Wie viel "bio" steckt in Bio-Kleidung?
22. Juni 2020Ein rosafarbener Traum mit Puffärmeln aus Bio-Baumwolle - gerade mal 19,99 Euro kostet das Sommerkleid von H&M im Online-Shop. Für 12,95 gibt es das schlicht-elegante Neckholder-Kleid von Zara, ebenfalls aus Bio-Baumwolle.
Naturmaterialien wie Baumwolle stehen im Sommer hoch im Kurs - für Modehersteller eine gute Zeit, die eigenen Nachhaltigkeitslinien zu bewerben. Und die kommen mit klangvollen Namen daher: "wear the change" heißt es bei C&A, "join life" bei Zara, mit "CONSCIOUS" bewirbt H&M seine Öko-Kollektion. Mode für kleines Geld und fürs gute Öko-Gewissen, so die Botschaft. Schöne, neue, grüne Modewelt - tatsächlich?
Alles Bio oder was?
"Modeunternehmen nutzen die Tatsache, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ein Interesse daran haben, fair und ökologisch zu kaufen", hat Katrin Wenz, Agrar-Expertin bei der Umweltschutzorganisation BUND, beobachtet. "Bio-Baumwolle zu verwenden ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, denn hier dürfen weder Gentechnik noch synthetische Pestizide verwendet werden. Aber wie der weitere Produktionsprozess gestaltet ist - darüber sagen firmeneigene Nachhaltigkeitssiegel meist nicht viel."
Denn die Kriterien für ihre Siegel legten die Modelabel selbst fest, ergänzt Viola Wohlgemuth, Textil-Expertin der Umweltschutzorganisation Greenpeace. "Nachhaltigkeit ist kein geschützter Begriff, da ist dem Greenwashing Tür und Tor geöffnet", so Wohlgemuth.
Unabhängige Nachhaltigkeitssiegel sagen mehr aus
Bessere Orientierung lieferten unabhängige Bio-Siegel, die außerdem auch Kriterien zum Schutz der Beschäftigten erfüllen, betonen beide Expertinnen und nennen etwa das Label Global Organic Textile Standard (GOTS) und das Siegel IVN Best. Letzteres wird vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft e.V. (IVN) vergeben.
Heike Hess leitet die Geschäftsstelle des IVN in Berlin. Sie sagt: "Allein der Rohstoff Bio-Baumwolle macht Mode noch nicht wirklich nachhaltig". Denn für die Kleiderherstellung gebe es viele Produktionsschritte, erklärt Hess: vom Feld muss die Faser unter anderem durch die Entkörnungsanlage, die Spinnerei, Färberei, Druckerei und Näherei bis zum fertigen Kleidungsstück. "Bei jedem dieser Schritte sind ökologische und soziale Standards wichtig, wie minimaler Schadstoffeinsatz, Wasser- und Abfallmanagement, CO2-Bilanzen, Menschenrechte, gerechte Löhne, Arbeitsschutz und vieles mehr. Erst dann ist Mode nachhaltig."
Und das hat seinen Preis. So kosten Sommerkleider aus Bio-Baumwolle mit GOTS-Siegel üblicherweise zwischen 60 und knapp über 100 Euro.
Wasserverschmutzer Textilindustrie
Besonders im Nassbereich der Textilproduktion, zu dem unter anderem die Garnherstellung, das Färben und das Weben zahlen, würden viele Schadstoffe verwendet, sagt Greenpeace-Referentin Wohlgemuth. Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) stammen rund 20 Prozent der Abwässer weltweit aus der Textilfärbung und -behandlung. Die belasten vor allem in den Produktionsländern in Asien Mensch und Umwelt.
Immerhin rund 80 weltweit führende Textil- und Schuhhersteller und deren Zulieferer haben sich der Greenpeace-Detox-Kampagne angeschlossen und verpflichtet, bis zum Jahr 2020 giftfrei zu produzieren. "Bio" ist das aber noch nicht.
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Beim Thema Wasser gebe es noch ein weiteres Problem, erklärt Sabine Ferenschild, Expertin zum Thema nachhaltige Textilien und Bio-Baumwolle beim Bonner Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene: Der Baumwollanbau sei sehr flächenintensiv und erfordere extrem viel Wasser.
"Nachhaltig ist Bio-Baumwolle nur dann, wenn sie in regenreichen Regionen, wie etwa Indien, angebaut wird und in Mischkulturen mit Nahrungsmitteln wächst, damit sie keine Konkurrenz zu diesen darstellt. Wir beobachten aber, dass der Baumwollanbau zunehmend in Wüstenregionen verlagert wird. Das kann niemals nachhaltig sein."
Öko-Kollektionen bleiben Nischenprodukt
Kritisch sieht Ferenschild außerdem, dass die großen Modehersteller lediglich ein paar Produkte nach - eigenen - Nachhaltigkeitskriterien herstellen. Der Hauptteil aber werde weiterhin konventionell fabriziert.
Einen neuen Ansatz verfolgt Deutschland mit dem nationalen Siegel "Grüner Knopf". Das darf ein Unternehmen nur dann nutzen, wenn alle seine Produkte die vorgesehenen Standards im Bereich Umwelt und Beschäftigtenschutz einhalten.
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Auch wenn der "Grüne Knopf " bislang noch nicht an die echten Bio-Siegel heranreicht, ist er für die meisten Experten ein Schritt in die richtige Richtung, denn er verhindert, dass Hersteller ihre Verantwortung auf ihre Subunternehmer abwälzen.
Ein "Öko"-Kleid für 20 Euro - wie geht das?
Nach Angaben der Bremer Baumwollbörse kostet Bio-Baumwolle auf dem Weltmarkt zwischen zehn bis maximal 50 Prozent (für Premium-Fasern) mehr als konventionell hergestellte Baumwolle. Der Rohstoff ist also nicht der entscheidende Faktor.
Laut Greenpeace ist H&M der zweitgrößte Modehersteller der Welt. Solche Mode-Riesen könnten allein durch die enormen Stückzahlen auch in ihren "Öko"-Kollektionen günstige Preise anbieten, erklärt Textil-Expertin Ferenschild.
Beim H&M-Siegel etwa bleibt außerdem unklar, ob die Baumwolltextilien für die CONSCIOUS-Kollektion wirklich zu 100 Prozent aus Bio-Baumwolle bestehen. Denn mit diesem Label verspricht H&M lediglich, dass die Kleidung "mindestens zu 50 Prozent aus nachhaltig gewonnenen Materialien - wie Bio-Baumwolle - besteht". Auf DW-Anfrage schreibt H&M: "Der Anteil von Bio-Baumwolle an der Gesamtmenge genutzter Baumwolle bei H&M lag zuletzt bei 16 Prozent."
Bio-Baumwolle - noch nicht mal ein Prozent
Selbst wenn die Mode-Riesen mit größeren Schritten in Richtung Nachhaltigkeit gehen wollten - derzeit wäre das kaum möglich. So lag der Anteil an Bio-Baumwolle an der weltweiten Ernte laut Bremer Baumwollbörse in der Saison 2017/2018 bei gerade einmal knapp 0,7 Prozent.
Das eigentliche Problem aber ist: Es wird viel zu viel Kleidung produziert. Weltweit werden laut Greenpeace jedes Jahr rund 80 Milliarden Kleidungsstücke hergestellt. Allein in deutschen Kleiderschränken lagerten einer Greenpeace-Studie zufolge im Jahr 2015 mehr als fünf Milliarden Kleidungsstücke. "Ein Party-Top wird im Durchschnitt aber höchstens 1,7 Mal getragen", sagt Viola Wohlgemuth.
Vom Modehersteller zum Dienstleister
"Fast-Fashion ist der SUV der Modebranche und kann einfach niemals nachhaltig sein. Die Modeindustrie muss sich wandeln vom Modehersteller zum Mode-Dienstleister", fordert die Umweltschützerin.
Erste Beispiele dafür gibt es bereits: Outdoor-Marken, die Reparatur-Dienste anbieten oder Jeans-Produzenten, die neben neuen, nachhaltig hergestellten Hosen in ihren Shops auch Reparaturabteilungen und Flächen für den Second-Hand-Verkauf eingerichtet haben. Immerhin gibt sogar Fast-Fashion-Gigant H&M auf seiner Homepage mittlerweile Tipps, zum Reparieren und zur Pflege von Kleidung.
Doch dabei müssen auch die Konsumenten mitmachen. Und das heißt, so BUND-Frau Katrin Wenz: "Weniger und dafür langlebige neue Kleidung kaufen, kaputte Kleidung reparieren lassen, Dinge, die man nicht mehr trägt, in den Second-Hand-Kreislauf geben und sich vor allem auch selbst aus ihm bedienen." Dann kann sie gelingen, die schöne, neue, grüne Modewelt.