Warum Kaiserin "Sissi" bis heute fasziniert
1. November 2023Im Jahr 1898 weilte Elisabeth von Österreich-Ungarn incognito am Genfer See, um ein paar Tage dem Hofzeremoniell in Wien zu entkommen. Am 10. September war eine Fahrt mit dem Raddampfer geplant. In Begleitung ihrer Hofdame verließ die Kaiserin das direkt am Ufer des Sees gelegene Hotel Beau Rivage. Auf der Seepromenade traf sie ihren Mörder. Er rempelte sie an, sie stürzte. Ein Kutscher half ihr auf. "Es ist nichts", sagte sie. "Wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir das Boot." Sie ging weiter, als sei nichts passiert und bestieg das Schiff. Kurz nach dem Ablegen brach sie zusammen. Man brachte sie zurück ins Hotel, wo sie laut Sterbeurkunde um 14.40 Uhr ihr Leben aushauchte. Sie wurde 60 Jahre alt.
Der italienische Hilfsarbeiter und Anarchist Luigi Lucheni hatte der Kaiserin am Seeufer unbemerkt eine gespitzte Feile ins Herz gestoßen. Er hasste den Adel. Ursprünglich wollte er den italienischen König Umberto I. töten, konnte sich allerdings die Reise nach Italien nicht leisten. Dann nahm er den französischen Adligen Henri Philippe Marie d’Orléans ins Visier, dieser strich aber kurzfristig seine Reise nach Genf. So wurde schließlich Elisabeth sein Opfer.
Das Attentat auf die Kaiserin war ein trauriges Ende für das Leben einer außergewöhnlichen Frau, die nicht nur für ihre Schönheit, sondern auch für ihre unabhängige Persönlichkeit und humanitären Aktivitäten bekannt war. Ihr Tod markierte das Ende einer Ära und hinterließ eine Lücke in der Geschichte des Habsburgerreiches.
"Sissi" - bis heute eine Legende
Zu Lebzeiten herrschte Elisabeth an der Seite Franz Josephs über Österreich-Ungarn. Berühmt wurde sie durch ihre Schönheit, galt sogar als attraktivste Frau Europas. Kein Wunder, dass Kaiser Franz Joseph die bayerische Prinzessin heiraten wollte. Eine Liebeshochzeit, da sind sich Historikerinnen und Historiker weitgehend einig, war damals sehr ungewöhnlich.
Über diese königliche Leidenschaft entstanden in den 1950er-Jahren mehrere Filme mit Romy Schneider als "Sissi" , die noch heute in Hunderttausenden deutschen Haushalten zum weihnachtlichen Pflichtprogramm gehört.
Dutzende Male ist die Geschichte um Elisabeth, "Sissi" oder Sisi, wie sie innerfamiliär mit Kosenamen hieß, verfilmt worden. Auch 2022 erhielt Romy Schneider wieder Konkurrenz: Netflix veröffentlichte weltweit die Serie "Die Kaiserin" über Elisabeth von Österreich. Die Serie in zwei Staffeln basiert auf einer gleichnamigen Romanreihe. Im Jahr zuvor hatte schon der deutsche Privatsender RTL mit seiner Serie "Sisi" vorgelegt, eine zweite und inzwischen dritte Staffel folgten. Und ein weiterer Film kam hinzu, "Corsage" der Regisseurin Maria Kreutzer, in der Vicky Krieps eine alternde Kaiserin Elisabeth spielt. Dafür wurde sie 2022 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.
Während die Serien sich dem Liebesleben der jungen Kaiserin widmen, beschäftigt sich "Corsage" damit, wie schwierig es für Elisabeth gewesen sein muss, sich dem engstirnigen Leben am kaiserlichen Hof zu unterwerfen, das ihr kaum Freiheiten oder politische Einflussnahme erlaubte. Sisi wurde für ihre Schönheit geschätzt, also machte sie es sich zur Aufgabe, schön zu bleiben.
Elisabeth als #thatgirl
Jeden Tag ließ sie sich zwei Stunden lang die Haare kämmen und absolvierte ein strenges Fitnessprogramm. Damit treffe sie heute einen Nerv, so die Schriftstellerin Karen Duve, die im vergangenen Jahr den Roman "Sisi" über die Kaiserin veröffentlicht hat.
"Sisi hat schon vor 150 Jahren Dinge gemacht, die heute selbstverständlich sind", erklärt Duve im DW-Interview. "Zum Beispiel, sich mit Krafttraining fit zu halten, alles dafür tun, die eigene Schönheit so lange wie möglich zu bewahren, dafür auch die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen." Die konsequente Selbstoptimierung der Kaiserin passe zum heutigen Zeitgeist.
Sisi als #thatgirl? Unter diesem Hashtag tummeln sich in den sozialen Netzwerken schöne, junge, gesunde, sportliche Frauen, die in kurzen Videos ihre Morgen-, Sport-, Essens- oder Schlafroutinen vorstellten. Wenn man nur diesen Routinen folge, könne man genauso schön, jung, gesund, sportlich und glücklich sein wie diese Frauen, so lautete der Subtext von #thatgirl.
Die dunklen Seiten des kaiserlichen Lebens
Glücklich war die historische Elisabeth leider nicht am Habsburger Hof, so Karen Duve, die im Rahmen ihrer Recherche historische Dokumente, Tagebücher, Briefe und zeitgenössische Berichte rund um das Leben der Kaiserin studiert hat.
"Da gibt es eben auch diese andere Sisi, die ältere, die so ein bisschen enttäuscht ist von ihrem Mann und ihrem Leben", erzählt sie der DW. "Es gibt ja sicherlich noch ein paar mehr Frauen, die von ihren Ehemännern nach einigen Jahren enttäuscht und ihnen vielleicht auch überlegen sind, und die sich in der Rolle, die ihnen zugeteilt wurde, nicht wohlfühlen. Und Sisi ist jemand, der aus dieser Rolle ausgebrochen ist."
Das tat sie, indem sie eine hervorragende Reiterin und Jägerin wurde. Dafür ist sie in Großbritannien und Irland bis heute bekannt, weiß Duve zu berichten, wo die Kaiserin an gefährlichen Treibjagden teilnahm. Von ihren Verpflichtungen am Hof hatte sich sie zu diesem Zeitpunkt schon so weit wie möglich verabschiedet und beschäftigte sich mit dem, was ihr guttat: Reiten, Sport, Bewegung an der frischen Luft und in der Natur. Ein achtsames Leben - schon 1870. Diplomatische Gesten, wie ein Besuch bei Königin Victoria in London, kamen ihr lästig vor, sie blieb nur eine halbe Stunde.
Die Märchenkaiserin
In dieser Hinsicht war Kaiserin Elisabeth von Österreich bereits ein sehr moderner Mensch, auch eine moderne Frau, die mit den Einschränkungen, die ihr von allen Seiten auferlegt wurde, haderte und versuchte, ihr persönliches Glück in einem sinnvollen Leben zu finden. Manchmal gelang ihr das, manchmal nicht.
Filme wie Marie Kreutzers "Corsage" oder Karen Duves Roman "Sisi" beschäftigten sich mit der dunkleren, moderneren Seite der so geliebten österreichischen Kaiserin. Der Film mit Romy Schneider sowie die Serien auf Netflix und RTL hingegen inszenieren die Kaiserin als Märchenfigur und widmen sich der Liebesgeschichte, den erotischen und romantischen Verwerfungen unter jungen, reichen, schönen Menschen.
"Sisi" sei eben eine Geschichte wie aus dem Märchen, bestätigt Karen Duve. Ein Kaiser heiratet ein Mädchen aus Liebe, sie fährt in einer goldenen Kutsche zur Kirche, die Wiener Hofburg wird ihr Zuhause. "Das ist sicherlich etwas Archetypisches, vor allem für Menschen im deutschsprachigen Raum, die mit Märchen aufgewachsen sind", so Duve. "Und die Geschichte von Sisi, das ist das Versprechen, dass sich das Märchen doch erfüllen kann."
Ein Märchen, das die Menschen auch 125 Jahre nach Elisabeths Tod noch fasziniert. Und so ist die schöne Kaiserin bis heute unvergessen.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 24.12.2022.