Kämpfer im Donbass
7. Juni 2014"Wir sind Kadyrowzy“, erzählen in Donezk bärtige Männer einem CNN-Korrespondenten vor laufenden Kameras stolz. Kadyrowzy - so heißen die Männer, die in Tschetschenien die Macht des Moskauer Statthalters Ramsam Kadyrow absichern. Sie sind berüchtigt für ihr brutales Vorgehen gegen Regimegegner in der südrussischen Konfliktregion.
Sie seien in den Donbass gekommen, um gegen die ukrainische Armee zu kämpfen, berichten die Männer gegenüber Journalisten. Ihr Bataillon nennen sie "Wostok" (Osten). Es trägt damit denselben Namen wie die Kampftruppe, die vor einigen Jahren auf Seiten Moskaus mithalf, den Aufstand separatistischer Kräfte in der Kaukasusrepublik niederzuschlagen.
Leichentransporte nach Russland
Offiziell ist die Anwesenheit solcher Kämpfer in der Ostukraine nicht bestätigt. Kiew behauptet das zwar, aber Russland bestreitet es. Auch Kadyrow selbst weist das zurück. Es seien keine tschetschenischen Spezialkräfte an der Seite prorussischer Einheiten im Donbass im Einsatz. Im russischen Fernsehen schloss er allerdings nicht aus, dass Freiwillige aus seiner Republik an den Kämpfen beteiligt sein könnten.
Immer mehr Menschen aus Donezk berichten unterdessen, dass Kämpfer kaukasischer Herkunft aktiv seien. Auch der Bürgermeister der Millionenstadt, Oleksandr Lukjantschenko, spricht davon. Unter den Toten und Verletzten der Kämpfe, die sich prorussische Separatisten mit ukrainischen Regierungstruppen vor einigen Tagen um den Flughafen der Stadt geliefert hatten, seien Tschetschenen aus den Städten Gudermes und Grosny, sagte der Bürgermeister. Auf TV-Bildern war zu sehen, wie deren Leichen in Särgen für die Rückführung auf Lastwagen verladen wurden.
Der russische Militärexperte Wladislaw Schurygin glaubt nicht, dass das Bataillon "Wostok" in der Ostukraine aus Spezialkräften besteht. "Ihm gehören Freiwillige an." Viele von ihnen hätten keine Kriegserfahrung. "Deshalb sind beim Kampf um den Flughafen in Donezk so viele von ihnen umgekommen", so Schurygin. Dem Experten zufolge sind nur zehn bis 15 Prozent aller Separatisten in der Ostukraine militärisch ausgebildet.
Kämpfer ohne einheitliches Kommando
Nach wie vor ist nur schwer auszumachen, wer alles auf Seiten der Separatisten kämpft. Auch die Zahl der Freischärler im Donbass ist unklar. Schätzungen zufolge sollen es mehrere Tausend sein, die teilweise über die hunderte Kilometer lange und nicht eindeutig markierte Grenze aus Russland in die Ukraine eingedrungen sind.
Eine einheitliche Kommandostruktur der Separatisten gibt es nicht. Die "Wostok"-Truppe in der Ostukraine beispielsweise steht unter dem Kommando von Alexander Chodakowski, einem früheren Mitarbeiter des ukrainischen Staatssicherheitsdienstes. Experten glauben deshalb, das Bataillon habe nichts mit der gleichnamigen tschetschenischen Truppe zu tun. Es heiße nur "Wostok", weil es im Osten der Ukraine kämpfe, meint Oleg Orlow von der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial". Das tschetschenische Bataillon 'Wostok' sei im Jahr 2008 aufgelöst worden, sagte er der Deutschen Welle.
Orlow ist erst vor kurzem von einer Reise durch den Donbass zurückgekehrt. Unter den prorussischen Kämpfern sind seines Erachtens keine Tschetschenen. "Aber es gibt dort Männer aus dem Kaukasus und Russland, die aus ihrer Herkunft keinen Hehl machen." Die Menschen in der Ostukraine würden Nord- und Südosseten für Tschetschenen halten. "Für die meisten sind bärtige Kaukasier gleich Tschetschenen", so der Menschenrechtler.
Viele paramilitärische Gruppen
Der amerikanische Experte Mark Galeotti vom "Center for Global Affairs" an der New Yorker Universität geht davon aus, dass es in der Ostukraine verschiedene paramilitärische Gruppierungen gibt. In manchen seien ehemalige Mitarbeiter ukrainischer Sicherheitsdienste aktiv. Sie hätten einst für Ex-Präsident Janukowitsch gearbeitet. Nach dessen Sturz seien sie zu den Separatisten übergelaufen. "Viele von ihnen waren bei 'Berkut'", sagte der Experte der DW. Janukowitsch hatte die Spezialeinheit gegen die Protestbewegung auf dem Maidan eingesetzt. Die neue Regierung in Kiew löste sie dann später auf.
"Es sind auch Einheimische aus der Ostukraine an Kämpfen beteiligt. Sie tragen ganz unterschiedliche Tarn-Uniformen", so Galeotti. Ihre Waffen hätten sie aus Polizeikasernen gestohlen. Für die Zivilbevölkerung seien diese Männer besonders gefährlich. "Sie wissen zwar, wie man mit einer Kalaschnikow umgeht, haben aber keine Ahnung von militärischer Ethik: kein Alkohol und keine Gewalt gegen Zivilisten", sagte Galeotti. Viele von ihnen seien schlicht "Banditen", die Verbindungen zur organisierten Kriminalität hätten.
Ferner gebe es ausländische Freiwillige oder bezahlte Söldner. Sie kämen vor allem aus Russland. "Unter ihnen sind durchaus gut ausgebildete Militärs, aber auch Abenteurer und radikale russische Nationalisten, die aus Überzeugung gegen die Ukrainer kämpfen", meint Galeotti. Viele von ihnen hätten moderne Waffen russischer Herkunft. Der US-Experte ist sich sicher, dass die Männer auch aus Russland bezahlt werden.
Reaktivierung von Tschetschenien-Kämpfern?
Galeotti schließt nicht aus, dass unter den Söldnern auch Mitglieder des einstigen tschetschenischen Bataillons "Wostok" sind. Formal habe die Truppe dem russischen Innenministerium unterstanden. Aber finanziert und verwaltet worden sei sie faktisch vom russischen Militärgeheimdienst GRU. "Nach der Auflösung des Bataillons habe der GRU den Kontakt zu den Männer aufrecht erhalten", so Galeotti. Manche seien bei der Polizei, andere bei privaten Sicherheitsfirmen untergekommen.
Diese Leute könnten nun für den Kampf im Donbass reaktiviert worden seien. "Jemand wollte Kräfte in die Ukraine schicken, die disziplinierter und effektiver sind als die Separatisten", vermutet Galeotti. Gerade sie könnten deshalb das Rückgrat der "Wostok"-Truppe in der Ostukraine bilden.