Syrien erklärt Ende der Waffenruhe
19. September 2016
Die syrische Armee hat das Ende der Waffenruhe in dem Bürgerkriegsland erklärt. Das "Regime der Ruhe" gelte nicht mehr, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Auch Rebellenvertreter sagten der Nachrichtenagentur Reuters, die von den USA und Russland vermittelte Waffenruhe sei faktisch gescheitert. Sie war bereits in den vergangenen Tagen wiederholt durchbrochen worden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete weitere Luftangriffe in mehreren Regionen. Auch die Kämpfe zwischen Armee und Rebellen im Osten von Damaskus seien weitergegangen, so die oppositionsnahe Einrichtung.
Nur Stunden vor der Armee-Erkärung hatten Staatchef Baschar al-Assad (Foto) und Russland den USA heftige Vorwürfe gemacht. Assad kritisierte den Luftangriff der US-geführten Koalition auf syrische Truppen als "offene amerikanische Aggression". Sie diene der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), sagte er nach einem Treffen mit einem hochrangigen iranischen Vertreter in Damaskus. Immer wenn Syrien Fortschritte im Kampf gegen den Terror erziele, wachse die Unterstützung der "feindlichen Staaten" für terroristische Organisationen, erklärte Assad nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Sana.
Moskau: Washington hat keinen Einfluss auf Opposition
Bei dem Luftangriff der US-geführten Koalition auf syrische Truppen im Osten des Landes waren am Wochenende mehr als 60 Soldaten getötet worden. Die US-Regierung äußerte ihr Bedauern und sprach von einem Irrtum. Das russische Militär hält dennoch an seiner Kritik fest. Washington habe nicht eine der Vereinbarungen vom 9. September eingehalten, erklärte Generalleutnant Sergej Rudskoi in Moskau.
Die amerikanische Seite habe keine Daten geliefert, wo die von ihr kontrollierten Oppositionsgruppen stünden. Die USA hätten keinen Einfluss auf die Opposition, so Rudskoi der Agentur Interfax zufolge weiter. Die gemäßigten Regierungsgegner trennten sich nicht von der terroristischen Fatah-al-Scham-Front (früher: Al-Nusra). Stattdessen rückten die Milizen enger zusammen und bereiteten Angriffe vor. Seinem Eindruck nach behinderten die Amerikaner Hilfslieferungen für die Bevölkerung, um dann Russland und Syrien dafür verantwortlich zu machen, sagte Rudskoi. Die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow hatten am 9. September die Waffenruhe vereinbart, die am 13. September in Kraft trat.
Bundesregierung nimmt Russland in die Pflicht
Die Bundesregierung fordert unterdessen von Russland mehr Engagement zur Einhaltung der Feuerpause in Syrien. "Es ist bedauerlich, dass es trotz der vereinbarten Waffenrufe in den letzten Tagen zu vielen Toten und Verletzten gekommen ist", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Humanitäre Lieferungen für belagerte und abgeschnittene Gebiete in dem Bürgerkriegsland stünden zwar bereit. Sie würden aber von Damaskus verhindert. "Wir sehen Russland weiterhin in der Pflicht, auf das Assad-Regime - das Russland ja unterstützt - effektiv einzuwirken, damit diese Lieferungen auch wirklich durchkommen können", sagte Seibert.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan warb wieder für die Einrichtung einer Schutzzone für Flüchtlinge in Nordsyrien. Erdogan bot an, die Türkei könne den Wiederaufbau in einer solchen Zone erledigen, wenn die internationale Gemeinschaft dafür Gelder bereitstelle: "Lasst uns die Bauarbeiten erledigen, gebt Ihr uns die finanzielle Unterstützung." Der Staatschef spricht sich seit langem für die Errichtung einer Schutz- und Flugverbotszone in Nordsyrien aus.
Caritas: Mindestens 470.000 Tote in Syrien
Der Krieg in Syrien hat nach Caritas-Angaben bisher mindestens 470.000 Todesopfer gefordert. Wie Stefan Maier, Nahost-Experte von Caritas Salzburg, mitteilte, starben 400.000 Personen unmittelbar durch Kampfhandlungen. 70.000 seien wegen unzureichender medizinischer Versorgung ums Leben gekommen. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Syrer sei im Zeitraum 2010 bis 2015 von 70,5 auf 55,4 Jahren gesunken. Die Lebensbedingungen der Flüchtlinge - wo auch immer - seien katastrophal, so Maier. Der Experte sprach von einer "verlorenen Generation", die in Syrien und in den Nachbarländern heranwachse. Es gebe Millionen Kinder ohne ausreichende Bildungsmöglichkeiten. Die Caritas bemühe sich in ihren Hilfsprogrammen inzwischen vor allem, Flüchtlingskindern den Schulbesuch zu ermöglichen.
sti/rb (afp, dpa, rtr)