Thomauske: "Fukushima nicht auf Deutschland übertragbar"
11. März 2015DW: Gibt es angesichts der Tatsache, dass 2022 das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet werden soll, noch Interesse an Studiengängen wie Reaktorsicherheit?
Prof. Bruno Thomauske: Wir haben 2013 unser Institut umbenannt in "Nukleare Entsorgung und Techniktransfer". Wir richten unseren Fokus auf Rückbau und Entsorgung. Daneben entwickeln wir Messmethoden für zerstörungsfreie Prüfungen z.B. mit Neutronen. Der Studiengang wurde gerade ausgesetzt, da ich am 1. März in den Ruhestand gegangen bin. Die Nachfrage nach Studienabsolventen ist allerdings sehr groß. Alle Studenten haben schon vor ihrem Abschluss einen Job bei Behörden, in der Forschung, der Industrie oder im Stromhandel, wo sie auch im Bereich Erneuerbare Energien tätig sind.
Sind Sie heute froh über den Entschluss der Bundesregierung?
Dem würde ich so nicht zustimmen. Ich halte "Fukushima" als Begründung anzuführen, nicht geeignet, einen Kernenergieausstieg in der Bundesrepublik zu begründen. Denn Hintergrund in Japan war, dass die Anlage nicht für einen Tsunami ausgelegt war, obwohl dort auch in der Vergangenheit Tsunamis aufgetreten sind. Auf der anderen Seite muss man sich fragen, ob Fukushima ein Besorgnispotential auslöst, das auf die Bunderepublik übertragbar wäre. Aber vergleichbare Auslegungsschwächen gibt es nicht, wie die Überprüfung sämtlicher Kernkraftwerke der Bundesrepublik nach Fukushima gezeigt hat. Und auch das Moratorium, die Unterbrechung des Betriebs der Kernenergie in Deutschland auf der Grundlage der Ereignisse in Japan, wurde höchstrichterlich als rechtswidrig eingestuft.
Aber auch in Deutschland werden Sicherheitsaspekte als mögliche Risikofaktoren angeführt. Könnten die hiesigen Meiler einen Terrorangriff oder einen Flugzeugabsturz schadlos überstehen oder besteht bei einer Katastrophe nicht die Gefahr des Austritts radioaktiver Strahlung?
Im Hinblick auf Terrorangriffe hat es Nachrüstungen gegeben. Die Ergebnisse der Überprüfungen der Behörden dazu werden wegen der sensitiven Fragen allerdings nicht veröffentlicht.
Deutschland verabschiedet sich von der Atomkraft, aber es bleibt gefährdet durch Atomkraftwerke im grenznahen Ausland?
Für den Neubau von Kernkraftwerken im europäischen Ausland gelten höchste Sicherheitsstandards. In Frankreich und Finnland werden Kernkraftwerke eines französischen Herstellers gebaut. Die Finnen setzen für einen weiteren Neubau auch auf russische Technologie. Und auch Atomkraftanlagen aus Südkorea gelten als sehr sicher.
In Japan gibt es 48 Reaktoren, die nach dem Unglück abgeschaltet und nun wieder hochgefahren werden sollen. Nur vier Reaktoren haben nach Sicherheitsprüfungen die Erlaubnis zum Wiederanfahren erhalten. Ist Atomkraft doch nicht so sicher, wie von der Atom-Lobby propagiert?
Ich habe mir selbst im vergangenen Jahr eine Anlage in Japan angeschaut, die gerade umgerüstet wird. Hier werden erhebliche Veränderungen im Hinblick auf die Sicherheit vorgenommen. Insbesondere sollen künftig durch hohe Wälle und Wände keine Tsunamiwellen mehr in eine Anlage eindringen können. Auch erfolgen Nachrüstungen im Bereich der Notstromversorgung und Kühlung, die in Fukushima versagten, was schließlich zu den sicherheitstechnisch bedeutsamen Auswirkungen führte. Die Investitionen zur Sicherung der Anlage auch gegen Erdbeben liegen im Bereich des Neubaus eines Kraftwerkes.
Hauptargument für Atomstrom war immer, er sei günstig und sauber. In Deutschland haben die AKW-Betreiber Rückstellungen von 37 Milliarden Euro gebildet, aber es ist zu befürchten, dass das Geld bei Insolvenzen verloren gehen könnte – oder es gar nicht reicht. Politiker fordern daher einen öffentlich kontrollierten Fonds für den Rückbau der Atomanlagen und für die Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Experten schätzen, dass die Endlagersuche bis 2050 dauert. Sind die Kosten über einen solch langen Zeitraum überhaupt kalkulierbar?
Nach meinen Kalkulationen steht ein Endlager frühestens 2080 zur Verfügung. Die Rückstellungen für den Rückbau der Anlagen und die Entsorgung von 36 Milliarden Euro werden reichen, wenn an den Randbedingungen keine wesentlichen Veränderungen vorgenommen werden. Jährlich findet eine Überprüfung statt, wie sich die Kosten entwickeln - auch im Hinblick auf die neue Endlager-Standortsuche.
In anderen Ländern setzt man voll auf Atomenergie. Während Länder wie Polen, Ägypten und Vietnam den Einstieg in die Kernenergie erst planen, führt China die Liste mit 60 im Bau befindlicher AKW an. Großbritannien plant vier neue Anlagen, darunter das AKW Hinkley Point. Und weil das für den Betreiber, den französischen Energiekonzern EDF, sehr teuer wird, garantiert die britische Regierung dem Unternehmen einen Festpreis für 35 Jahre. Die EU-Kommission hat dafür sogar Subventionen genehmigt. Kann Atomstrom nur durch Beihilfen produziert werden?
Eine kerntechnische Anlage ist vergleichsweise teuer. Und diese hohen Kosten müssen zu Beginn, für die Errichtung, bezahlt werden, bevor Gewinn erwirtschaftet werden kann. Bei einem Gaskraftwerk ergeben sich vergleichsweise geringe Investitionskosten, allerdings hohe Brennstoffkosten und dazu die CO2-Freisetzung. In Deutschland wurden auch Windkraft und Solarenergie über die garantierte Einspeiseverordnung gefördert. Insofern sehe ich da keinen grundsätzlichen Unterschied zur Subvention in Großbritannien.
Aber von Subventionen sollten doch nur neue Technologien profitieren. Atomenergie gibt es doch schon seit mehr als 50 Jahren.
Windkraft gibt es bereits seit über 2000 Jahren. In England geht es um die neue Markteinführung. Dort hatte man bisher relativ alte Kernkraftwerkstypen in Betrieb, das neue Kernkraftwerk ist demgegenüber technisch sehr innovativ.
Professor Bruno Thomauske war bis zu seiner Emeritierung Leiter des Instituts für Nuklearen Brennstoffkreislauf (INBK) der RWTH Aachen. Zuvor war der promovierte Physiker bei der Vattenfall AG zuständig für den Geschäftsbereich Kernkraftwerke und tätig bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) sowie beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Er gehört zur Kommission für eine Endlagersuche.
Das Interview führte Karin Jäger.