Strömungsenergie aus dem Nordatlantik
7. Juli 2009Zwei Unterwasserturbinen nutzen die starke Strömung an der Meerenge zwischen dem nordirischen Festland und einer Halbinsel, um Strom zu produzieren. Das Doppelturbinenkraftwerk hat bereits erfolgreich Strom für das Netz geliefert und soll in den kommenden Jahren 1000 Haushalte in den Gebieten Portaferry und Strangford mit Elektrizität versorgen. "SeaGen ist etwas Besonderes: eine kommerziell einsetzbare Strömungsturbine, die erste ihrer Art, die 1.2 Megawatt Energie von der Wasserströmung hier in der Meeresenge von Strangford Narrows erzeugt", erklärt Martin Wright, Geschäftsführer der Firma "Marine Current Turbines". "Unserer Meinung nach rechtfertigt alles, was über ein Megawatt hinausgeht, die Kosten der Installation im Ozean. Das Wasser ist dort tief, 23 Meter, und bei Springfluten fließt bis 10 Knoten Strömung durch die Turbine."
Das Boot fährt auf den kleinen rot-schwarzen Turm zu, der in der Mitte der rund 500 Meter breiten Meeresenge wie ein kleiner Leuchtturm aus dem Wasser ragt. Zurzeit sind auch die zwei Unterwasserrotoren sichtbar. Für Wartungsarbeiten wurden sie nach oben aus dem Wasser gefahren. "Der Querträger mit den Rotoren an beiden Enden ist mit 29 Metern ziemlich lang. Die Rotoren selbst haben jeweils eine Länge von 16 Meter", erklärt Martin Wright. Dies sei zurzeit die größte im Meer rotierende Struktur der Welt. "Es ist wie eine Unterwasserwindmühle. Wasser ist allerdings 800-mal dichter als Luft, so haben wir wesentlich stärkere Kräfte. Für die Ingenieure ist das eine große Herausforderung. Sie haben errechnet, dass das Wasser, das hier vorbeiströmt, so starke Kräfte produziert wie ein Sturm mit 300 Stundenkilometern."
Bester Ort zum Testen
Das Strömungskraftwerk in Strangford Lough war nicht unumstritten und auch heute betrachten einige Umweltschutzgruppen das Projekt mit Skepsis. Die Meerenge ist ein international anerkanntes Naturschutzgebiet. "Das Gewässer ist vor allem für Zugvögel von größter Bedeutung. Dazu kommt die Artenvielfalt auf dem Meeresboden", sagt Dr. Grahame Savidge, Leiter des Meeresforschungslabors der Belfaster Queens University in Portaferry. Der wichtigste Grund aber seien die Seehunde. In den vergangenen Jahren sei ihre Anzahl an den Küsten des Nordatlantiks zurückgegangen. "Aber in dieser Meerenge sind sie zahlreich. Die Umweltbehörden waren sehr besorgt, dass man sie stören könnte."
Savidge und sein Team überwachen die Auswirkungen des Gezeitenkraftwerks auf Flora und Fauna. Nach anfänglicher Neugierde scheinen die Seehunde die Rotoren zu meiden. Falls ein Tier in der Nähe gesichtet wird, werden die Unterwasserrotoren abgeschaltet. Aufgrund des Sonderstatus des Naturschutzgebiets überwacht auch ein Komitee aus Umweltschutzorganisationen, Wissenschaftlern und Politikern das Geschehen in Strangford Lough. Dr. David Erwin ist Vorsitzender der Gruppe. Als junger Wissenschaftler war er an den Forschungsarbeiten beteiligt, die zum Sonderstatus des Sees führten. "Diese einmalige Gegend genießt so viel Schutz. Das ist fantastisch", sagt er. "Deshalb war die Idee mit den Turbinen problematisch. Ich habe mich selbst gefragt: 'Warum ausgerechnet hier? Dieser Ort ist zu wichtig.'"
Dann aber habe er überlegt: Jeder Ort mit den nötigen Strömungsbedingungen wäre ökologisch schützenswert. Wenn die Stromgewinnung funktionieren sollte, müsste nicht nur die Technik stimmen, das Ganze müsste auch umweltverträglich sein. "So gesehen ist das hier nicht der schlechteste, sondern der beste Ort, um das zu testen. Wenn es hier funktioniert, funktioniert es überall."
Unterstützung erwünscht
Die Testphase ist auf fünf Jahre angelegt. Die wird man auch brauchen, sagt Erwin, um zu sehen, wie die Umwelt reagiert, wenn SeaGen ständig in Betrieb ist. In der Zwischenzeit schreitet die Technik weiter voran. Nach den ersten Erfolgen in Nordirland plant Firmenchef Martin Wright ein größeres Unternehmen vor der walisischen Küste. "Für unser nächstes Projekt, eine Unterwasserturbinenfarm mit zehn Megawatt Energie, gehen wir davon aus, dass die Kosten doppelt so hoch sein werden wie die von Offshore-Wind", sagt er. "Für eine Technologie im Anfangsstadium, ohne Lieferkette, ist das eine sehr gute Position, in Vergleich mit einer etablierten Technologie. In der Zukunft wollen wir so kostengünstig sein wie Windenergie auf dem Meer. Und unsere Strömungsenergie ist vorhersehbar, kann also leichter eingesetzt und verkauft werden. Aber wir brauchen Zugang zum Markt, Projekte und wir brauchen ein klares Signal von der britischer Regierung."
Denn von der wünscht er sich Unterstützung in Form eines Energie-Einspeisegesetzes nach deutschem Vorbild. Das, sagt der Pionier, könnte der Strömungsenergie zur Wettbewerbsfähigkeit verhelfen und Europa zu einer zuverlässigen, umweltfreundlichen Energiequelle machen.
Autor: Irene Quaile
Redaktion: Andreas Ziemons