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Taliban: Afghanistans Machthaber setzen auf Kooperation

4. März 2024

Die Taliban sind international nicht als Regierung von Afghanistan anerkannt. Doch Kabul gelingt es, seine regionalen Kontakte auszuweiten. Im Zentrum: wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Kampf gegen Terrorismus.

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China I Botschafter Zhao Sheng
Chinas neuer Botschafter in Afghanistan, Zhao Sheng (links), trifft den Taliban-Premier Mohammad Hasan Akhund in Kabul, 13. September 2023, Bild: Taliban Prime Minister Media Office

Ende Januar herrschte in Kabul reges diplomatisches Treiben. Elf Staaten waren der Einladung der Taliban zu einem mit "Afghanistans regionale Kooperationsinitiative" überschriebenen Treffen gefolgt. Erörtert wurden die Chancen regionaler Zusammenarbeit.

Der Einladung gefolgt waren Vertreter Indiens, Kasachstans, der Türkei, Russlands, Chinas, Irans, Pakistans, Usbekistans, Turkmenistans, Indonesiens und Kirgisistans, teilte das den Machthabern in Kabul unterstehende afghanische Medien- und Informationszentrum mit.

Konkrete Ergebnisse des Treffens wurden bislang nicht bekannt. Doch die Konferenz unterstreicht den Willen des Regimes in Afghanistan, mit den Nachbarstaaten gute Beziehungen aufzubauen.

Dabei können die Taliban auf erste Erfolge verweisen. So nahm ebenfalls Ende Januar der offizielle Gesandte Afghanistans in China, Bilal Karimi, in Peking sein Akkreditierungsschreiben entgegen.

Zwar stellte China klar, dass diese diplomatische Beglaubigung nicht die offizielle Anerkennung der derzeitigen Machthaber Afghanistans durch Peking bedeute.

Dennoch haben sich die beiden Länder nach der Machtübernahme der Taliban einander angenähert. So unterzeichneten mehrere chinesische Unternehmen 2023 einem Bericht des Nachrichtensenders Al Dschasira zufolge eine Reihe von Geschäftsverträgen mit den Taliban. Dazu zählt auch ein über 25 Jahre laufender Vertrag zur Ölförderung mit einem geschätzten Investitionswert von 150 Millionen US-Dollar im ersten Jahr und bis zu 540 Millionen US-Dollar für die folgenden drei Jahre.

Auch der Iran pflegt seit Jahren engere Beziehungen zu Kabul. Der iranische Botschafter und Sondergesandte für Afghanistan, Hassan Kazemi Qomi, war bereits im Oktober 2021, also kurz nach der Machtübernahme der Taliban, ernannt worden.

Mit diesem Schritt erkennt der Iran die Taliban als Regierung zwar nicht an. Doch Teheran signalisiert auf diese Weise, dass es Kontakte zu den Taliban als förderlich für die gesamte Region ansieht. Ähnlich sieht das offenbar Indien. Beide Länder wollen die politische Stabilität Afghanistans fördern, zitiert der afghanische Nachrichtensender Tolo News den iranischen Sondergesandten Qomi nach seinen Besuch im indischen Außenministerium. Ein zentrales Thema des Treffens im November 2023 war laut dem Bericht in Tolo News eine noch zu gründende regionale Kontaktgruppe Afghanistan.

Pakistanische Lkws an der Grenze zu Afghanistan, 2016
Wiederauflage des Handels wie in vergangenen Zeiten? Pakistanische Lkws an der Grenze zu Afghanistan im Jahr 2016Bild: ZUMA Press/IMAGO

Konkrete Interessen stehen im Vordergrund

Entwicklungen in der Region wie diese spiegeln einen Trend wider hin zu diplomatischen Beziehungen mit Afghanistan. Immer mehr Nachbarstaaten entscheiden sich einem Report des Thinktanks International Crisis Group (ICG) zufolge dazu, sich dem Regime in Kabul anzunähern. "Wir können nicht warten, bis sich die Stimmung im Westen zu Gunsten der Taliban ändert", zitiert der Report einen namentlich nicht genannten Diplomaten aus der Region. "Wir sind hier an der Front".

Für die Taliban sei die Annäherung an seine Nachbarn ein Gewinn, sagt Thomas Ruttig, Mitbegründer der unabhängigen Denkfabrik "Afghanistan Analysts Network", im DW-Interview. Internationale Anerkennung hätten die Taliban bereits während ihrer Herrschaftszeit Ende der 1990er Jahre angestrebt. Jetzt sähen sie, dass es im Westen enorme Hürden für Kontakte zu ihnen gibt, die insbesondere auf der Politik der Taliban gegenüber der eigenen Bevölkerung, vor allem der Unterdrückung der Frauenrechte, gründeten. "In der Folge konzentrieren sich die Taliban jetzt auf die Staaten innerhalb der Region, denn der Kontaktaufbau dorthin erweist sich als etwas leichter."

Bei der Annäherung gehe es nicht so sehr um ideologische Gemeinsamkeiten, heißt es in dem ICG-Report. Auf der Agenda stünden vielmehr konkrete politische Interessen, ganz wesentlich auch das Bestreben, die regionale Sicherheit und Stabilität aufrechtzuerhalten.

Ein vollverschleierte Afghanin
Werden weiter missachtet: Frauenrechte in AfghanistanBild: SHAH MARAI/AFP via Getty Images

Terrorismusbekämpfung

Dieser Aspekt sei für Afghanistans Nachbarn zentral, sagt Thomas Ruttig. Für die zentralasiatischen Republiken nördlich Afghanistans, aber auch für China und Iran sei die Bedrohung durch den Islamlischen Staat Provinz Khorasan (ISKP), den regionalen Ableger des Dschihad-Organisation Islamischer Staat (IS), das zentrale Motiv, ihre Beziehungen zu den Taliban auszubauen.

Wie problematisch der Kampf gegen den Terrorismus ohne internationale Zusammenarbeit ist, zeigt sich etwa am Beispiel Pakistans. Seit der Machtübernahme der Taliban haben die Terroranschläge in Pakistan der Webseite "The Diplomat" zufolge erheblich zugenommen - im Jahr 2023 um knapp 70 Prozent. Dabei seien 974 Menschen ums Leben gekommen, rund 1350 Personen seien verletzt worden. Bislang seien die Taliban gegen die Terrorgruppe Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) nicht vorgegangen - entweder, weil sie dazu nicht in der Lage sind oder um politischen Druck auf das Nachbarland auszuüben. Auch als Gegenreaktion darauf, so vermutet "The Diplomat", habe Pakistan hunderttausende afghanische Geflüchtete abgeschoben. Dennoch sind die beiden Staaten in Wirtschaftsfragen im Gespräch, so etwa zur Einrichtung neuer Handelsrouten. 

Die meisten betroffenen Staaten setzten aber auf Zusammenarbeit, so Ruttig. "Sie hoffen darauf, dass die Taliban gegen ihre wichtigsten innenpolitischen Feinde vorgehen. Im Gegenzug winken die Nachbarstaaten mit diplomatischer Anerkennung. Zwar gehen die Taliban gegen einige Gruppen vor, aber nicht gegen alle. So weigern sie sich bislang etwa, Uiguren nach China auszuliefern. Die Vorgängerregierung hatte das noch getan."

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Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Der zweite Aspekt der regionalen Annäherung umfasst die wirtschaftlichen Interessen. Nach Ende des Krieges in Afghanistan nehme der Handel langsam Fahrt auf, heißt es in der ICG-Studie. Diese gelte ganz wesentlich für den Energiesektor. So suchten die zentralasiatischen Länder neue Abnehmer, während die Länder im Süden der Region ihre Importe zu steigern versuchten. 

Den Handelsbeziehungen stünden allerdings weitere Hindernisse im Weg - neben der unübersehbar katastrophalen Situation der Menschenrechte vor allem auch die in Afghanistan herrschende Rechtsunsicherheit. Langfristig bestehe aber die Hoffnung, den Handel auch im Kleinen zu beleben, so dass auch die breite Bevölkerung in den Genuss einer sich entfaltenden Wirtschaft komme.

Menschenrechte unter Druck

Der Afghanistan-Sondergesandte der EU, Tomas Niklasson, begrüßt die regionale Annäherung rund um Afghanistan. Nach 45 Kriegsjahren seien für Afghanistan gute Beziehungen zu seinen Nachbarn "essentiell" erklärte er kürzlich auf der Plattform X. Zugleich stellte er auch klar, worum es der EU bei diesen Kontakten in erster Linie gehe: die Rechte von Mädchen und Frauen, insbesondere das auf Bildung und Beruf, zu schützen.

Fraglich ist allerdings, ob sich die diplomatischen Beziehungen, die die Taliban knüpfen wollen, positiv auf die Menschenrechte auswirken werden. "Natürlich legen weder die Taliban noch Russland, China oder noch andere Staaten der Region ein besonderes Augenmerk auf Menschenrechte", sagt Thomas Ruttig. "Insofern fällt es ihnen prinzipiell leichter als dem Westen, Beziehungen zu den Taliban aufzubauen."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika