Tag der Entscheidung
16. April 2017Rund 55 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, sich an der Volksabstimmung zu beteiligen und mit Ja oder Nein über die Verfassungsänderung abzustimmen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen. Der Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selbst gab seine Stimme in Istanbul ab (Artikelbild, zusammen mit seiner Frau Emine und den Enkelkindern Mahinur und Ahmet Akif, Bildmitte mit Umschlag). Der Volksentscheid sei keine "gewöhnliche Anstimmung", sondern ein Votum über die Zukunft der Türkei, sagte Erdogan.
Überschattet wurde das Referendum durch einen Zusammenstoß in der mehrheitlich kurdischen Provinz Diyarbakir. Dort wurden zwei Menschen getötet als es vor einem Wahllokal zu einem Streit kam. Mehrere Beteiligte waren nach Berichten der Nachrichtenagentur DHA mit Messern und Schusswaffen aufeinander losgegangen.
In Berichten aus der Kurdenmetropole Diyarbakir ist außerdem davon die Rede, dass Wahlbeobachter der Opposition bei ihrer Arbeit durch die Polizei behindert würden. Der Abgeordnete der pro-kurdischen HDP, Ziya Pir, äußerte sich entsprechend gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Polizisten hätten Wahlbeobachter seiner Organisation und der größten Oppositionspartei CHP abgeführt. Hintergrund sei, dass auf Wahlbeobachter-Karten der Betroffenen der Name beziehungsweise das Symbol ihrer jeweiligen Partei abgebildet sei, berichtete Pir telefonisch aus einem Wahllokal. Die Polizisten hätten argumentiert, dass die Verwendung von Parteisymbolen in Wahllokalen am Wahltag nicht gestattet sei.
Mehr Macht dem Präsidenten
Letzten Umfragen zufolge lagen die Befürworter einer Verfassungsänderung nur knapp vor den Gegnern. Weg von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einem Präsidialsystem - das ist der Plan des islamisch-konservativen Politikers Erdogan. Der Posten des Ministerpräsidenten, der die Regierung führt, entfiele. Der Präsident soll unter anderem das Recht erhalten, per Dekret zu regieren, den Ausnahmezustand zu beschließen, das Parlament aufzulösen, Minister zu ernennen und zu entlassen. Zudem soll er sechs der 13 Mitglieder im Rat der Richter und Staatsanwälte benennen können.
Erdogan argumentiert, in unruhigen Zeiten nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres sei eine starke Führung notwendig. Kritiker sehen die Demokratie, Menschenrechte und die Pressefreiheit in Gefahr. Zuletzt hatte Erdogan für den Fall seines Sieges beim Referendum die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht gestellt.
Zwei Ämter in einem
Sollte die Verfassungsreform die erforderliche Mehrheit von mehr als der Hälfte der Stimmen erzielen, dürfte Erdogan wieder Chef der Regierungspartei AKP werden - das Parteiamt musste er bei Antritt als Staatspräsident offiziell aufgeben. Umgesetzt würde die Reform schrittweise. Nach der für November 2019 geplanten Wahl würde der Präsident beide Ämter - das des Staats- und des Regierungschefs - übernehmen.
Erdogan ist seit 2014 Präsident der Türkei, nachdem er mehr als ein Jahrzehnt den Posten des Ministerpräsidenten inne hatte. Seit dem Putschversuch wurde der Ausnahmezustand im Land bereits zweimal verlängert, was Erdogan bereits erlaubt, per Dekret zu regieren.
Die letzten Wahllokale sollten um 17.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr MESZ) schließen. Wann endgültig feststeht, welches Lager gewonnen hat, hängt davon ab, wie knapp die Abstimmung ausgeht. Erste Ergebnisse werden noch am Abend erwartet.
ml/fab/rk (dpa, afp, rtr)