"Al-Shabaab ist nicht Al-Kaida"
26. November 2013DW: Herr Steinberg, vor allem aus US-Sicherheitskreisen ist immer wieder zu hören, dass die somalische Al-Shabaab-Miliz Teil des internationalen Terrornetzwerks der Al-Kaida sei. Sie bezweifeln das und sagen: Al-Shabaab sei eine unabhängige Organisation. Warum sind Sie sich da so sicher?
Guido Steinberg: Ich glaube nicht, dass es unter all den Organisationen, mit denen wir es zurzeit in der arabischen Welt und in Afrika zu tun haben, auch nur eine gibt, die tatsächlich Befehle von Al-Kaida empfängt. Die Zentrale der Al-Kaida in Pakistan ist äußerst schwach, so dass sich ohnehin kaum feststellen lässt, wie sie ihre Kontakte hält. Außerdem wurden nach dem Tod von Bin Laden mehrere Dokumente gefunden, in denen er seine Vorstellungen äußert - darüber, wie denn diese so genannten Ableger operieren sollen. Die einzelnen Organisationen haben aber den Anweisungen der Al-Kaida-Spitze nie Folge geleistet. Das gilt für die arabischen Gruppen - etwa in Algerien, im Jemen oder Irak - und besonders auch für die somalischen Shabaab. Sie sind kein Ableger, denn in der gesamten Strategie und Taktik lässt sich kein Einfluss der Al-Kaida-Spitze nachweisen.
Sie sprechen in Ihrer aktuellen Analyse von einer Art Richtungsstreit innerhalb der Shabaab-Miliz - also zwischen denen, die den Dschihad global interpretieren und denen, die nationalistischer denken, sich also in ihrem Kampf vor allem auf Somalia beziehen. Ist dieser Richtungsstreit denn bereits entschieden?
Besonders die Rivalität zwischen Al-Shabaab-Führer Ahmed Abdi Godane und Muktar Ali Robow, dem ehemaligen Sprecher der Organisation, wird da immer wieder betont, wobei Gondane als international orientiert beschrieben wird. Erst seit 2013 gab es erste Anzeichen, dass dieser Konflikt ausgeprägter ist, als in den Jahren zuvor - wobei sich Godane offenbar durchsetzen konnte. Dieser interne Streit dürfte auch dazu beigetragen haben, dass die Organisation dann im September schließlich in Kenia zugeschlagen hat, mit dieser sehr aufsehenerregenden Attacke auf das Einkaufszentrum Westgate mit mehr als 60 Toten. Es gibt also durchaus eine Tendenz zum Internationalismus bei Al-Shabaab. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie versuchen Anschläge in Europa, den USA oder etwa Israel zu verüben - es geht eher um regionale Ziele, Anschläge in den Nachbarstaaten.
Was heißt das denn für die Bekämpfungsstrategien, wenn man Al-Shabaab doch eher als regionale Organisation begreift, die am Horn und in Ostafrika operiert?
Ich denke, dass sich das vor allem darauf auswirken muss, wie die Amerikaner mit der Organisation umgehen. Sie sollten zurückhaltender sein und sich mit ihren Drohnenschlägen oder auch mit dem Einsatz von Spezialkräften auf diejenigen Shabaab-Führer beschränken, die tatsächlich über Landesgrenze hinaus agieren. Ich sehe keine globale Bedrohung, sondern eine Gefahr für die Region - und die geht konkret darauf zurück, dass die benachbarten Staaten in der Vergangenheit die somalische Übergangsregierung und jetzt die neue Regierung unterstützt haben, auch militärisch. Es ist auffällig, dass ausgerechnet die Nachbarstaaten angegriffen werden, deren Truppen in Somalia gegen die Shabaab gekämpft haben. Solche Interventionen der Nachbarn sind immer ein gefährliches Spiel. Sie machen darauf aufmerksam, dass es Feinde in der Umgebung gibt und sie machen oft - wie in Somalia - aus einem lokalen Konflikt einen regionalen.
Washington stuft Al-Shabaab als Terrororganisation ein, sieht die Organisation eben doch als Al-Kaida-Ableger. Reagieren die USA über?
Ja, zum Teil. Die Shabaab sind mehr als eine terroristische Organisation, mehr als eine Guerilla-Organisation. Sie sind eine soziale Bewegung und ähneln damit in der Gesamtstruktur weniger einer personell viel kleineren Gruppierung wie Al-Kaida, sondern eher den Taliban in Afghanistan oder der Hisbollah im Libanon. Und wenn man das bei all der Paranoia vor der großen global agierenden terroristischen Organisation vergisst, dann macht man auch den Fehler zu unterschätzen, wie stark eine solche Gruppierung lokal ist und wie wichtig es deshalb ist, auch noch andere Methoden zu finden, als die der herkömmlichen Terrorbekämpfung. Die Shabaab sind stark, sie repräsentieren einen gewissen Teil der somalischen Gesellschaft und das darf man nicht ignorieren. Und genauso wie mittlerweile mit den Taliban in Afghanistan verhandelt wird, darf man das auch für die Shabaab in Somalia nicht ausschließen.
Sie sagen ja auch, dass die Shabaab nur innerhalb Somalias und nur von den Somalis selbst besiegt werden können. Die Regierung ist jedoch nach wie vor gelähmt: Welche Aussichten auf eine politische Lösung "von Somalis für Somalis" gibt es denn?
Bekämpfungsmaßnahmen sind in jedem Fall notwendig. Man kann sich nur darüber streiten, wie das im Detail aussehen soll, inwieweit die USA Drohnenschläge einsetzen, inwieweit die Nachbarstaaten intervenieren sollten. Ich denke aber, dass die Hauptlast auf den Schultern der somalischen Regierung liegen sollte. Diese Regierung muss gefestigt und legitimer werden. Ich habe den Eindruck, dass viele westliche Politiker in den letzten Monaten doch etwas zu euphorisch waren. In Mogadischu hat eine gewisse Beruhigung eingesetzt - das bedeutet allerdings nicht, dass diese Regierung langfristig in der Lage ist, im Süden des Landes ihre Position zu behaupten. Es ist meines Erachtens auch schon ein Erfolg, dass die Shabaab immer mehr zu terroristischen Methoden greifen müssen. Das mag zynisch klingen, aber es ist letzten Endes ein starkes Indiz dafür, dass sie geschwächt sind - weil nur derjenige, der schwach ist, terroristische Methoden anwenden muss.
Dr. Guido Steinberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. In "Regionaler Jihad in Ostafrika" analysiert er die Ausrichtung und Strategien der somalischen Al-Shabaab-Miliz.
Das Interview führte Ludger Schadomsky.