Das Jahrhundert der Städte
7. Februar 2018Heute leben bereits mehr als vier Milliarden Menschen in Städten. In zwölf Jahren werden 1,5 Milliarden Menschen mehr dazu gekommen sein, schätzen die Vereinten Nationen. Die Mega-Cities stoßen bereits heute an ihre Grenzen. Den größten Andrang, so die Prognosen, werden die kleineren und mittelgroßen Städte mit bis zu fünf Millionen Einwohnern erleben. Können die Städte diesen riesigen Ansturm überhaupt bewältigen?
"Nein, das können sie nicht", sagt Eva Dick, Soziologin und Städte-Expertin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). "Die Infrastruktur muss erst noch gebaut werden, um die Menschen zu versorgen, die zusätzlich in den Städten leben werden."
Die notwendigen Investitionen werden auch Millionen von Jobs schaffen, die wiederum noch mehr Menschen in die Städte locken werden. Doch wer soll den Ausbau finanzieren? International wird über die Beteiligung der Privatwirtschaft an den notwendigen Kosten nachgedacht.
Privatisierung schafft Monopole
"Kapital ist da und sucht eine Investition, die langfristig Geld bringt", meint Wolfgang Scholz von der Fakultät für Raumplanung an der TU Dortmund. "Da ist natürlich Infrastruktur sehr dankbar, weil die Leute auf die Infrastruktur angewiesen sind. Und wer ein Wassernetz betreibt, muss auch nicht befürchten, dass ein Konkurrent ein zweites Wassernetz aufbaut. Das heißt also, wir schaffen Monopole."
Scholz beschäftigt sich seit Jahren mit Stadtplanung und städtischer Infrastruktur, vor allem in den Ländern des globalen Südens. Er warnt eindringlich vor den Gefahren einer Privatisierung der städtischen Infrastruktur.
"Die Liberalisierungen im Wassermarkt in den 1990er Jahren, vorgeschlagen von der Weltbank in einigen afrikanischen und asiatischen Städten, hat eher zu einer Verschlechterung der Versorgung geführt", so Scholz. Die Erfahrungen aus der frühen Industrialisierung in Europa seien ebenfalls negativ gewesen.
Neue Finanzierung für die Städte
Die meisten Städte haben jedoch nur geringe oder gar keine Steuereinnahmen, um die Infrastruktur aufzubauen, denn Steuereinnahmen kontrolliert meist der Staat, nicht die Stadt. Es gebe jedoch, so Scholz, Beispiele für eine erfolgreiche Umverteilung, zum Beispiel in Tansania: "Dort hat man gesagt, die Städte bekommen das Geld, müssen aber vorher nachweisen, dass sie auch die Leistungen erbringen können. Die Städte müssen sich also beweisen. Wenn sie gut wirtschaften und ihre Stadt gut managen, erhalten sie mehr Kompetenzen."
Massive Investitionen werden nicht zuletzt notwendig, um der Forderung nach einer nachhaltigen Stadtentwicklung gerecht zu werden, wie sie auf der großen UN-Habitat Konferenz in Quito 2016 beschlossen wurde. Aktuell (7.-13. Februar 2018) treffen sich Städte- und Regierungsvertreter mit Wissenschaftlern, Wirtschaftsvertretern und Vertretern der Zivilgesellschaft auf dem World Urban Forum in Kuala Lumpur, um sich über die Umsetzung der nachhaltigen Städteentwicklung auszutauschen.
Nachhaltige Städte
"Eine nachhaltige Stadt genügt den sozialen, ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeitsdimensionen - in dem Sinne, dass die Stadt inklusiv ist, dass sie produktiv ist und umweltfreundlich", so DIE-Expertin Eva Dick.
Bereits heute verursachen Städte rund drei Viertel der weltweiten Schadstoffemissionen. 80 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts werden in den Städten erwirtschaftet, doch ähnlich hoch ist auch der Ressourcenverbrauch der Städte. Städte müssen, um nachhaltiger zu werden, mehr Technologie einsetzen, ob es um einen effizienten Ausbau der Energie- und Wasserversorgung oder um Verkehrsplanung geht.
"Nachhaltigkeit lässt sich sicher nicht nur mit Technologie erreichen. Aber Informations- und Kommunikationstechnologien können dazu beitragen, nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern", so Eva Dick.
Zukunftsvision am Roten Meer
Weltweit werden heute sogenannte Smart Cities geplant, die alles an Hightech aufbieten können. Im Oktober 2016 gab der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman bekannt, dass am Roten Meer Neom entstehen soll, die modernste Stadt der Welt. Sie soll eigene Steuern und Gesetze haben, und Frauen sollen sich dort unverschleiert und ohne männliche Begleitung bewegen können. Die Stadt soll attraktive Arbeitsplätze für eine schnell wachsende Bevölkerung bieten, die sich vor allem aus gut ausgebildeten Frauen und Männern zusammensetzt.
Niedere Arbeiten sollen weitgehend von Robotern erledigt werden, die digitale Vernetzung wird eine zentrale Rolle spielen. Ähnlich wie in der südkoreanischen Stadt Songdo mit rund 100.000 Einwohnern, die alle Annehmlichkeiten einer Hightech-Vision genießen und 24 Stunden am Tag smart vernetzt und beobachtet leben.
"Das sehe ich nicht als eine nachhaltige Alternative an. Das ist fast ein Ghetto, wo nur die Leute, die sich das leisten können, unter sich sind und sich abschotten vom normalen Volk", meint Stefan Schmitz, Kölner Architekt und Stadtplaner. Er hat seit 2012 die Stadtplanung für Maidar City in der Mongolei übernommen. In der Nähe der völlig überlasteten mongolischen Hauptstadt Ulan Bator wird eine neue Stadt, Maidar City, nach ökologischen Vorgaben geplant.
Die ökologische Wüstenstadt
Ursprünglich war lediglich ein religiöses Zentrum am südlichen Rand des Bogd Khan- Gebirges geplant. Hier wird bereits an der riesigen Buddha-Statue gebaut – sie soll größer als die Freiheitsstatue in New York werden. Doch mit der Planung des religiösen Zentrums entstand auch die Idee, eine völlig neue Entlastungsstadt für Ulan Bator zu bauen. Maidar City soll später 300.000 Einwohner haben.
Mittlerweile ist die Planung so weit, dass demnächst nach Investoren gesucht wird, erzählt Stefan Schmitz: "Man kann nicht einfach ein Grundstück kaufen und machen, was man will. Da gibt es ganz bestimmte Regeln, auch in Hinsicht auf ökologisches Bauen und den Einsatz erneuerbarer Energien, die in den Kaufverträgen festgelegt werden müssen."
Seine Vision geht jedoch weit über die ökologische Nachhaltigkeit hinaus. Deshalb soll Maidar City nicht aus einem Zentrum bestehen, sondern aus vielen gleichberechtigten Stadtteilen, die sowohl Arbeitsplätze als auch Wohnraum, Kulturangebote und öffentliche Dienstleistungen bieten. So sollen lebenswerte Viertel für alle entstehen und keine Luxus-Ghettos oder Gated Communities für die Wohlhabenden. "Nachhaltig ist nur das, was sozial und funktional gemischt ist", sagt der Kölner Architekt. Den Beweis, dass es funktioniert muss er noch liefern.