Hochmotivierte Rebellen
6. Januar 2014Wenn Bevölkerung und Stammesfürsten die "Terroristen" vertrieben, würde ihnen ein militärischer Angriff erspart, sagte al-Maliki. Die Islamisten, die Falludscha seit dem Wochenende besetzt halten, kommen von der Al-Kaida-nahen Gruppe "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" (ISIL), die auch als "ISIS" (Islamischer Staat im Irak und Syrien) bezeichnet wird.
Der Name untermauert den Anspruch der Miliz, die Macht in der gesamten Region - inklusive etwa Libanon und Palästina - zu übernehmen. Die Gruppe hatte sich 2006 und 2007 formiert, in der Phase des stärksten Widerstandes gegen die Besatzung des Irak durch die USA. Falludscha war schon zu diesem Zeitpunkt eine Hochburg der Rebellen. Damals allerdings wurden die Rebellen zurückgedrängt: Durch die Zusammenarbeit US-amerikanischer Truppen mit sunnitischen Stammesfürsten und weil eine Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnte.
Politik Al-Malikis stärkt die Dschihadisten
In den vergangenen Jahren hat ISIL sowohl in Syrien als auch im Irak wieder an Stärke gewonnen. Im syrischen Bürgerkrieg vor allem aufgrund der Schwächung der gemäßigten Rebellengruppe "Freie Syrische Armee" (FSA), die vorübergehend von den USA unterstützt worden war. Im Irak habe der unversöhnliche Kurs von Regierungschef Nuri al-Maliki maßgeblich zur Stabilisierung von ISIL beigetragen, so der Politologe Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen im DW-Gespräch. Al-Malikis autoritäre Politik, seine Diskriminierung der Sunniten im Land und sein gewalttätiges Vorgehen gegen Demonstranten hätten dazu geführt, dass sich insgesamt dschihadistische Gruppen wieder stärker positionieren konnten.
Großen Rückhalt in der Bevölkerung hat die ISIL laut Hippler nicht. "Die Brutalität, mit der sie ihre regionale Herrschaft aufrechterhält, ist berüchtigt", sagt er. Dennoch: "Es gibt inzwischen in beiden Ländern relevante Regionen, in denen die ISIL-Miliz die stärkste militärische Kraft ist. Die Kämpfer sind gut ausgebildet, gut bewaffnet, hoch motiviert und gut organisiert." Die Besetzung Falludschas sei nur ein Beispiel. "In Syrien sind sie vor allem in Aleppo und Teilen Ostsyriens ein wichtiger, militärischer Faktor."
Die ISIL habe sich seit Anfang 2013 im Westen des Irak und im Norden Syriens zunächst stark ausgebreitet und in zunehmendem Maß festgesetzt, sagt auch der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, Günter Meyer. Die Miliz liefert sich heftige Gefechte nicht nur mit Regierungstruppen, sondern auch mit oppositionellen Gruppen, die das brutale Vorgehen der ISIL-Miliz missbilligen. Vor allem auf syrischem Gebiet habe ISIL bei diesen Kämpfen in den letzten Tagen erhebliche Rückschläge hinnehmen müssen, sagt Meyer. Er glaube, dass der Eroberungsfeldzug der Gruppe damit vorerst gestoppt ist.
Die Besetzungen von Falludscha und Ramadi bezeichnet Meyer als "kurzfristigen Vorstoß" der ISIL. Die Meldungen über die Ausrufung eines Gottesstaates in Falludscha dürften nicht überbewertet werden. "Wo ISIL die Kontrolle übernimmt, ruft sie ein Emirat aus mit einem lokalen Emir, der das militärische Oberkommando dort hat. Aber das hat im Endeffekt keine große Bedeutung."
Wird Al-Kaida sich durchsetzen können?
Der weitere Verlauf des Konflikts hänge von der Politik Al-Malikis ab und vom Verhalten der ISIL-Kämpfer selbst, sagt Politologe Hippler. "Wenn sie ihr brutales Vorgehen abstellen und sich politisch transformieren, so dass sie als Ausdruck der sunnitischen Unzufriedenheit mit der Regierung glaubwürdig werden", dann könne die ISIL-Miliz der irakischen Regierung tatsächlich gefährlich werden, so Hippler.
Meyer bewegt vor allem folgende Frage: Wird der schiitische Ministerpräsident mit den sunnitischen Stammesführern gemeinsam gegen Al-Kaida vorgehen, oder wird er weiter auf Härte bestehen? "Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen könnte ich mir vorstellen, dass er eine gewisse Nachgiebigkeit zeigt, und dass das Regime in Bagdad und die sunnitischen Stammesführer gemeinsam gegen die Al-Kaida-Kämpfer vorgehen werden - mit Aufklärungsunterstützung der US-Amerikaner." Wenn al-Maliki seine Politik gegenüber den sunnitischen Stammesführern ändere, "dann werden die Zeiten für die Al-Kaida-Kämpfer im Irak sehr schwierig werden".