Syrische Kurden hoffen auf neue Allianzen
22. Januar 2014Die Schweizer Bühne bleibt ihnen verschlossen. Eine Zeit lang hatten die syrischen Kurden gehofft, mit einer eigenen Delegation an der "Genf II" genannten Syrien-Friedenskonferenzteilnehmen zu können. Doch die Einladungskarte blieb aus.
Dabei hatte die Konferenz Hoffnungen geweckt, etwas für die kurdische Sache tun zu können. "Wir werden nicht zulassen, dass Genf II ein weiteres Lausanne wird", erklärte Saleh Muslim, Co-Vorsitzender der Partei PYD ("Partiya Yekitîya Demokrat", "Partei der Demokratischen Union"), Anfang Dezember. Damit spielte er auf das 1923 in der Schweizer Stadt unter Federführung des Völkerbunds geschlossene internationale Abkommen an, in dem die kurz zuvor in Aussicht gestellte kurdische Autonomie wieder kassiert wurde. Seit "Lausanne" verteilt sich das Siedlungsgebiet der Kurden auf vier verschiedene Staaten: Iran, Irak, Syrien und die Türkei. Auf der Schweizer Konferenz, so hatten die syrischen Kurden gehofft, würde man auch über die Folgen dieser Aufteilung - politische, soziale und kulturelle Gängelung - und deren Überwindung sprechen können.
Angst vor Grenzverschiebungen
Langfristig aber werde die internationale Gemeinschaft das Gespräch mit den Kurden suchen, glaubt Saleh Muslim, der auch dem Kurdischen Hohen Komitee, dem Dachverband nahezu sämtlicher kurdischen Parteien in Syrien, angehört. Denn das für die Konferenz anvisierte Ziel einer Friedenslösung für Syrien lasse sich ohne Einbeziehung der Kurden nicht erreichen, erklärt der Politiker im Gespräch mit der DW. "Darum wird man früher oder später mit uns reden müssen."
Doch gegen diese Gespräche gibt es von verschiedenen Seiten Vorbehalte - aus unterschiedlichen Gründen. Allein der Gedanke an einen Kurdenstaat löse bereits erhebliche Sorgen aus, erläutert Guido Steinberg, Nahost-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, im Gespräch mit der DW. Das gehe einerseits auf nationalistische Vorurteile zurück, vor allem aber auf die Angst, die bestehenden Grenzen könnten verschoben werden.
Zwar strebten die syrischen Kurden eine "demokratische Föderation" an, erklärt Muslim. Doch die syrischen Staatsgrenzen wolle man nicht aufheben. Genau das fürchten aber nicht nur die syrischen Politiker, sondern auch die aus den Nachbarstaaten.
Tatsächlich, so Steinberg, würden jüngere Entwicklungen wie die Autonomie der irakischen Kurden und der Krieg in Syrien diese Grenzen zumindest gefährden. Es sei nicht absehbar, ob sie in ihrer derzeitigen Form erhalten blieben. "Wenn sie Bestand haben, werden sie viel weniger Bedeutung haben als sie es bis dato hatten", sagt Guido Steinberg. Aus diesem Grund gebe es in den Staaten der Region "eine ausgeprägte Furcht vor einem Kurdenstaat".
Kurdische Gebiete als Hort der Stabilität
Die Vorbehalte gegen die Kurden sind umso größer, weil diese sowohl in Syrien als auch im Irak politisches Geschick bewiesen haben. In beiden Ländern sind ihre Siedlungsgebiete Horte der Stabilität. Im Irak lassen sich die Kurden nicht in die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten hineinziehen. Und in Syrien haben sie es geschafft, ihre Region zumindest weitgehend aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten. Eine solche Erfolgsgeschichte könnte zumindest einige Bürger in der Region auf den Gedanken bringen, es ihrem Gesellschaftsmodell nachzutun.
Kurden suchen Unterstützung
Doch trotz - oder gerade wegen - dieses Erfolges ist es den syrischen Kurden nicht gelungen, internationale politische oder militärische Unterstützung zu finden. Das habe ideologische Gründe, erklärt Muslim. Die kurdische Opposition gegen Assad würde von linken und demokratischen Kräften getragen. "Und Staaten wie die Türkei, Saudi Arabien und Katar mögen diese Kräfte nicht."
Auch die westlichen Staaten zeigten sich zurückhaltend. Derzeit sind die Kurden in schwere Kämpfe gegen dschihadistische Verbände, allen voran gegen die Gruppe "Islamischer Staat im Irak und in (Groß)Syrien" (ISIS), verwickelt. In den von ihnen beherrschten Gebieten üben die ISIS-Milizen eine Schreckensherrschaft aus, zahlreiche ihrer Entführungsopfer werden auf brutalste Weise getötet. Vergeblich habe er westliche Politiker darum gebeten, die Kurden in ihrem Kampf gegen diese Gruppen zu unterstützen, berichtet Muslim.
Nach Einschätzung von Guido Steinberg hat diese Zurückhaltung taktische Gründe. "Die Europäer wissen ganz genau, dass sie sich bei den Arabern in Syrien und vielleicht auch noch bei den Arabern in den Nachbarstaaten verhasst machen, wenn sie mit der PYD intensiver zusammenarbeiten."
Neue Allianzen denkbar
Angesichts der Bedrohung durch die Dschihadisten könnte sich das aber ändern, sagt Guido Steinberg. "Im weiteren Verlauf des Bürgerkriegs könnte durchaus eine Situation entstehen, in der die Europäer und auch die Türken jeden Verbündeten benötigen, den sie bekommen können."
Langfristig, glaubt er, könnte es zu ganz neuen Allianzen kommen. Schon jetzt zeige sich, dass die Amerikaner sich zunehmend auf die Bekämpfung des Dschihadismus konzentrierten. "Und ich würde nicht ausschließen, dass sie auch einmal mit kurdischen Parteien wie der PKK oder der PYD zusammenarbeiten."