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Machtkämpfe im Irak

Kersten Knipp 9. Januar 2014

Im Irak findet die Gewalt kein Ende. Sie geht auf religiöse, politische und ökonomische Spannungen zurück, auf die die Politik bislang keine Antwort gefunden hat. Der Krieg in Syrien heizt die Gewalt zusätzlich an.

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5. Januar 2014: Aufständische in Falludscha (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Sadam el-Mehmedy/AFP/Getty Images

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki forderte am Mittwoch (08.01. 2014) die Bevölkerung auf, gegen Al-Kaida und andere islamistische Terrorgruppen zu kämpfen. Einen Tag später sprengte sich ein Attentäter vor einer Rekrutierungsstelle der irakischen Militärs in die Luft. Mindestens 22 Menschen riss er mit in den Tod. Gleichzeitig explodierte in Bagdad eine Autobombe - nach Presseberichten wurden mindestens 25 Menschen verletzt.

Zwar übernahm bislang niemand die Verantwortung für die Tat. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass die Täter aus dem Umfeld von Al-Kaida stammen. Sehr weit führt diese Vermutung allerdings nicht, denn das Umfeld von Al-Kaida lässt sich kaum mehr eingrenzen. Der Irak befindet sich in einem Netz schwer durchschaubarer Allianzen, in denen friedliche und gewaltbereite, gemäßigte und radikale Irakis wechselnde Bündnisse eingehen. Diese halten sich unterschiedlich lange: teils für mehrere Jahre, teils nur wenige Monaten oder Wochen.

Kultur der Gewalt

Verantwortlich für die instabilen Verhältnisse sei die als unbefriedigend empfundene irakische Machtverteilung, erklärt der Nahost-Experte Stephan Rosiny vom "German Institute of Global and Area Studies" (GIGA). Zwar hätten sich die drei großen konfessionellen beziehungsweise ethnischen Gruppierungen - Schiiten, Sunniten und Kurden - auf ein System der politischen Repräsentanz geeinigt, das sich auch in der Besetzung der Regierung spiegele. Doch die Sunniten, die das Land bis zum Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 beherrscht hatten, würden dem schiitischen Ministerpräsidenten al-Maliki vorwerfen, sich vor allem für die Interessen der Schiiten einzusetzen. Um die Spannungen zwischen den Gruppen zu überwinden, wäre ein System nötig, das auf deren politische und ökonomische Belange noch stärker Rücksicht nehme. Davon sei das Land aber weit entfernt. "Da die Konflikte seit 2003 immer auch gewaltsam ausgetragen wurden, wächst das Misstrauen eher noch, als dass es abgebaut wird", sagt Rosiny.

Das irakische Parlament (Foto: AP)
Forum der Konkurrenten: das irakische ParlamentBild: Karim Kadim/AP/dapd

Unruheprovinz Al-Anbar

Beispielhaft zeigt sich, wie sich die Folgen der ungelösten Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak in der Provinz Al-Anbar mit dem anderen regionalen Konflikt vermischen. Seit Monaten vernetzen sich Dschihadisten zwischen dem sogenannten "sunnitischen Dreieck" im Westen des Irak mit den radikalen Islamisten im syrischen Kriegsgebiet. So zogen in der vergangenen Woche Kämpfer der Terrorgruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS), die bereits Teile Syriens kontrollieren, in die Städte Falludscha und Ramadi ein, um von dort aus ihr Projekt eines vom Irak über Syrien und den Libanon bis in die palästinensischen Gebiete reichenden Kalifats voranzutreiben. Zwar entsandte die Regierung in Bagdad das Militär in die Provinz, das die Extremisten diese Woche wieder vertreiben konnte - zum Teil auch in Zusammenarbeit mit sunnitischen Stammesmilizen. Trotz dieses Erfolges bleiben die über Jahre gewachsenen Spannungen zwischen Sunniten und dem Militär weiter bestehen.

Al-Kaida macht sich die Spannungen zunutze

Dieses Verhältnis sei vor allem wegen des wechselseitigen Misstrauens so schwierig, berichtet das Nahost-Magazin Al-Monitor. So habe das irakische Militär auch gemäßigte Sunniten verdächtigt, Mitglieder terroristischer Vereinigungen zu sein. Willkürliche Verhaftungen waren an der Tagesordnung, der Umgang der Sicherheitskräfte mit den Gefangenen rüde. Auch der Krieg in Syrien habe die Spannungen erhöht: Die konkurrierenden Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien würden diesen auch als existenzielle Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten inszenieren. Das habe dazu beigetragen, die konfessionellen Spannungen auch im Irak weiter anwachsen zu lassen, so Al-Monitor.

4. Januar 2014: Bewaffnete Milizen in Ramadi (Foto: Reuters)
Machtprobe: Sunnitische Milizen rüsten sich für den Kampf gegen Al-KaidaBild: Reuters

Diesen Umstand mache sich dann wiederum das Terrornetzwerk um Al-Kaida zunutze, das sich als Schutzmacht der Sunniten darstelle. Bei einigen Bürgern verfange diese Ideologie, bei anderen nicht. Auch Säkulare stellten sich gegen die Regierung al-Maliki. "Waren die Tausende von Bewaffneten, die auf den Straßen von Anbar marschierten, tatsächlich allesamt Mitglieder von Al-Kaida?", fragt Al-Monitor. Das eigentliche Problem, folgert das Magazin, gehe über die aktuellen Spannungen hinaus: "Die Krise geht auf das über Jahre und Jahrzehnte zwischen den irakischen Städten, Bürgern und Konfessionen gewachsene Misstrauen zurück." Die Antwort darauf könne darum nur in einer nationalen, sämtliche Interessen berücksichtigenden Politik liegen.

Der Streit um das Öl

Ein solcher Prozess dürfte sich allerdings über viele Jahre erstrecken, befürchtet Irak-Experte Rosiny. "Die einzelnen Konfessionen sind auch territorial voneinander getrennt. In drei Provinzen leben überwiegend Sunniten, in drei anderen hauptsächlich Kurden, und in den übrigen vor allem Schiiten. Im Irak verbindet sich also konfessionelle und territoriale Konkurrenz." Das sei auch darum problematisch, weil sich die irakischen Erdölvorkommen hauptsächlich in den kurdisch und schiitisch dominierten Regionen befinden. In den drei sunnitischen Provinzen sei hingegen kaum Öl vorhanden.

27.12. 2013: Irakische Soldaten kontrollieren Verdächtige (Foto: Reuters)
Terroristen oder nicht? Irakische Soldaten verhaften verdächtige SunnitenBild: Reuters

Aufbau einer modernen Zivilgesellschaft

Umso mehr, heißt es in einem Kommentar der irakischen Zeitung Al-Mada, komme es darauf an, die Spannungen nicht durch Gewalt, sondern politisch zu lösen. "Es geht um den Aufbau eines demokratischen Staates auf Grundlage eines friedlichen Miteinanders der Bürger, freier Wahlen und eines friedlichen Machtwechsels. Es geht um eine moderne Zivilgesellschaft, um einen Staat für alle Bürger."