Syrisch und homosexuell in der Türkei
29. Dezember 2017Bis vor zwei Jahren pendelte Ayman Menem regelmäßig zwischen Damaskus und Beirut. Dann ließ er sein dortiges Leben hinter sich und floh über den Libanon in die Türkei. Für die ersten 20 Tage fand er Unterkunft bei einem Freund in Gaziantep nahe der syrischen Grenze. Von hier aus ging es weiter nach Istanbul, obwohl er dort keinen einzigen Menschen kannte. Doch Menem kämpfte sich durch, fand sogar eine Möglichkeit, seine Promotion wieder aufzunehmen, die er an der Arabischen Universität Beirut begonnen hatte. Kürzlich schloss er seine Doktorarbeit über Verfassungsrecht ab und arbeitet nun in Istanbul als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Damit gehört er zu einer glücklichen Minderheit syrischer Flüchtlinge, die es geschafft haben, sich in der Türkei ein neues Leben aufzubauen. Besonders ungewöhnlich ist das, weil Menem homosexuell ist. Mitarbeiter aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, die anonym bleiben möchten, bezeichnen die türkische Gesellschaft als homophob und transphob. Sie lehnen Menschen ab, die nicht heterosexuell veranlagt sind und leben.
Diese Struktur führe dazu, dass LGBTI-Personen, also Menschen, die nicht heterosexuell sind, es in vielen Lebensbereichen schwer haben. Syrische Flüchtlinge mit einer von der Norm abweichenden sexuellen Orientierung fänden in der Türkei so gut wie gar keine Arbeitsplätze, oder nur solche, in denen sie ohne jeglichen gesetzlichen Schutz zu einem Hungerlohn arbeiten.
Menem kenne durchaus syrische LGBTI-Personen, die eine Stelle bekommen hätten - meist bei syrischen Arbeitgebern. Allerdings dürften sie mit ihrer sexuellen Identität nicht aufzufallen, sagt er: "Diese Menschen führen en Doppelleben. Wenn ihre Arbeitgeber erfahren würden, dass sie homosexuell sind, müssten sie damit rechnen, dass sie nicht einfach so davon kommen."
"Istanbul ist nicht sicher"
Deshalb setzt Menem sich für die Rechte syrischer LGBTI-Personen ein. Seit zwei Jahren arbeitet er unter anderem als Koordinator im Verein SPOD, der sich für Sozialpolitik im Zusammenhang mit Genderfragen und sexueller Identität engagiert. Jeden Sonntag veranstaltet er die "Tea&Talk”-Reihe, bei der sich syrische LGBTI-Flüchtlinge treffen und austauschen können.
Viele Mitglieder der Gemeinschaft bezeichnen diese Veranstaltungen als wertvollen Ort: "Für mich und die anderen Teilnehmer sind die "Tea&Talk”-Veranstaltungen vertrauensvolle Freiräume geworden, die für uns wie eine Psychotherapie wirken", sagt Menem. Dennoch sei die Türkei für die LGBTI-Personen nur ein Zwischenstopp. "Alle Flüchtlinge wollen eines Tages nach Europa."
Denn selbst Istanbul, das als weltoffene Metropole gilt, ist für eine LGBTI-Community kein sicherer Ort. Das haben die Ermordungen des homosexuellen Syrers Wisam Sankari und der syrischen Transgenderfrau Werde im Jahr 2016 gezeigt. Seither machen sich Menem und seine Freunde noch mehr Sorgen, erzählt er: "Wenn du als Mann in Istanbul eine weibliche Ausstrahlung hast, bist du in großer Gefahr”, sagt er.
Auf die Frage, was sie sich von Europa erhoffen, antwortet Menem: "Sie glauben, dort viel freier leben zu können und mehr Möglichkeiten zu bekommen. Mindestens 120 Menschen, die ich durch die Tea&Talk-Veranstaltungen kennengelernt habe, sind mittlerweile in Europa oder Kanada."
Solidarität wie in einer Familie
Yesim Selcuk ist Psychologin und arbeitet seit vergangenem April ebenfalls bei der SPOD. Sie erklärt, dass LGBTI-Personen viele Schwierigkeiten hätten, vor allem aber in Gesundheitsfragen und rechtlicher Beratung: "Sie wissen noch nicht einmal, welche Rechte ihnen zustehen und an welche Stellen sie sich wenden können."
Viele syrische Flüchtlinge haben in der Türkei ohnehin nur einen eingeschränkten Rechtsstatus. Sie werden von der Migrationsbehörde des türkischen Innenministerium registriert und erhalten dann nur subsidiären Schutz. Sensible gesellschaftliche Gruppen wie Kinder, Frauen oder eben Homosexuelle können sich zwar auch über den UN-Flüchtlingsrat registrieren lassen. Aber die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei, die sich auf diese Weise registrieren lassen, ist ziemlich gering.
Schlechte Türkischkenntnisse, sagt Selcuk, würden die Probleme zusätzlich verstärken. In der Türkei, sagt die Psychologin, würden Menschen aufgrund ihrer LGBTI-Identität oft diskriminiert. Syrische Flüchtlinge seien aufgrund ihres Flüchtlingsstatus zusätzlich rassistischen Ressentiments ausgesetzt.
In Istanbul, sagt Selcuk, gebe es eigentlich keine organisierte LGBTI-Szene. Viele dieser Menschen blieben deshalb einsam und allein. Gerade deshalb aber herrsche unter LGBTI-Personen eine große Solidarität: "Sie haben alle ähnliche Schmerzen und Probleme. Sie müssen ihre Identität in ihrem Alltag ständig verstecken. Und diejenigen, die sich in Istanbul kennenlernen, fühlen sich mittlerweile wie eine große Familie." Das bestätigt auch Ayman Menem. Auch er habe in Istanbul "eine neue Familie gefunden".