Streitkräfte im Konflikt unentschieden
16. Januar 2014Thailands jüngere Geschichte ist eine Abfolge politischer Krisen. Die Gesellschaft ist tief gespalten. Seit Jahren kämpfen die so genannten Rothemden gegen die Gelbhemden. Die Rothemden unterstützen die gewählte Regierung um Übergangspremierministerin Yingluck Shinawatra. Die Gelbhemden versammeln sich hinter der Opposition um Wortführer Suthep Thaugsuban. Der politischen Klasse, gleich welchen Lagers, ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Gräben zu überbrücken.
Seit jeher spielt das Militär bei den politischen Auseinandersetzungen im Land eine zentrale Rolle. In den vergangenen 80 Jahren hat das Militär 18 Mal geputscht. Zuletzt 2006, um den damaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra aus dem Amt zu jagen. Michael Winzer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok erklärt: "Das Militär hat bisher immer eine Ankerfunktion gehabt. Immer wenn ein Punkt erreicht war, an dem es mit politischen oder anderen Mitteln nicht mehr weiterging, ist das Militär eingeschritten." Die aktuellen Proteste haben Thailand erneut in eine Sackgasse manövriert, aber das Militär zögert.
Streitkräfte ebenfalls gespalten
Die Ankerfunktion des Militärs ergibt sich vor allem aus dessen Eigenständigkeit: "Das Militär hat eine eigene Personalpolitik und eine relativ hohe Unabhängigkeit von anderen Institutionen", so Winzer.
Traditionell steht das Militär dem Königshaus und den Gelbhemden näher. Das ergibt sich schon daraus, dass seine wichtigste Funktion nicht die Landesverteidigung, sondern der Schutz der Monarchie ist. Nominell ist der thailändische König der Oberkommandierende der Streitkräfte. Insgesamt, so der Thailand-Experte Marc Saxer von der Friedrich-Ebert-Stiftung, sollte das Militär vorrangig als innenpolitischer Akteur betrachtet werden.
Die traditionelle Nähe zu den Gelbhemden hat sich in den letzten Jahren allerdings abgeschwächt. Das hat zwei Gründe: Zum einen hat Übergangsministerpräsidentin Yingluck Shinawatra, die von den Rothemden gewählt wurde, "sehr viel Zeit darauf verwandt, ein gutes Verhältnis zu den Militärs aufzubauen", wie Saxer ausführt.
Zum anderen gibt es in der Armee einen nicht unerheblichen Teil an sogenannten "Wassermelonen". Gemeint sind damit Soldaten, die außen grün, aber innen rot sind, sich also im Falle eines Putsches auf die Seite der Regierung stellen könnten. Winzer fügt ergänzend hinzu, dass die tendenziell rot wählende Bevölkerung aus dem Norden und Nordosten wahrscheinlich sogar die Mehrheit der Soldaten stellt. Allerdings gelte dies nur für die unteren Ränge. Die Militärführung sei durchweg "gelb".
Das Fazit beider Experten: Ein Putsch sei für das Militär ein kaum kalkulierbares Risiko. Im Gegensatz zu früher ist das Militär selbst gespalten und die Rothemden sind besser organisiert. Ein Putsch könnte einen Bürgerkrieg nach sich ziehen. "Dennoch muss man einen Putsch aber natürlich als glaubhafte Option offen halten, damit man seine Bedeutung im Machtkampf aufrechterhalten kann." Dafür sorgte Armeechef Prayuth Chan-ocha, der einen Putsch bislang weder ausschließt noch befürwortet.
Putsch der Institutionen
Im Grunde wäre mit einem Putsch langfristig wenig gewonnen. Winzer sagt: "Der gordische Knoten ist so stark, dass er durch einen Putsch nicht zerschlagen werden könnte." Es fehle einfach an Optionen, die das Land nach einem Putsch aus der Krise führen könnten. Irgendwann würde es wieder zu Wahlen kommen, die wahrscheinlich die Rothemden für sich entscheiden würden.
Saxer glaubt, dass ein Einsatz des Militärs inklusive Aufmarsch von Panzern in der Hauptstadt Bangkok insgesamt unnötig sei. Das wäre eine nicht mehr in die Zeit passende Strategie zur Machtergreifung. Stattdessen: "Der Putsch wird durchgeführt von den Gerichten und unabhängigen Kommissionen. Was wir in Thailand erleben, ist der Prototyp für den Putsch des 21. Jahrhunderts."
Um internationaler Kritik vorzubeugen und die eigene Bevölkerung zu täuschen, werde von den Gelbhemden eine Strategie der Scheinlegalität verfolgt. Die Gelbhemden dominieren Verfassungsgericht, Antikorruptionsbehörde, Wahlkommission, Menschenrechtskommission und den thailändischen Bundesrechnungshof. Die Institutionen würden sich gegenseitig die Bälle zuspielen und so die "rote" Regierung kriminalisieren, um schließlich alle verfassungsmäßigen Auswege aus der Krise zu blockieren. Die Entwicklung vom Donnerstag (16.01.2014) belegt die Analyse Saxers. Die Antikorruptionsbehörde hat einen Untersuchung gegen Übergangspremierministerin Yingluck eingeleitet. Ihr wird Pflichtverletzung im Amt im Zusammenhang mit einem umstrittenen Subventionsprogramm für Reisbauern und vorgeworfen.
"Die Opposition verhindert den normalen demokratischen Prozess so lange, bis der Punkt erreicht ist, an dem es keinen anderen Ausweg gibt als den von der Opposition geforderten Volksrat." Am Ende, so Saxer, "wird es von außen betrachtet so aussehen, als wäre das alles legal."