Ash Barty - ein ungewöhnlicher Weg
25. März 2022Mitten in einer neuerlichen Corona-Welle und beladen mit den großen Erwartungen der australischen (Tennis-) Nation trug Ash Barty im Janaur 2022 den gesamten Erwartungsdruck auf ihren schmalen Schultern. Vor der Pandemie hatte die Weltranglistenerste bei den Australian Open 2020 noch eine schmerzhafte Halbfinalniederlage erlitten. Zwei Jahre später, nach der COVID-bedingten Turnierpause, wartete das heimische Publikum sehnsüchtig darauf, dass ihr Star endlich eine Erfolgsstory abliefert.
Und Barty bediente ihr Publikum. Sie gewann ihren ersten Grand-Slam-Titel in ihrem Heimatland und war damit die erste Australierin seit Chris O'Neil im Jahr 1978 - und, was für Barty vielleicht noch wichtiger ist: Sie war die erste indigene Frau seit Evonne Goolagong Cawley im Dezember 1977, der dies gelang. "Ich bin eine stolze Ngarigo-Frau. Eine sehr, sehr stolze indigene Frau", hatte Barty zu Turnierbeginn gesagt. "Ich liebe mein Erbe. Ich liebe es, mein Erbe zu zelebrieren. Das ist es, was mich mit Ihnen allen hier verbindet. Es ist das, was mich mit dem Land verbindet. Ich denke, es ist ein schöner Weg, um auszudrücken, wer ich bin."
Jeder weiß, dass die 25-Jährige eine äußerst begabte Tennisspielerin ist. Aber ihre Bekenntnisse waren zudem ein seltener und tiefer Einblick in das Herz sowie die Seele der Ausnahmesportlerin. Andererseits ist seit ihrem Durchbruch auf der Weltbühne als Teenager klar, dass die dreimalige Gland-Slam-Siegerin anders als die meisten Spielerinnen ist. Deshalb ist Bartys Rücktritt in so jungem Alter - als Titelverteidigerin von zwei Grand-Slam-Turnieren und als Nummer eins seit über 100 Wochen - vielleicht gar nicht so eine große Überraschung, wie es zunächst aussah.
Probleme im Rampenlicht zu stehen
Bartys Karriere zeichnete sich durch großes Selbstbewusstsein sowohl auf dem Platz als auch außerhalb aus. Sie nahm ihre Position als Spitzensportlerin und kulturelles Vorbild an, erkannte aber auch, wann Veränderungen erforderlich waren.
Nach Angaben des australischen Statistikamtes aus dem Jahr 2012 waren nur 23 Prozent der indigenen Frauen Australiens körperlich aktiv oder trieben Sport. Demgegenüber standen 67 Prozent der nicht-indigenen Frauen, die Sport betrieben. Umso beeindruckender ist Bartys Aufstieg als talentierte, vielseitige Spitzensportlerin.
Die talentierte Sportlerin aus dem australischen Bundesstaat Queensland startete ihre Karriere so richtig, als sie 2011 den Titel im Junioren-Einzel in Wimbledon gewinnen konnte. In den folgenden zwei Jahren erreichte Barty zwar drei Grand-Slam-Finals im Doppel. Im Einzelwettbwerb aber hatte sie Mühe, sich in der damals von Serena Williams, Victoria Azarenka und Maria Sharapova dominierten Tennis-Weltspitze durchzusetzen.
Deshalb wählte Barty einen ungewöhnlichen Weg. Denn vor acht Jahren war es noch weit weniger üblich, im Sport eine "psychische Pause" einzulegen. Daher waren alle, die den Aufstieg des Teenagers verfolgten, überrascht, als sich Barty im September 2014 dazu entschied, eine zunächst unbefristete Pause vom Tennis zu nehmen. Diese Entscheidung fällte die 18-Jährige nur wenige Wochen nach ihrem bis dahin größten Erfolg: dem Erreichen der ersten Runde der US Open - dem ersten Mal, dass sie ohne Wildcard an einem Grand-Slam-Turnier teilnahm.
Sie hatte stets Probleme damit, im Rampenlicht zu stehen. Zudem fiel ihr der Umzug von Queensland nach Melbourne schwer. Daraufhin traf Barty die schwierige Entscheidung, sich zurückzuziehen, entschied sich gegen ein "Protected Ranking" (dem künstlichen Einfrieren ihrer Position in der Weltrangliste) und kümmerte sich erst einmal um ihre psychische Gesundheit. Zurück in ihrer gewohnten Umgebung konzentrierte sich Barty darauf, ihr Gleichgewicht wiederzufinden, sich wieder mit ihrer Gemeinde zu verbinden und Kinder zu trainieren, was ihr Erfüllung brachte.
Cricket zum Kraft tanken
Im Jahr 2015 wurde Barty eingeladen, beim Abendessen des australischen Frauen-Cricket-Nationalteams eine Rede zu halten. Und dabei entfachte ihre Leidenschaft für diesen Sport vollständig. Da traf es sich gut, dass gerade eine neue, professionelle Cricket-Frauenliga in Australien ins Leben gerufen wurde. Obwohl sie nur eine minimale Cricket-Ausbildung genossen hatte, erhielt Barty einen Profivertrag für Brisbane Heat in der ersten Women's Big Bash League (WBBL) - nachdem sie Cheftrainer Andy Richards in ein paar Trainingseinheiten überaus beeindruckt hatte.
"Ihre Fähigkeiten waren aus Sicht eines Trainers vom ersten Moment an, als sie den Schläger in die Hand nahm, herausragend", sagte Richards. "Sie hat in ihrem ersten Training keinen einzigen Ball verfehlt. Das ist es, was mich an ihr als Spielerin fasziniert hat: ihre Fähigkeit, Dinge wirklich schnell zu lernen." Auch wenn sich Richards nur auf ihre Cricket-Fähigkeiten bezog, war dies ein weiterer Hinweis darauf, wie Barty tickt. Neben ihrem unbestreitbaren Naturtalent verfügt sie über einen klaren Verstand.
Der Beginn einer neuen Episode
Die Zeit, in der Barty in einem Team um Siege spielte und kämpfte, gab ihr neue Kraft. Sie kehrte einige Wochen nach dem Ende der WBBL-Saison Anfang 2016 zum Tennis zurück. Drei Jahre später gewann Barty bei den French Open 2019 ihren ersten Grand-Slam-Titel. Zwei Jahre später wiederholte sie das Kunststück ihres Idols Goolagong Cawley, indem sie Wimbledon gewann - genau 50 Jahre nachdem Cawley als erste australische Aborigine in London gewonnen hatte.
Als sie in Melbourne ihren dritten Grand-Slam-Titel vor den Augen der australischen Fans gewann - ohne einen Satz abzugeben - hatte sie eine erstaunliche Wende vollzogen. Und das auf ihre ganz eigene Art. Barty, die sich nie für Glanz und Glamour die der Erfolg in ihrem Sport mit sich bringt, interessierte, sagte bei ihrer Rücktrittsankündigung, dass ein Sieg in ihrem Heimatland "der perfekte Weg" sei, um Feierabend zu machen. Für manch einen Beobachter mag diese Entscheidung eine Überraschung gewesen sein. Aber angesichts dessen, wie Barty bislang ihr Leben gelebt hat, ist dies nur eine weitere, selbstbestimmte Episode.
Aus dem Englischen adaptiert von Jörg Strohschein.