Nächster Halt Äthiopien
16. Mai 2019Made in Bangladesch, Made in Vietnam, Made in China. Ein kurzer Blick ins Innere unserer Kleidung verrät uns, wo das T-Shirt, der Pulli oder die Hose hergestellt wurde. Immer öfter steht auf den kleinen Etiketten der großen Marken jetzt auch: Made in Ethiopia. Äthiopien mag eines der 20 ärmsten Länder der Welt sein, doch die Wirtschaft wächst rasant. Und das so sehr, dass das ostafrikanische Land auf dem besten Weg ist, Afrikas Zentrum für Textilproduktion zu werden. Das zumindest ist der Plan der äthiopischen Regierung.
Äthiopien denkt in großen Dimensionen. Mehr als 30 gigantische Industrieparks sollen die Welt im Jahr 2025 mit Kleidung Made in Ethiopia versorgen, 350.000 Jobs sollen dabei entstehen, 30 Milliarden Dollar (rund 27 Milliarden Euro) durch Exporte umgesetzt werden. An der Arbeitskraft wird es dabei nicht mangeln. Mit rund 110 Millionen Einwohnern ist Äthiopien nach Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Für Temesgen Tilahun, den Vize-Vorsitzenden der Äthiopischen Kommission für Investitionen, ist gerade das ein wichtiger Trumpf im Wettbewerb mit der Konkurrenz aus Asien. "60-70% der Menschen hier sind jung, im besten Arbeitsalter und gut zu trainieren. Dieses Potenzial müssen wir nutzen, um Äthiopien zu einem Produktionszentrum zu machen."
Billiglohnland Nummer eins
Dass dafür keine hohen Löhne fällig werden, ist ein wichtiger Teil in Temesgens Rechnung: "Gerade dieser Aspekt spielt für Investoren eine große Rolle, die überlegen, in Äthiopien zu investieren." In Bangladesch, das spätestens seit dem Fabrik-Einsturz von Rana Plaza im Jahr 2013 als Inbegriff für Billiglöhne in der Textilindustrie gilt, verdienen Arbeiter mehr als dreimal so viel wie in Äthiopien. In China ist es sogar mehr als das Zehnfache. Weniger als in Äthiopien wird in der Branche sonst nirgends gezahlt. Laut aktuellen Untersuchen der New York University sind es häufig gerade einmal 23 Euro im Monat. Zu dem Lohn kämen aber noch einzelne Serviceleistungen der Fabriken wie ein tägliches Mittagessen, heißt es dazu aus der Kommission für Investitionen.
Neben den Billiglöhnen wirbt Äthiopien mit einer attraktiven Lage, Steuervergünstigungen und günstigem Strom. So will die Regierung Textilunternehmen aus aller Welt ins Land locken. Und das gelingt. Knapp ein Drittel von 40 befragten Unternehmen gab 2017 laut der Unternehmensberatung McKinsey an, binnen fünf Jahren in Äthiopien produzieren zu wollen. Der Boom hat schon begonnen. Überall im Land wird an neuer Infrastruktur gearbeitet. Bereits 1,3 Milliarden Dollar wurden investiert. Unternehmen wie H&M, Levi's, Calzedonia, Calvin Klein, Tommy Hilfiger, aber auch Tschibo, Aldi und Lidl produzieren bereits heute in Äthiopien. Primark, das 2016 Äthiopien als einen seiner Schlüsselmärkte bezeichnete, gab jetzt gegenüber der DW an, "derzeit keinerlei solche Geschäftsbeziehungen nach Äthiopien" zu unterhalten. Auf Nachfrage, wie die derzeitigen Beziehungen mit Äthiopien aussehen und welche Pläne für die Zukunft bestehen, erhielt die DW zunächst keine Antwort.
Tagespensum: 600 T-Shirts
Die aktuell größte Produktionsstätte für Kleidung im Land ist der Hawassa Industrial Park im Süden Äthiopiens. Auf einem Gelände, das so groß ist wie 420 Fußballfelder, arbeiten 23.000 Menschen im Schichtbetrieb, der Großteil davon Frauen. Bald sollen es 60.000 sein. Den einen gilt der Park als Modell für die Zukunft der Textilproduktion: Sichere Arbeitsbedingungen, hochmoderne Anlagen, dazu umweltfreundlich. Andere sehen ihn als Beispiel dafür, wie Arbeitskräfte professionell und in großem Stil ausgebeutet werden.
Desta (Name von der Redaktion geändert) ist Anfang 20 und arbeitet als Näherin in Hawassa. Wenn sie die Frühschicht hat, beginnen ihre Tage um 4 Uhr morgens - und das sechs Tage die Woche. Im Monat verdient sie 900 Äthiopische Birr - das sind rund 27 Euro. Dazu kommen ein tägliches Mittagessen und ein Shuttle zur Arbeit. Die Bezahlung sei oft ein Thema unter den Näherinnen, sagt Desta der DW: "Was wir bekommen, ist auf keinen Fall genug, weil es in keinem Verhältnis zur Arbeit steht, die wir machen." Acht Stunden steht Desta täglich an der Nähmaschine. 600 T-Shirts schaffe sie pro Tag, sagt sie: "Es ist also sehr viel Arbeit für sehr wenig Geld. Das ist nicht fair."
Die extrem niedrigen Löhne führen zu einer hohen Fluktuation in den Industrieparks. Die Betreiber sprechen von rund der Hälfte der Belegschaft, die noch im ersten Jahr wieder kündigt. Laut Untersuchungen der New York University sind es aber fast 100 Prozent. Immer öfter kommt es zu Streiks.
Leben von einem Euro am Tag
In einem kleinen Vorort von Hawassa zeigt die Näherin Desta das kleine Zimmer in einer Lehmhütte, das sie sich mit zwei anderen Frauen teilt. Die Miete von 500 Birr könnte sie sich alleine nicht leisten. "Wir versuchen, uns möglichst alle Kosten zu teilen", erklärt sie. Gekocht wird gemeinsam mit den Mitbewohnerinnen. "Günstiger kann man eigentlich nicht leben, und trotzdem reicht das Geld oft nicht den ganzen Monat." Desta hofft, dass es irgendwann mehr wird.
Danach sieht es aber bisher nicht aus. Die Unternehmen profitieren von den niedrigen Löhnen und verweisen an die Regierung. Die wiederum sieht sich im Kampf um Investoren im Zugzwang. Viele neue Industrieparks sind im Entstehen, für die es noch viele Investoren braucht. Diese sollen nicht mit Mindestlöhnen verschreckt werden.