Sudan: Geflüchtete in Deutschland beklagen vergessenen Krieg
23. April 2024"Schon bevor dieser Konflikt begann, hatten wir viele Krisen, aber ich dachte nicht, dass ich jemals mein Land verlassen würde. Ich weiß nicht warum, ich liebe es dort einfach", sagt Aya El Sammani. Die Sudanesin, geboren in der Hauptstadt Khartum, lebt jetzt in Deutschlands Hauptstadt Berlin.
Vor ihrer Flucht studierte sie Englische Literatur und Kunst. Doch dann brachen Mitte April 2023 Kämpfe aus in Khartum zwischen zwei rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Innerhalb weniger Wochen mussten die Menschen feststellen, dass sie die Stadt, in der der Weiße und Blaue Nil zusammenfließen, verlassen müssen.
"Wenn ich mein Haus verließ, um einkaufen zu gehen zum Beispiel, war es nicht friedlich. Ich riskierte, getötet zu werden oder vergewaltigt. Khartum ist jetzt ihre Stadt, nicht mehr unsere", erklärt El Sammani.
Es ist vorrangig ein Konflikt zwischen dem sudanesischen Militär um General Abdel Fattah al-Burhan und auf der anderen Seite den Rapid Support Forces (RSF), angeführt von Burhans ehemaligen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, genannt "Hemeti".
Nach dem Sturz der vom Westen unterstützen Regierung hatten die zwei Generäle ursprünglich 2021 nach einem Militärputsch gemeinsam die Macht übernommen.
Sudan sollte dann der Übergang zu einer zivilen Regierung gelingen und die RSF-Truppen ins Militär integriert werden. Darüber gerieten die Generäle in Streit und kämpfen nun um die Kontrolle über das riesige, rohstoffreiche Land an der Schnittstelle zwischen Subsahara-Afrika und dem Nahen Osten.
Das alles geht zu Lasten der sudanesischen Zivilbevölkerung, die mit einer verheerenden humanitären Katastrophe konfrontiert sind. Mehr als 6,6 Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben, weitere zwei Millionen sind in Nachbarländer wie Tschad, Südsudan und Ägypten geflohen.
Jeden Tag müssen laut Internationaler Organisation für Migration 20.000 Menschen ihr Zuhause im Sudan verlassen, und mehr als die Hälfte dieser Vertriebenen sind unter 18 Jahre alt.
Im Dezember 2023 waren laut der Weltgesundheitsorganisation mehr als 70 Prozent der Gesundheitseinrichtungen des Landes nicht mehr funktionsfähig. Der Mangel an medizinischem Material, die Abwanderung von medizinischem Personal und der Ausbruch von Infektionskrankheiten wie Cholera und Masern verschlimmern die ohnehin schon katastrophale Lage.
'Alles wurde gestohlen im Sudan'
El Sammani sieht sich als eine der wenigen, die Glück hatten. Als der Krieg ausbrauch, hatte sie einen gültigen Pass und ein Einreisevisum für Saudi-Arabien, wo ihr Vater arbeitet. In Saudi-Arabien blieb sie zehn Monate lang, bevor sie im März im Rahmen eines Residenzprogramms der deutschen gemeinnützigen Organisation Media in Cooperation and Transition nach Berlin zog.
"Während ich hier erzähle", sagt sie im Gespräch mit der DW, "leben im Sudan ganze Armeen an Soldaten in meinem Zuhause, in meinem Zimmer und ich kann nicht zurück. Ich kann nicht einmal meine Straße betreten. Alles im Sudan wurde gestohlen. Jedes persönliche Hab und Gut. Es kann sein, dass du dein Haus betrittst und keine Möbel mehr hast."
Sie sorge sich um ihre Schwestern, die in die 800 Kilometer entfernte Küstenstadt Bur Sudan geflohen seien. Für die Ausreise nach Saudi-Arabien fehle ihnen die nötigen Papiere und eine ihre Schwestern habe zusätzlich ein kleines Kind ohne einen gültigen Pass. El Sammani berichtet auch von einem Freund, der nach Ägypten geflohen sei, aber dann zurückkehrte, um sich um den alten Vater zu kümmern, der nicht fliehen wollte. Sie habe ihn eine Woche nach der Rückkehr nach Khartum noch telefonisch erreicht. Seither nicht mehr und sie wisse nicht, ob er noch lebt.
Es sei "nicht leicht zu akzeptieren", dass der Konflikt nicht so bald enden werde, sagt sie. Sie befürchtet, dass die Welt den Sudan vergessen hat, und beklagt den Mangel an internationaler Medienberichterstattung, insbesondere in den letzten sechs Monaten. Die restliche Welt interessiere sich nicht für die Sudan-Krise, sagt sie.
Mit Stand April 2024 wurden nach Angaben des Armed Conflict Location & Event Data Project 16.000 Menschen in dem Konflikt getötet.
"Ich meine, geht es nicht um Krisen, geht es nicht um Menschen, die getötet werden?" fragt El Sammani.
"Dieser Krieg ist nicht unser Krieg"
"Wir versuchen, auch ihnen klar zu machen, dass dieser Krieg nicht unser Krieg ist", erklärt die sudanesische Aktivistin Mai Shatta von der Bana Group for Peace and Development, einem internationalen feministischen Netzwerk.
Die in Khartum geborene Tochter einer Familie aus Darfur, einer Region im Westsudan, die besonders stark von der Gewalt betroffen ist, lebt seit 2012 in Deutschland, nachdem sie wegen ihres politischen Engagements ins Exil gezwungen wurde.
Viele Menschen gingen davon aus, dass es sich um einen Krieg zwischen zwei Generälen handele, sagt sie. Dabei sei es kein reiner internen Konflikt, äußere Einflüsse spielten stattdessen eine Rolle, die den Konflikt anheizten.
"[Der Sudan] wird in diesen Kampf hineingezogen, und wir sind die Zivilisten, die jetzt den Preis dafür zahlen, und wir zahlen ihn bis heute."
In vielen Analysen der Sudan-Krise wird das komplexe Geflecht regionaler und internationaler Einflüsse hervorgehoben, die zum Machtkampf um die Kontrolle des Sudan, seiner natürlichen Ressourcen und Finanzströme beitragen.
'Wir wissen nicht, wo das enden wird'
Die südsudanesische Autorin Stella Gaitano lebt seit 2022 in der deutschen Kleinstadt Kamen. Sie hat ein PEN-Stipendium für Schriftsteller im Exil.
Ihre beiden Kinder im Alter von 13 und 15 Jahren sind 2023 zu ihr gekommen. Sie haben vor zu bleiben, denn, so sagt sie, "wir wissen wirklich nicht, wo und wie das alles enden wird".
Als die Gewalt im April letzten Jahres erstmals ausbrach, lebte Gaitano in Khartum. Sie war aus dem Südsudan in die sudanesische Hauptstadt geflohen, nachdem ihre offene Kritik an der südsudanesischen Regierung zu Schikanen geführt hatte. Doch der Konflikt zwang sie, erneut zu fliehen.
Gaitano hat noch zwei Schwestern im Sudan. Sie wurden bereits zweimal vertrieben und leben jetzt im Osten des Landes.
"Sie können nicht arbeiten, ihre Ehemänner haben ihre Arbeit aufgegeben. Die Kinder sind seit fast einem Jahr nicht mehr in der Schule. Es gibt Millionen von Kindern, die keine Schule besuchen", sagt sie der DW.
In Deutschland hat Gaitano die Arbeit an ihrem zweiten Roman abgeschlossen. Sie hat das Gefühl, dass den Sudanesen eine Stimme fehlt, um die Welt ihre Probleme zu erzählen, sagt sie.
"Es gibt ein großes Problem mit dem Storytelling"
Hager Ali, Politikwissenschaftlerin am German Institute for Global and Area Studies, stimmt dem zu. Obwohl sich der Krieg zuletzt zum ersten Mal jährte, sei er von den Medien übersehen worden, sagt sie.
"Der Krieg im Sudan offenbare ein großes Problem des 'Storytelling'. Er lässt sich nicht so einfach als Krieg zwischen Gut und Böse oder Demokratie und Autokratie zusammenfassen. Das schränkt die internationale Berichterstattung ein", so Hager im Gespräch mit der DW.
"Es gibt auch die falsche Vorstellung, dass der Krieg außerhalb des Sudans keine politischen Auswirkungen hat und dass er, was die Weltwirtschaft angeht, auch nicht besonders problematisch ist."
Sie sagt, dass sich die Menschen im Sudan angesichts anderer Konflikte in der Welt unsichtbar fühlten.
"Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihr Zuhause und Ihre Familie zurücklassen, nur um dann zu erleben, dass Ihr Leid nicht einmal priorisiert wird oder man sich an Sie erinnert. Bei allem anderen, was im Nahen Osten passiert, wird der Krieg im Sudan einfach vergessen."