Terror im Norden: Benin in Alarmbereitschaft
22. März 2022Hanasse Alidou sitzt vor seinem Haus, das in Akassato im Süden Benins liegt. Der 35-Jährige hat Linguistik studiert und wohnt hier mit seiner Frau und den beiden Kindern. Als Linguist arbeitet er jedoch nicht. Er ist Imam der Moschee, die gleich neben dem Wohnhaus steht. "Um Imam zu werden, muss man den Koran gut rezitieren und übersetzen können. Schon als Kind bin ich immer in die Koranschule gegangen", sagt Alidou. Wichtig sei jedoch noch etwas anderes: ein gutes Gespür für die Gemeinde zu haben und bei Konflikten vermitteln zu können.
Das ist in Benin, wo 13 Millionen Menschen leben, bisher nicht allzu häufig notwendig gewesen. Das Land gilt bisher als vorbildlich, was das gute Zusammenleben der Religionen angeht. Nicht nur Christentum und Islam sind hier beheimatet. Offiziell bekennen sich rund sechs Prozent der Bevölkerung zum Voodoo, einer alten, ebenfalls anerkannten Religion. "Es gibt keine Anzeichen für eine Verschlechterung der Beziehungen", sagt Boris Kpenetoun, stellvertretender Sekretär für den interreligiösen Dialog bei der katholischen Bischofskonferenz von Benin, der DW. "Die Gläubigen können die Dinge voneinander unterscheiden. Mit Extremismus haben wir nichts zu schaffen."
Anschläge sorgen für Anspannung und Misstrauen
Trotzdem verliert das Zusammenleben an Leichtigkeit. Grund dafür sind mehrere Terroranschläge, die in letzter Zeit den Norden des Landes erschüttert haben. Zwischen Ende November und Anfang Februar verübten mutmaßliche Terroristen gleich drei Angriffe: in den Städten Porga und Banikoara und zuletzt auf dem Gebiet des seit Jahren geschlossenen Nationalparks W, den die südafrikanische Organisation African Parks betreibt. "Gerade in den Grenzgebieten haben die Menschen Angst", sagt Priester Kpenetoun.
Selbst wenn die Orte der Anschläge weit über 600 Kilometer entfernt liegen, ist Imam Alidou besorgt. "Ich bete jeden Tag dafür, dass das nicht hierherkommt. Es ist wichtig, die Menschen zu sensibilisieren." Ein Vorwurf steht immer wieder im Raum, auch wenn er nicht ausgesprochen wird: "Der Terrorismus wird mit dem Islam verbunden. Dabei sind auch wir die Feinde der Terroristen. Im Koran steht, wer jemand zu Unrecht tötet, tötet die ganze Menschheit." Es gelte, darüber zu sprechen, Menschen zu sensibilisieren und aufmerksam zu sein. Auch Vertreter muslimischer Verbände bestätigen: Sie sind in Alarmbereitschaft und nehmen es sehr genau mit dem, was gerade gepredigt wird.
Islamistische Netzwerke dringen vor
Ein Grund für die Veränderung ist die schwere Sicherheitskrise in den Nachbarländern Burkina Faso und Niger, wo die islamistischen Organisationen "Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime" (JNIM) und der "Islamische Staat in der Größeren Sahara" (EIGS) aktiv sind. Auch im Nordwesten Nigerias nimmt die Gewalt seit Jahren zu. Radji Saïbou, Generalsekretär Benin der internationalen nichtstaatlichen Organisation "Religions for Peace", fordert deshalb: "Die Bekämpfung des Terrorismus darf sich nicht auf die Sahelstaaten beschränken. Es braucht einen globalen Ansatz." Die Gewalt, so erleben es die Menschen in Benin, ist längst über die Grenze geschwappt. So war die Lesart zumindest bisher: Verantwortlich sind andere, die die Bedrohung importieren. Aber ist das haltbar?
Schauplatz Parakou, drittgrößte Stadt Benins. Geografisch liegt sie eher im Zentrum, wird aber dem Norden zugerechnet. Schon im vergangenen Jahr wurde immer wieder hinter vorgehaltener Hand gesagt, es gebe hier Dschihadisten. Am Forschungsinstitut Lasdel (Forschungsinstitut zu sozialen Dynamiken und Entwicklung) geht der Sozialanthropologe Issifou Abou Moumouni nicht davon aus, dass es sich beim Islamismus um ein externes Phänomen handelt. "Bevor man irgendwo etwas unternehmen kann, muss man das Umfeld kennen. Dafür werden vor Ort gut informierte Personen benötigt. Das spricht also für Informanten, die Beniner sind."
Der Norden wird instabil
Bereits vor den ersten Anschlägen Ende November hat Issifou Abou Moumouni dazu geforscht. Untersuchungen hätten darauf hingedeutet, dass mutmaßliche Terroristen längst in anderen Orten wie Kalalé, Nikki oder Porga seien. Vorsicht und Misstrauen seien groß, etwa in Gesprächen. "Man weiß nicht, mit wem man gerade spricht. Deshalb redet man nicht offen über solche Akteure." Von verschiedenen Seiten heißt es, dass die Regierung durchaus in Alarmbereitschaft sei. Es sei aber möglich, dass die Entwicklung anfangs unterschätzt worden sei, so der Sozialanthropologe.
Nach Einschätzung des niederländischen Clingendael Instituts für internationale Beziehungen destabilisieren zudem lokale Konflikte den Norden. Neben Spannungen zwischen Farmern und Viehhirten kritisiert eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie die Verwaltung von African Parks, die auch den Park Pendjari betreibt. In den Naturschutzgebieten komme es zu Konflikten zwischen Parkwächtern und der lokalen Bevölkerung. Die riesigen unbesiedelten Gebiete seien zudem ideale Rückzugsorte für Dschihadisten und organisierte Banden.
Kontakte nach Saudi-Arabien und Kuwait
Spekuliert wird außerdem darüber, welchen Einfluss Staaten wie Kuwait und Saudi-Arabien ausüben. Durch den Bau von Moscheen sind sie gerade rund um Parakou, aber auch an der Straße nach Djougou allgegenwärtig. Neben den Moscheen entstehen Schulen und Brunnen. Priester Boris Kpenetoun spricht von einer "Islamisierung der Bevölkerung". Starke Veränderungen in Richtung der islamischen Strömung des Wahhabismus, auf die Islamisten bauen, beobachten Experten bisher aber nicht.
Zurück in Akassato. Auch Imam Hanasse Alidou hat Kontakte nach Saudi-Arabien und hofft auf ein Stipendium: "Ich möchte gerne dort studieren, um alles, wovon ich gehört habe, mit eigenen Augen zu sehen." Den Islam in Benin will er aber auf keinen Fall verändern. "Die, die das tun wollen, verfolgen eigene Interessen", sagt er bestimmt.