Türkei droht EU mit Grenzöffnung
5. September 2019Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Europa erneut gedroht, den Flüchtlingen die Tore zu öffnen, wenn sein Land nicht mehr Unterstützung erhalte. Während einer Rede in Ankara vor Provinzvorstehern sagte er, es könne sein, dass die Türkei dazu "gezwungen" sein werde, "die Türen zu öffnen". "Was die Lastenteilung der Flüchtlinge angeht, die wir als Gäste aufgenommen haben, haben wir von der Welt, und allen voran von der Europäischen Union, nicht die nötige Unterstützung erhalten. Um sie zu bekommen, kann es sein, dass wir dazu gezwungen sein werden, das zu tun."
Im Rahmen eines Flüchtlingspaktes zwischen EU und Türkei finanzieren EU-Staaten Hilfen für in der Türkei lebende Flüchtlinge und nehmen ihr schutzbedürftige Menschen aus Syrien ab. Gleichzeitig darf die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln, also in die EU, kommen, zurückschicken. Die Zahl der aus der Türkei kommenden Flüchtlinge war jüngst deutlich gestiegen.
Die EU hatte der Türkei im Flüchtlingsdeal von März 2016 sechs Milliarden Euro zugesagt. Erdogan wirft der EU aber regelmäßig vor, ihre Versprechen nicht einzuhalten, und droht mit einem Bruch des Abkommens. Nun sagte er, die Türkei habe 40 Milliarden Dollar für die Flüchtlinge ausgegeben, von der EU aber bisher nur drei Milliarden Euro erhalten. Wenn Europa keine weitere Hilfe gewähre, könne die Türkei die Last nicht länger schultern, warnte Erdogan.
EU-Sprecherin Natasha Bertaud sagte daraufhin, die EU vertraue darauf, dass sie die Kooperation mit der Türkei fortsetzen könne. Die EU leiste "substanzielle Unterstützung" für die Flüchtlinge in der Türkei. Bisher habe sie 5,6 der vereinbarten 6 Milliarden Euro bereitgestellt, und der Rest folge in Kürze, sagte Bertaud.
3,6 Millionen Syrer aufgenommen
Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland Syrien 2011 rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, mehr als jedes andere Land der Welt. Die von Willkommenskultur geprägte Stimmung hatte sich jüngst aber gedreht, vor allem wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage.
Erdogan sprach auch über eine in der Planung befindliche sogenannte Sicherheitszone in Nordsyrien und sagte, er wolle dort "mindestens eine Million" Flüchtlinge ansiedeln. Die Regierung sei "entschlossen, bis zur letzten Septemberwoche im Osten des Euphrat" mit der Einrichtung der Zone zu beginnen, wie die Türkei sie haben wolle. Die Türkei kontrolliert Teile von Nordsyrien, wohin nach türkischen Angaben bereits 350.000 syrische Flüchtlinge gebracht wurden.
Häuser in der Schutzzone
Die Türkei könne in der Zone Häuser anstelle von Zelten für Flüchtlinge errichten, sagte der Präsident. "Gebt uns logistische Unterstützung, und wir können Häuser bis 30 Kilometer weit in den Norden Syriens hinein bauen." Auf diese Weise könnten den Flüchtlingen menschenwürdige Lebensbedingungen geboten werden.
Die USA und die Türkei hatten sich Anfang August auf die Einrichtung der "Sicherheitszone" in Nordsyrien geeinigt. Bisher sind nur wenige Details bekannt. Die Türkei wünscht sich entlang der Grenze seit langem ein Gebiet, das unter ihrer alleinigen Kontrolle steht und aus dem sich kurdische Truppen zurückziehen. Die Gegend wird bisher von der Kurdenmiliz YPG kontrolliert, die Ankara als Terrororganisation betrachtet. Für die USA ist sie dagegen ein wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Erdogan warnte, wenn es keine Fortschritte gebe, werde die Türkei die "Sicherheitszone" "in der letzten Septemberwoche auf ihre eigene Weise" umsetzen. Insgesamt teilen die Türkei und Syrien vom Mittelmeer bis zum Tigris eine 900 Kilometer lange Grenze.
stu/qu (dpa, afp, rtr)