Nachhaltiger Städtebau: Der große Umzug
28. April 2016In rund dreißig Jahren werden zwei von drei Menschen auf der Erde in Städten leben. Sie werden Wohnungen, Jobs, Nahrung, Wasser und Energie brauchen. Und sie werden immense Mengen an Abfall, Abwasser und Abgas produzieren. Wenn die Städte Mitte des Jahrhunderts noch lebenswert sein sollen, muss heute bereits ein Umdenken stattfinden, sagen die Wissenschaftler vom WBGU, dem "Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen".
"Wir brauchen einen vollständig anderen Städtebau als wir ihn bisher kennen", meint Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. "Wenn wir nicht versuchen, durch kluge Urbanisierungsstrategien diesen Prozess zu gestalten, dann werden vermutlich eine Milliarde Menschen mehr in riesigen Metropolen leben, die innerhalb von ein, zwei Dekaden aus dem Boden gestampft werden".
Dirk Messner hat an dem Bericht "Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte" mitgearbeitet, der vor der UN-Habitat-Konferenz im Oktober der Bundesregierung als Gutachten vorliegt.
Nachhaltige Städte
Bei der dritten großen UN-Konferenz zu Wohn- und Siedlungsfragen, Habitat III, geht es in Quito, Ecuador, um die globale Zukunftsplanung der Städte. Seit Anfang 2016 gelten die neuen, nachhaltigen Entwicklungsziele als Entwicklungsrichtlinien der Vereinten Nationen. "Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen", heißt es dort im elften der siebzehn nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs).
Eine immense globale Herausforderung, da die Großstädte vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern heute bereits mit mangelhafter Infrastruktur, wild wuchernden Slums, Kriminalität und Gewalt zu kämpfen haben. "Wir müssen den Druck der Urbanisierung kontrollieren", betont der Generalsekretär des UN-Wohn- und Siedlungsprogramms, Dr. Joan Clos. "Die Urbanisierung schreitet in hohem Tempo voran - in vielen Ländern in Form von Slums".
Slums breiten sich aus
Fast eine Milliarde Menschen leben heute in Slums, in den sogenannten "informellen Siedlungen". Die öffentlichen Dienstleistungen sind im besten Fall mangelhaft, im Normalfall gar nicht vorhanden. Gewalt und Kriminalität sind allgegenwärtig, die Gesundheitsversorgung ist meist schlecht und Epidemien können sich schnell ausbreiten. Und doch strömen Tag für Tag neue Menschen in die Metropolen. Denn die Städte versprechen Jobs und Einkommen, Bildungsmöglichkeiten und Chancen, die es auf dem Land nicht gibt.
Es wird nicht möglich sein, diese Bevölkerungsbewegung aufzuhalten, sagen sowohl internationale als auch deutsche Experten. Umso wichtiger wird es sein, die wachsenden Städte so zu gestalten, dass sie möglichst wenig Klima- und Umweltschäden verursachen. Es geht dabei nicht nur um eine möglichst klimaneutrale Energieversorgung. Die deutschen Experten warnen ebenfalls vor Energie- und Ressourcenintensiven Baustoffe wie Beton, Stahl und Aluminium, die für den Städtebau gebraucht werden und erheblich zum Klimawandel beitragen.
"70 Prozent der Treibhausgasemissionen, mit denen wir es weltweit zu tun haben, werden in Städten produziert", so DIE-Direktor Dirk Messner. "Wenn wir also jetzt klimaverträgliche Städte bauen, können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Klimawandel signifikant abzubremsen."
Öffentliche Investitionen
Zur Nachhaltigkeit gehören jedoch nicht nur Umwelt- und Klima-Aspekte, sondern auch die Lebensqualität in den Städten. Bezahlbarer Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitsplätze gehören ebenso zur sozialen Nachhaltigkeit wie eine unbedenkliche Luftqualität und die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln und Trinkwasser. Das wird nur mit öffentlichen Investitionen zu schaffen sein, was in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern aber häufig an inkompetente oder korrupte Verwaltungen scheitert.
"In nordeuropäischen Ländern werden etwa 30-40 Prozent der öffentlichen Ausgaben von Städten getätigt. In den allermeisten Entwicklungsländern liegt das im einstelligen Bereich, häufig unter fünf Prozent", betont Dirk Messner. Der WBGU schlägt deshalb vor, dass sowohl die internationalen Entwicklungsbanken als auch die Geberländer in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit vor allem in die Entwicklung ärmerer Stadtviertel investieren.
"Die Privatinvestoren interessieren sich nur für die oberen 30 Prozent", so Messner. "Da brauchen wir einen entsprechenden Politikwechsel und eine entsprechende Prioritätensetzung bei den internationalen Organisationen".