter Friedrich, ein enger Vertrauter Bachs, machte sich kürzlich erstmals für ein Anti-Doping-Gesetz im Profisport stark. Das hatte Bach stets abgelehnt.
Die Herausforderungen für den IOC-Präsidenten Thomas Bach sind groß: Das olympische Sportprogramm muss reformiert werden, neue Sportarten drängen ins lukrative Licht der Olympia-Öffentlichkeit, die die Rückkehr der Traditionssportart Ringen nicht gerade als positives Signal gesehen haben dürften. Die Kosten für die Infrastruktur und vor allem die Sicherheit bei Olympischen Spielen steigen immer weiter, was Bewerberstädte abschreckt. Und nicht zuletzt nagen die zahlreichen Dopingfälle der jüngsten Vergangenheit an der Glaubwürdigkeit dessen, was das IOC vermarkten möchte: die Faszination Spitzensport. Thomas Bach muss nun Lösungsvorschläge vorlegen, wie diese Probleme des Weltsports anzugehen sind. Jetzt ist er allein auf der Planche, ohne echten Gegner. Eine Situation, an die sich Bach erst noch gewöhnen muss.