"Abhängigkeit von China ist eine Mär"
16. April 2020Deutsche Welle: Sie haben Deutschlands Außenhandel mit Medizinprodukten - also Arzneimittel und Schutzausrüstung - untersucht.
Ganz generell gefragt: Ist es nicht sicherer für Krisenzeiten, die Produktion wieder im eigenen Land anzusiedeln, wie von vielen gefordert?
Martin Braml: Das würde ich absolut nicht so sehen. Heimische Produktion hat Krisenzeiten den Vorteil, dass die Transportwege kurz sind. Aber wir wissen nicht, ob sich nicht auch die heimische Wirtschaft länger in einem Lockdown befindet, oder ob im Krisenfall die heimische Produktion überhaupt noch immer funktioniert. Wir reden bei Krisen nicht nur von Pandemien, sondern auch von Naturkatastrophen oder einem militärischen Konfliktfall. Wenn man für ein Produkt mehrere Zulieferer in mehreren Ländern hat, dann kann man sich gegen viele Risiken absichern: politische Risiken und in gewisser Weise das Risiko von Epidemien.
In der Politik gibt es verstärkt die Forderung, die Abhängigkeit bei Medizinprodukten von China zu reduzieren. Sie haben die Importe und Exporte aus China untersucht. Ist Deutschland wirklich so abhängig von der Volksrepublik?
In den Handelsstatistiken findet sich nichts, was darauf hindeutet, dass wir besonders von China abhängig wären. Indien wird in diesem Zusammenhang auch noch häufig genannt. Die Importe aus China und Indien im Medizingüterbereich liegen bei 400 Millionen Euro pro Jahr. Das sind 0,8 Prozent der Gesamtimporte im medizinischen Bereich. Da ist es eine Mär zu sagen, es gäbe eine besondere Abhängigkeit. Das kann vielleicht punktuell bei einzelnen Produkten sein. Aber die These kann sich nicht halten lassen, dass Deutschland grundsätzlich in seiner Medizinversorgung von China und Indien abhängig wäre.
Aber was ist mit den Grundstoffen - beispielsweise für Antibiotika. Die kommen doch fast nur aus China. Haben sie das in ihre Berechnung mit aufgenommen?
Wir haben uns Wertschöpfungsketten-Analysen angeschaut. Die sind aber nicht auf Produktebene möglich, sondern nur für den gesamten medizinischen Sektor. Daraus ging hervor, dass 2,5 Prozent der Medikamente, die in Deutschland konsumiert werden, einen Wertschöpfungsursprung in China haben. Es kann also sein, dass es punktuell bei manchen Medikamenten zu wenig Zulieferer gibt, und da muss man auch darüber reden. Aber das Gesamtbild, das so viel aus China kommen würde, ist auch nach dieser Berechnung nicht zu halten.
Wie steht Deutschland denn in diesem Bereich da?
Wir haben einen großen Überschuss im Medizingüter-Handel. Wir exportieren viel mehr, als wir importieren. Unterm Strich sind alle Länder zusammen mehr von Deutschland abhängig, als Deutschland vom Ausland abhängig ist. Ich glaube, dass es schlecht wäre, wenn wir sagen, wir schotten unsere Medizingütermarkt ab, wir subventionieren ihn und führen hohe Einfuhrzölle ein, damit wir eine autarke Versorgung herstellen können. Das haben wir schon bei der EU-Landwirtschaft, weil man sagt, Lebensmittel sind so essenziell, so sensibel, so wichtig, die muss man selbst produzieren. Aber das ist auf Dauer eben sehr teuer.
Die EU-Kommission hat Mitte März ein Exportverbot von Schutzausrüstung erlassen. Ist das angesichts Ihrer Analyse ein sinnvoller Schritt gewesen oder Aktionismus?
Ich glaube, dass da sehr viel Aktionismus mit dabei war. Viele Länder haben mit Exportbeschränkungen auch deshalb reagiert, um Spekulationen zu verhindern. Es sollte aber auf jeden Fall weiterhin möglich sein, solche Produkte zu handeln, damit man sie auch alle immer dort hinbringen kann, wo sie gerade aktuell am dringendsten gebraucht wird. Hier rate ich schon davon ab, plakativen Protektionismus zu machen.
Am Anfang waren die leeren Klopapier-Regale das Sinnbild der Corona-Krise. Jetzt sind es die Masken, die es nicht gibt. Dass wir da sehr abhängig sind und es Engpass gibt, ist ja nicht von der Hand zu weisen.
Aber der Engpass hat nichts damit zu tun, dass die Chinesen nicht liefern würden, wie vereinbart. Sie liefern ja, aber es ist plötzlich eine riesige Nachfrage nach solchen Masken da. Ich glaube, dass man jetzt auch schnell dazu übergeht, viel heimisch zu produzieren.
Bei solchen Einzelprodukten plädieren Sie dann schon zur Produktion im Inland?
In Krisensituationen kann es immer wieder zu Engpässen kommen. Dann kann man die heimische Wirtschaft auch umstellen. Aber man muss ja nicht in Normalzeit umstellen, um Masken in Deutschland produzieren, wenn das in Asien viel günstiger geht. Es reicht, wenn wir das im Krisenfall machen. In wirtschaftlichen Normalzeiten soll man dann wieder Autos bauen oder die Dinge machen, die wir auf dem Weltmarkt gut verkaufen können.
Das löst aber auch nicht das Problem, dass man in Krisenzeiten erst mal Zeit benötigt, um die Produktion hochzufahren.
Wir plädieren dafür, dass man Vorräte anlegt, die am besten für einen Zeitraum angelegt sind, bis man Importe durch heimische Produktion ersetzen kann. Wir haben strategische Ölreserven in Deutschland, wir haben einen nationalen Getreidevorrat. Ich glaube, beides ist so angelegt, dass man mehr oder weniger drei Monate damit auskommen würde. So ähnlich sollte es wohl auch für Medikamente sein und für Schutzausrüstung. Das hängt natürlich von der genauen Zeit ab, wie lange die heimische Wirtschaft braucht, und dann wird die Produktion aufnehmen zu können.
Martin Braml forscht am ifo-Zentrum für Außenwirtschaft. In einer aktuellen Studie untersucht er mit anderen den deutschen Außenhandel mit Arzneien und medizinischer Ausrüstungen.
Das Interview führte Nicolas Martin.