Gemischte Bilanz für Somalia
8. Mai 2013Die britische Botschaft in Somalias Hauptstadt Mogadischu, die Außenminister William Hague bei einem Blitzbesuch vergangene Woche nach zwei Jahrzehnten diplomatischer Abwesenheit wieder eröffnete, ist noch denkbar rudimentär ausgestattet: Nur vier Metallcontainer mit Generatoren und Satellitenschüsseln stehen in der Sicherheitszone des Flughafens - darüber weht der Union Jack, die britische Nationalflagge. Pünktlich zu der am Dienstag (07.05.2013) in London stattfindenden Somalia-Konferenz sollte die wiedereröffnete Botschaft zeigen, dass die westliche Staatengemeinschaft Vertrauen in die neue somalische Nationalregierung hat.
Auch die Vereinten Nationen (UN) haben jüngst beschlossen, Somalia mit einer neuen Mission zu unterstützen: Im Rahmen der UNSOM (United Nations Assistance Mission in Somalia) entsendet die UN Experten, die die Regierung und örtliche Behörden beraten sollen. "Die Resolution müsste der somalischen Regierung helfen, die Sicherheitslage zu verbessern", sagte der Sicherheitsexperte Ahmed Abdi Hassan, ein ehemaliger ranghoher Mitarbeiter der nationalen Sicherheitskräfte. Bis zu 200 Experten sollen nach Somalia entsendet werden.
Neues Führungsduo mit weißer Weste
Nach seinem Wahlsieg über den als hochkorrupt geltenden Übergangspräsidenten Sharif Sheikh Ahmed im September 2012 hat Nachfolger Hassan Sheikh Mohamud bislang viele Dinge richtig gemacht. Seine Prioritätenliste - Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen, eine schlagkräftige Polizei und Armee, Korruptionsbekämpfung und öffentliche Sicherheit - findet Zustimmung bei Somalias Partnern. Dabei kommt dem Ingenieur und späterem Universitätsdekan zugute, dass er praktisch kein politisches Vorleben hat - ein klarer Sympathiebonus im Vergleich zu den sonst üblichen Vertretern der somalischen Politikerkaste. Als Mitglied der einflussreichen Volksgruppe der Hawiye weiß er dennoch wichtige Clanführer hinter sich - ein unabdingbares Machtinstrument in dem von ethnischen Loyalitäten geprägten Land am Horn von Afrika. Mohamuds neuer Premier Abdi Farah Shirdon Saaid ist zudem ein enger Verbündeter, was darauf hoffen lässt, dass ein Kompetenzgerangel zwischen Präsident und Ministerpräsident dieses Mal ausbleiben könnte.
Die demonstrative westliche Unterstützung für Somalia sei richtig, erklärt Rashid Abdi, Somalia-Experte der International Crisis Group im DW-Interview: "Die internationale Gemeinschaft hat doch gar keine Alternative." Wenn sie Somalia jetzt die notwendige Anerkennung verweigere, spiele dies in die Hände der Terroristen, so Rashid in Anspielung auf die Al-Kaida-nahe Al-Schabaab-Miliz. "Und für die somalische Bevölkerung ist es ein Signal der Solidarität."
Angesichts einer Staatsverschuldung von über zwei Milliarden US-Dollar, denen lediglich Einnahmen von schätzungsweise 84 Millionen US-Dollar pro Jahr entgegenstehen, ist Somalia auf den guten Willen der Geber angewiesen. Doch auch die haben ein erhebliches Interesse an einem stabilen Somalia: Laut Weltbank-Berechnungen kostet der Staatszerfall am Horn von Afrika - etwa aufgrund von Piraterie - die Weltwirtschaft jährlich 18 Milliarden US-Dollar.
Effektive Regierung
Der UN-Sondergesandte für Somalia, Augustine Mahiga, zog auf einer Pressekonferenz Mitte April 2013 eine äußerst positive Bilanz der ersten sechs Regierungsmonate. Die Situation habe sich "ganz erheblich" verbessert, so Mahiga. Es gäbe nun eine "effektive, repräsentativere Regierung" mit Einfluss über die Grenzen Mogadischus hinaus. "Der Eindruck der vergangenen 22 Jahre, dass es in Somalia keine effektive Zentralregierung gibt, hat sich erheblich gewandelt", so der Diplomat.
Nicht alle sehen das so. "Das Hauptdilemma der Regierung in Mogadischu ist genau dieses: Sie ist eine Regierung nur in Mogadischu und hat keine Wirkungsmächtigkeit in der Fläche", sagt Annette Weber, langjährige Somalia-Beobachterin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Entscheidend sei nun, so Weber weiter, dass die Zentralregierung ihre Autorität vor allem auf das südliche Kismayu, das ehemalige Rückzugsgebiet der Al-Schabaab-Extremisten, ausdehnen könne.
Die neue Regierung genießt einen Vertrauensvorschuss bei den Somalis in der Diaspora. Seit Jahresbeginn kehren viele aus den USA, Großbritannien und dem benachbarten Kenia zurück. Manche haben gut bezahlte Jobs und eine sichere Existenz aufgegeben, um beim Wiederaufbau in der Heimat zu helfen oder Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Die wenigen Fluglinien, die Mogadischu ansteuern, sind auf Wochen im Voraus ausgebucht. An den legendären Stränden von Mogadischu, die die Italiener einst die "Perle am Indischen Ozean" tauften, ist heute wieder Badebetrieb; selbst die schrillen Klingeltöne der Mobiltelefone, die unter Al-Schabaab-Milizen strengstens verboten waren, sind zurück.
Weitere Anschläge in Mogadischu
Doch die Anschlagsserie der vergangenen drei Wochen hat die Euphorie erheblich gedämpft. Bei einer Reihe von koordinierten Selbstmordattentaten kamen am 14. April 34 Menschen ums Leben - der bislang tödlichste Anschlag seit dem Amtsantritt der neuen Regierung. Eine Woche später wurde mit Mohamed Ibrahim Rageh der vierte Journalist in diesem Jahr getötet. Und es besteht wenig Zweifel, dass der Selbstmordanschlag vom vergangenen Sonntag (05.05.2013) mit mindestens 11 Toten ein Zeichen nach London senden sollte. Er richtete sich gegen eine hochrangige Delegation aus Katar. Das Scheichtum sitzt bei der Konferenz als wichtiger Somalia-Vermittler mit am Tisch.
Der UN-Sondergesandte, Augustine Mahiga, warnt "dass sich Al-Schabaab auf Terrorangriffe spezialisiert hat". Er befürchte weitere Angriffe aus dem Hinterhalt, vor allem "Sprengstoff- und Selbstmordanschläge". Die Sicherheitslage ist auch das Top-Thema der Somalia-Konferenz in London. Mit der Absage der Somaliland-Delegation, der ehemaligen britischen Kolonie und selbsterklärten Autonomieregion in Norden Somalias, steht eine politische Einigung mit Somalia weiter aus. Somaliland hatte 1991 seine Unabhängigkeit erklärt und bemüht sich seitdem international um Anerkennung.
Bisher keine großen Fortschritte
"Die massiven Fortschritte, die man sich wünschen würde, sind bislang ausgeblieben", bilanziert Somalia-Experte Markus Höhne vom Max-Planck-Institut in Halle. Dies sei angesichts der schwierigen Situation zwar nicht erstaunlich - Höhne sieht dennoch allenfalls "Babyschritte hin zu einer möglichen Stabilisierung Somalias".
Auch für Deutschland wird die Londoner Konferenz ein Gradmesser für die seit Jahren andauernde Unterstützung des somalischen Friedensprozesses, der sich vor allem auf den Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen konzentriert. Berlin zahlt zudem einen erheblichen Teil der EU-Hilfsgelder, die an das von Hungersnöten heimgesuchte Land fließen. Weil man in Berlin offenbar zufrieden mit den Fortschritten der neuen Regierung ist, hat Deutschland jüngst zum ersten Mal nach zwei Jahrzehnten wieder eine Botschafterin für Somalia ernannt. Aus Sicherheitsgründen residiert diese jedoch zunächst weiter in Nairobi. Auch die britischen Behörden nehmen ihre neu eröffnete Botschaft erst im Juli in Betrieb.