Sudan: Einigung mit Schwachstellen
17. Juli 2019Über Wochen hatten sich Militärrat und Protestbewegung im Sudan in blutigen Auseinandersetzungen gegenübergestanden. Allein bei den Kundgebungen am 3. Juni waren nach Angaben der Demonstranten 136 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.
Zuletzt aber hatten Vertreter beider Seiten über die politische Zukunft des Landes verhandelt. Die Gespräche gestalteten sich zäh, doch dann, am Mittwochmorgen, unterzeichneten beide Parteien in der Hauptstadt Khartum ein Abkommen zur Bildung einer Übergangsregierung. Diese, in dem Papier als "souveräner Rat" bezeichnet, soll drei Jahre und drei Monate im Amt bleiben. Mitglieder sollen sechs Zivilisten und fünf Militärs sein. An der Spitze soll während der ersten 21 Monate ein Militär, in den folgenden 18 Monaten ein Zivilist stehen.
Das Abkommen sei ein guter Schritt voran, sagt Montasser Ahmad Mahmoud, Mitglied der sudanesischen Opposition. Es erfülle zwar weder die Maximalforderungen der Protestbewegung noch die des Militärs. "Doch genau darum sind beide Seiten gezwungen, das Abkommen einzuhalten. Denn nur so lässt sich die Stabilität des Sudan bewahren. Nur so vermeiden wir es, in einen neuen bewaffneten Konflikt hineingezogen zu werden", so Mahmoud im Gespräch mit der DW. Darum komme es darauf an, den weiteren Prozess diszipliniert anzugehen. Dabei spiele auch die Hilfe der internationalen Vermittler weiterhin eine große Rolle.
Eigentliche Arbeit steht noch bevor
Und doch hätten die beiden Parteien einen entscheidenden Schritt getan, sagt die Sudan-Expertin Annette Weber von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik". Das Abkommen sei ein Fortschritt, zu dem man den Beteiligten gratulieren könne. "Allerdings", so Weber, "steht ihnen die eigentliche Arbeit noch bevor".
Tatsächlich sind längst nicht alle strittigen Fragen gelöst. So stehen etwa Diskussionen zur Bildung des künftigen Parlaments an. Auch besteht noch keine Einigung über den Abzug der Milizen aus Khartum. Diesen Schritt hatte die Protestbewegung gefordert. Potentiellen Konfliktstoff bildet auch die Diskussion um die Straffreiheit für jene Militärs, die an den Gewalttaten der vergangenen Monate beteiligt waren. Die Generäle hatten bei den Verhandlungen vollständige Immunität verlangt. Vertreter der Protestbewegungen wiesen diese Forderung zurück.
Tatsächlich sei es bislang vor allem um Fragen der Machtteilung gegangen, sagt Annette Weber im Gespräch mit der DW. Jetzt müssten sich beide Seiten den eigentlichen Herausforderungen widmen: der schwierigen Wirtschaftssituation, der Besetzung des Sicherheitsapparats und der Frage der Rechtsstaatlichkeit. "In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie eine unabhängige Justiz durch einen Militärrat garantiert werden kann, der für das Massaker Anfang Juni verantwortlich ist."
Zwist innerhalb der einzelnen Lager
Mit den Gesprächen dürften sich darum weitere Probleme auftun, erwartet Weber - nämlich die innerhalb der beiden Parteien selbst. In der Protestbewegung sind ganz unterschiedliche Gruppierungen vertreten. Die Spannweite reicht von der - zahlenmäßig eher unbedeutenden - Kommunistischen Partei über die Gewerkschaften bis hin zu islamistischen Verbänden. Bislang waren sie durch die gemeinsame Gegnerschaft zum gestürzten Diktator Omar al-Baschir und das gespannte Verhältnis zum Militärrat geeint. Fortan aber dürfte es diesen Gruppen verstärkt darum gehen, ihre jeweiligen Vorstellungen in die Verhandlungen einfließen zu lassen. "Die Ordnung der Wirtschaft, die Rolle der Scharia, der Umgang mit der Vergangenheit - all dies steht nun zur Diskussion", so Annette Weber. "Da dürfte es eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen geben."
Auch auf Seiten des Militärs dürften sich noch Differenzen auftun. Offen ist etwa, wie sich die Mitarbeiter des Geheimdienstes verhalten werden. Im Regime von Omar al-Baschir spielten sie eine zentrale Rolle. "Es ist darum zweifelhaft, dass die Mitarbeiter jetzt einfach nur zuschauen, wie Zivilisten die Zukunft des Sudans bestimmen", so Weber.
Sorge vor libyschem Szenario
Die am Mittwoch besiegelte Einigung ist darum nur ein erster Schritt. Nun kommt es darauf an, ob die auf beiden Seiten versammelten unterschiedlichen Gruppierungen den Willen aufbringen, ihre jeweiligen Interessen dem Wohl des gesamten Landes unterzuordnen. Ob das gelingt, sei offen, sagt Annette Weber. Es sei noch keineswegs entschieden, ob sich der Sudan tatsächlich in den nächsten Jahren in Richtung einer Demokratisierung und transparenten Politik bewege oder ob sich am Ende doch die Netzwerke aus der Zeit der vorhergehenden Regierung behaupten könnten. "Umso mehr kommt es darauf an, wer die Bevölkerung mit welchem Programm überzeugen kann."
Ähnlich sieht es Osman Mirghani, Chefredakteur der sudanesischen Zeitung "Al-Tiyar". Die Zukunft des Sudan sei offen. Darum seien alle Seiten gefordert, Disziplin zu zeigen. Niemand will ein Szenario wie in Libyen", so Mirghani in Anspielung auf das in mehrere Herrschaftsbereiche zerfallene Land im Norden Afrikas.