Flechtheims Erbe
10. Oktober 2013Der Galerist Alfred Flechtheim gehörte zu den schillerndsten Figuren im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts. Als Sohn eines jüdischen Großindustriellen mit einer ausgeprägten Liebe zur Kunst verbrachte er seine Zeit lieber in den Künstlerkreisen von Paris, Berlin oder London als im Kontor des familieneigenen Getreidegroßhandels. Er heiratete in eine ebenso schwerreiche Familie aus Dortmund und gab - wohlwollend unterstützt von seiner Frau Betti - fast deren gesamte Mitgift für Kunst aus. Immer mit einer guten Nase: Denn das, was er sammelte, sollte Jahre später Kunstgeschichte schreiben. So stapelten sich in seinen Wohnungen Bilder von Picasso, Cézanne, Gauguin, Degas, Paul Klee, Max Beckmann und vielen anderen - heute unbezahlbaren - Künstlern. Am 9. Oktober 1913 eröffnete er seine erste Galerie in Düsseldorf.
Genau 100 Jahre später startet an gleicher Stelle, im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, das Projekt "Alfred Flechtheim.com/Kunsthändler der Avantgarde", welches das Wirken des berühmten Mäzens nachzeichnen soll. 15 Museen in Deutschland und in der Schweiz sind daran beteiligt. Sie stellen Werke aus, deren Herkunft eindeutig der Sammlung Flechtheim zuzuordnen ist und haben gleichzeitig eine Webseite ins Netz gestellt, die den Anspruch hat, die komplette Sammlung Flechtheim und die Wege, die die Kunstwerke genommen haben, zu rekonstruieren. Das jedoch ist nicht ganz einfach. Denn um wirklich alle Informationen über die Bilder zu bekommen, wäre es naheliegend gewesen, die Erben in die Recherche mit einzubeziehen. Großneffe Michael Hulton hätte gerne seine Kenntnisse über die Familiengeschichte mit eingebracht.
Von den Nazis verscherbelt
Schon vor Hitlers Machtergreifung taten die Nationalsozialisten alles, um den "Kunstjuden" Flechtheim zu bedrohen und zu diffamieren. Der Flechtheim-Biograf Ottfried Dascher beschreibt in seinem Buch, wie die Nazis Flechtheim so lange systematisch zusetzten, bis er "seine Koffer packte und Deutschland verließ".
Er floh nach London, wo er erfolglos versuchte, als Kunsthändler Fuß zu fassen. Im März 1937 starb er – verarmt. In Deutschland versuchte seine Frau Betti zu retten, was zu retten war, doch auch sie wurde Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Am Vorabend ihrer Deportation brachte sie sich um. Das komplette Vermögen Flechtheims und die Bilder wurden in die ganze Welt verstreut, teilweise versteckt und unter der Hand für kleines Geld verkauft.
Viele der Werke landeten in Privatsammlungen und auch in deutschen Museen, wo sie teilweise heute noch hängen. So lag der Verdacht in zahlreichen Fällen nahe, dass es sich bei den ausgestellten Werken um so genannte Raubkunst handelte. Seit vielen Jahren treten die Erben enteigneter Juden an Kunsthäuser heran, um die Provenienz, sprich: die Herkunft der Bilder zu klären. So auch Flechtheims Erben.
Eine Frage der Moral
Nach der sogenannten "Washingtoner Erklärung" von 1998, in der die Museen moralisch in die Pflicht genommen wurden, galt es in der Kunstszene als eine Art Ehrenkodex, in solche Verhandlungen einzutreten. Allerdings nur auf freiwilliger Basis. Nur wenige Museen waren daraufhin kooperativ, strengten Nachforschungen an und konnten in zahlreichen Fällen den Raubkunstverdacht ausräumen.
Andere Museen mussten nach sorgfältigen Recherchen feststellen, dass sie nicht rechtmäßige Besitzer der zum Teil millionenschweren Werke waren. Und verhandelten mit den Flechtheim-Erben.
So konnte das Kunstmuseum Bonn ein Gemälde Paul Adolf Seehaus mit eindeutiger Flechtheim-Provenienz behalten, nachdem die Erben angemessen entschädigt wurden. Das Kölner Museum Ludwig war nicht so kooperativ. Es musste nach zähem Ringen im Juni 2013 ein Bild von Oskar Kokoschka an die Erben zurückgeben. Weitere zwölf Fälle sind noch ungeklärt, es betrifft die Kunstsammlung NRW und die Bayerische Staatsgemäldesammlung – hier herrscht seit gut drei Jahren Funkstille.
Die Erben wurden nicht gefragt
Diese strittigen Fälle werfen auch einen Schatten auf das ambitionierte Museumsprojekt. Denn ausgerechnet die Museen, gegen die die Restitutionsansprüche vorliegen, sind federführend, während die Flechtheim-Erben gar nicht erst gefragt worden sind. Dass sie darüber verärgert sind, liegt auf der Hand. So ist denn auch Flechtheims Großneffe, der 67-jährige Brite Michael Hulton nicht der Einladung zum offiziellen Start des Projektes gefolgt. Grundsätzlich unterstütze er ja die Provenienzforschung, so Hulton, allerdings hätte er erwartet, dass die Museen sich bei einem solchen Vorhaben auch an die Erben und deren Expertise gewandt hätten.
Falsch wäre dies sicherlich nicht gewesen. Was die Provenienzforscher nach monatelanger Arbeit und mit wenigen finanziellen Mitteln für die Flechtheim-Datenbank zusammengetragen haben, kann sich zwar durchaus sehen lassen: Dort finden sich alle Künstler, die nachweislich durch die Hände Flechtheims gegangen sind, deren Biografien, die Werke und deren Wege, soweit sie nachvollziehbar sind. Trotzdem gebe es dort eine Menge Löcher, monieren die Flechtheim-Erben.
Grabenkämpfe
Sie kritisieren auch, dass das Projekt den Eindruck vermittelt, dass es Flechtheim trotz Diffamierung, Verfolgung und Enteignung im Exil gar nicht so schlecht gegangen sei. Es fehlten auch Hinweise darauf, wie vermeintliche Freunde und Kollegen des Ehepaares Flechtheim, denen zahlreiche Kunstwerke anvertraut worden waren, mit ihnen umgegangen sind: Sie haben sich schamlos bereichert.
So ist das Projekt "Alfred Flechtheim.com/Kunsthändler der Avantgarde" sicherlich ein gut gemeintes. Leider mit dem Nebeneffekt, dass der Restitutionsstreit zwischen den Flechtheim-Erben und den beteiligten Museen immer erbitterter wird, was sich an diesem Mittwoch in Düsseldorf deutlich zeigte. Während das Projekt im Kunstmuseum stolz vorgeführt wurde, stellten wenige Straßen weiter die Flechtheim-Erben ihre eigene Webseite vor, auf der sie ihre Sicht auf die Geschichte Flechtheims deutlich machen: Alfred Flechtheim.org.