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Techau: Ungewöhnliche Koaliton gegen IS

Bernd Riegert23. September 2014

Die USA wollen Führungsstärke beweisen und brauchen im Kampf gegen IS-Terroristen die NATO und Europa nicht, meint der Sicherheitsexperte Jan Techau in Brüssel im DW-Interview: Deutschland könne sich raushalten.

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Jan Techau Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden in Brüssel
Bild: DW/B. Riegert

Deutsche Welle: Die USA führen den Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) mehr oder weniger alleine, nur mit arabischen Verbündeten. Warum haben die Europäer, warum hat die NATO da keine Rolle?

Jan Techau: Ein großer Teil der NATO-Verbündeten will nicht mitmachen. Ein Szenario wie im Libyen-Einsatz, wo einige wenige NATO-Staaten vorangehen konnten und die restlichen dann stillschweigend zugestimmt haben und die NATO dann genutzt werden konnte, war in diesem Fall nicht vorgesehen. Das ist der eine Grund. Der andere Grund ist, dass die Amerikaner zwar gerne eine breite Koalition wollen, im Irak sind die Franzosen ja mit dabei, aber dass sie die NATO in diese Veranstaltung nur ungern reinziehen wollen. Es ist viel einfacher, eine solche Aktion in einem kleineren ad hoc zusammengestellten Kreis durchzuführen. So dient das im Grunde beiden Seiten: Die NATO ist zufrieden, dass sie nicht mit drin ist, und die USA haben eine Koalition, die sie sehr viel einfacher leiten können.

Wird das so bleiben, wenn dieser Einsatz länger dauert? Muss man dann mehr Verbündete mit ins Boot holen?

Wenn sich die Situation ausweitet und daraus eine größere militärische Operation wird, dann könnte es sein, dass sich entsprechend auch die Koalition vergrößert. Es könnte passieren, dass sich irgendwann das Kalkül ändert und man sagt, die NATO als multi-laterales Forum ist durchaus geeignet. Aus zwei Gründen: Die NATO ist in der Lage, multinationale Koalitionen zu führen. Sie hat die Hauptquartiere und die eingeübten Mechanismen, um so etwas zu machen. Zweitens würde die NATO zusätzliche Legitimation mitbringen. Das ist ein Klub der Demokratien. Wenn die Ja sagen, hat das schon eine Außenwirkung, die positiv sein kann in so einem Fall. Im Moment ist es aber noch nicht so weit. Ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich, aber es ist überhaupt nicht undenkbar.

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Die Europäer haben ein großes Interesse daran, dass der "Islamische Staat" bekämpft wird, weil es auch für Europa eine Bedrohung durch Terror gibt. Kann es denn den Amerikanern auf Dauer recht sein, dass sie das sozusagen alleine machen müssen?

Im Moment kommt es Präsident Obama ganz gelegen, dass er hier amerikanische Führungsstärke demonstrieren kann. Er wurde ja kritisiert dafür, dass er nicht führt und entschieden genug an die Sache rangeht. Und dass er es nicht schafft, Koalitionen zu bilden. Jetzt hat er eine sehr ungewöhnliche Koalition hinbekommen und er zeigt Stärke. Das ist für ihn politisch sehr günstig, da er die Lorbeeren einheimsen kann. Es kann aber auch sein, wenn sich die Situation länger hinzieht und komplizierter wird, dass man dann mehr Akteure haben will, um es auf mehr Schultern zu verteilen. Dann werden die amerikanischen Nachfragen, wer noch alles teilnehmen möchte, auch noch einmal insistierender werden.

Und dann können die Deutschen aber trotzdem auf ihrem Standpunkt bleiben, militärisch engagieren wir uns nicht?

Die Deutschen können, glaube ich, sehr gut auf diesem Standpunkt bleiben. Sie haben sehr früh entschieden, dass sie das nicht wollen und das es nicht in Frage kommt. Ich muss auch ehrlich sagen, im Kreis der NATO-Verbündeten rechnet man auch kaum damit, dass die Deutschland sich an so etwas beteiligt. Man kennt die Position ja seit vielen Jahren. Deutschland ist da nicht gefragt. Man ahnt schon, dass da ohnehin nichts kommen wird. Insofern ist das für Berlin noch eine ganze Weile durchzuhalten.

Wie wirkt sich dieser Militäreinsatz auf das Verhältnis zu Russland aus, wenn man das größere Europa betrachtet? Russland ist mit Syrien verbündet. Russland sagt, das sei ein Bruch des Völkerrechts, der da stattfindet. Gleichzeitig haben wir die Krise in der Ukraine. Das scheint doch alles sehr kompliziert. Alles hängt mit allem zusammen?

Russland steckt ganz klar in einem Dilemma. Russland hat sich sehr frühzeitig positioniert und das Assad-Regime in Syrien gestützt. Jetzt würde eine Unterstützung von Militäreinsätzen in Syrien die Fiktion, dass Assad dieses Land noch souverän beherrscht, unterminieren. Deshalb kann Russland da nicht aus seiner Haut. Andererseits hat Russland ein sehr starkes Interesse daran, die IS-Milizen nicht zu groß werden zu lassen, damit sie kein echter destabilisierender Faktor in der Region wird.

Das heißt, hier wäre es eigentlich ein Verbündeter des Westen, es hat eine sehr ähnliche Interessenlage. Die Frage für die Russen ist, welches Interesse überwiegt? Der Schutz Assads oder aber die Teilnahme an einer Koalition, deren Ziele den Russen auch naheliegen? Im Moment ist es noch klar, dass der völkerrechtliche Ansatz Assad zu schützen, für die Russen noch wichtiger ist. Dieses Kalkül kann sich aber ändern. Dann sieht man vielleicht auch ein verändertes Verhalten. Man ja durchaus Signal von Präsident Putin vernommen, nach denen er sich durchaus eine veränderte russische Position vorstellen kann.

Wie ist das mit der Rolle der Türkei? NATO-Mitglied, enger Verbündeter der USA, grenzt direkt an den Konflikt. Wie soll, wie kann sich die Türkei verhalten?

Die Türkei ist einem großen Zwiespalt, ja mehrfach gespalten. Die IS-Milizen sind ganz klar Feinde der Türkei. Die Türken haben allerdings zu Beginn mit einem gewissen Wohlwollen auf diese Miliz geschaut, auch weil man den gemeinsamen Feind Assad hatte. Dann gibt es noch ein ganz starkes kurdisches Element. Die Kurden werden ja vor Ort benutzt, um es einmal so zu sagen, um dort die Drecksarbeit gegen IS zu leisten. Man baut sehr stark auf die Kurden als westliche Expeditionsarmee, wenn man es so sagen will.

Für diese Leistung, für den Westen, westliche und auch türkische Interessen, in den Krieg zu ziehen, wollen die natürlich politische entschädigt werden. Die wollen dafür einen Preis ausgezahlt bekommen, und zwar die Vereinigung der Kurden unter einem Staatsdach. Das ist das maximale Fernziel. Das kann die Türkei nicht wollen, weil das bedeutet, ein Teil der Türkei ginge verloren. Zwischen diesen Interessen ist die Türkei gespalten. Sie hat sich bislang eher passiv verhalten, ist als NATO-Partner eher im Hintergrund geblieben. Wenn sich die Situation zuspitzt, wird sie aber Farbe bekennen müssen. Diese Art von Neutralität wird auf Dauer wohl nicht durchgehalten werden.

Jan Techau ist Leiter der europäischen Niederlassung der amerikansichen Carnegie-Stiftung in Brüssel. In der Denkfabrik beschäftigt er sich vor allem mit europäischen und sicherheitspolitischen Fragestellungen. Jan Techau hat am NATO-Defense-College, der Militärhochschule der Allianz, und im Bundesministerium der Verteidigung gearbeitet.