Entwicklungshilfe und Bevölkerungswachstum
8. März 2018Das Dilemma wird in wenigen Zahlen deutlich: Rund 1,6 Billionen US-Dollar Entwicklungshilfe sind von 1960 bis 2015 nach Afrika geflossen - mehr als in jeden anderen Erdteil. Aus Sicht der Studie "Fertility, growth and the future of aid in sub-Saharan Africa" hat das jedoch wenig geholfen: Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind noch immer arm, das Durchschnittseinkommen lag 2015 pro Kopf gerade mal 200 US-Dollar höher als 1974. "Der Abstand zwischen Afrika und dem Rest der Welt wird größer", warnt Studienautor Jakkie Cilliers.
Neu ist die Erkenntnis nicht - Geber wie Deutschland wollen deshalb mehr Privatinvestitionen nach Afrika holen. Darauf zielen Initiativen wie der "Compact with Africa" ab, den die Bundesregierung im vergangenen Jahr gestartet hat. Wenn mehr deutsche Unternehmen in Afrika investieren, so das Kalkül, entstehen Arbeitsplätze und Wohlstand.
Arme Staaten profitieren nicht von Privatinvestitionen
Laut Studie ist ein stärkeres Wirtschaftswachstum auch dringend nötig: Bis 2030 werden in Afrika etwa 440 Millionen junge Menschen zusätzlich auf die Arbeitsmärkte drängen. Aber: Privatinvestoren platzieren ihr Geld in stabilen, aufstrebenden Ländern. Rund die Hälfte alle Privatinvestitionen fließen derzeit nach Südafrika und Nigeria. Für bettelarme Krisenstaaten verfängt das Konzept dagegen nicht, stellen die Studienautoren fest. Arme Länder werden demnach noch weit in das 21. Jahrhundert von Entwicklungshilfe abhängig sein.
Cilliers teilt nicht die Meinung vieler Kritiker, dass die Entwicklungshilfe sinnlos sei. Sie habe Anteil daran, dass die Kindersterblichkeit heute niedriger, die Lebenserwartung höher sei und Afrikaner im Schnitt länger zur Schule gehen, schreibt der renommierte Wissenschaftler aus Südafrika in der Studie. Aber sie reiche nicht aus: 38 Prozent der Menschen in Afrika werden nach aktuellen Schätzungen auch 2030 noch arm sein. Auch wenn die Geber ihre Hilfen kräftig aufstocken würden, wäre wenig gewonnen: "Die Entwicklungshilfe hält mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt", sagt Cilliers. 2050 sollen 2,5 Milliarden Menschen in Afrika leben - doppelt so viele wie heute.
Kontroverse Debatte um Familienplanung
Neben der Förderung von Wirtschaftswachstum sieht Cilliers deshalb noch eine weitere wichtige Aufgabe, um Wohlstand in Afrika zu schaffen: "Afrika muss seine Demographie-Herausforderung angehen", sagt er. In der Studie zitiert er Ergebnisse aus der Bevölkerungsforschung: Demnach müsste die Geburtenrate in Afrika gesenkt werden, um das Verhältnis zwischen arbeitender Bevölkerung und ihren Familienangehörigen zu verändern. Momentan liegt sie bei durchschnittlich 4,8 Kindern pro Frau.
Andere Länder, die vor 50 oder 60 Jahren noch ähnliche Armutsraten aufwiesen wie afrikanische Staaten, sind diesen Weg bereits gegangen. In vielen asiatischen Staaten steigt das Durchschnittsalter an. Auch die Armut sinkt in diesen Länden deutlich, zum Beispiel Indien: Dort sollen die Armutsraten bis 2030 von derzeit 17 auf drei Prozent sinken.
"Das ist aber eine kontroverse Debatte, die in Afrika selbst geführt werden muss", warnt Cilliers. Da es in vielen Ländern keine Sozialsysteme gibt, bekommen viele Paare auch deswegen mehrere Kinder, um im Alter und in Notlagen versorgt zu sein.
In der Vergangenheit lehnten manche afrikanische Staatschefs solche Diskussionen als Einmischung des Westens ab und verwiesen oft auf die afrikanische Tradition der Großfamilie. Ugandas Präsident Yoweri Museveni beispielsweise pries das rasante Bevölkerungswachstum seines Landes lange als Motor für die wirtschaftliche Entwicklung. Erst seit kurzer Zeit äußert er sich deutlich verhaltener.
Auch viele Glaubensgemeinschaften lehnen eine Debatte über Bevölkerungskontrolle ab: "Afrika ist ein sehr religiöser Kontinent. Wir müssen daher nicht nur mit den politischen, sondern auch mit den religiösen Führungspersönlichkeiten sprechen", sagt Frank Heinrich, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Afrika der CDU-Bundestagsfraktion.
Investitionen in Gesundheitssysteme und Bildung nötig
Die Studie schlägt Geberländern und afrikanischen Regierungen vor, in den Bildungsbereich und den Ausbau der Gesundheitssysteme zu investieren. Doch die USA - bisher der größte Geber für Gesundheitsversorgung weltweit - haben eine Kehrtwende vollzogen. Die Trump-Regierung finanziert die Arbeit von Hilfsorganisationen nur noch, wenn sie Abtreibungen vollständig ablehnen.
Andere Geber räumten dem Thema wenig Priorität ein, sagt der Vorsitzende der Deutschen Afrika-Stiftung, Ingo Badoreck. Der UN-Bevölkerungsfonds UNFPA sei "in absurdem Maße unterfinanziert", so Badoreck. Auch Deutschland könne viel mehr tun.