Die vergessenen Kinder der Zwangsarbeiterinnen
27. September 2020Ein Bürgersteig in Hamburg-Langenhorn: 49 Stolpersteine sind in den Asphalt eingelassen. Darauf die Namen von 49 Kindern, die hier während des Zweiten Weltkriegs gestorben sind. Zumeist osteuropäisch klingende Namen kleiner Kinder, deren Mütter für das NS-Regime Zwangsarbeit leisten mussten.
Zufällige Entdeckung zahlreicher Schicksale
Erst vor etwa zehn Jahren war die Hamburger Psychologin Margot Löhr eher zufällig auf diese Kinder-Schicksale gestoßen: Sie hatte sich die Hamburger Sterberegister genauer angeschaut und hatte dabei zahlreiche Akten von Kindern und Säuglingen entdeckt, für die als Wohnort ein Hamburger ehemaliges Zwangslager angegeben war: "Diesem Schicksal der Kinder wollte ich nachgehen", so Löhr.
Schließlich zählte sie 418 Kinder - darunter viele Säuglinge -, die Opfer des NS-Regimes wurden. Viele Frauen und ihre Kinder, die meisten von ihnen waren zwischen zehn und 14 Jahren alt, waren von den Nationalsozialisten gezwungen worden, in verschiedenen Fabriken zu arbeiten. Da gab es zum Beispiel eine junge Frau Nadeshda, die als Vierjährige in das Hamburger Lager Hohenzollernring gekommen war. In ihren Memoiren erinnert sie sich, dass ihre Eltern und ihr 14-jähriger Bruder in der Fabrik schwer arbeiten mussten und dass der Bruder von Wachleuten verprügelt worden war. Er hatte offenbar ein zu schweres Fass aus Versehen fallen lassen.
Mord an Säuglingen
Besonders aber berührt Margot Löhr das Schicksal der damaligen jungen Frauen Rozena und Alice, die sich im KZ-Außenlager Hamburg-Eidelstedt befanden. Zwei tschechische Jüdinnen, die ihre Schwangerschaften im Lager aus Angst vor ihrem Leben verheimlichen mussten und aus dem Konzentrationslager Auschwitz gekommen waren. "Da durften auch keine Schwangerschaften vorkommen." Als bei Rozena im Dezember 1944 die Wehen einsetzten, brachte sie einen gesunden Knaben zur Welt. Wenig später zeigte ihr eine Frau, die zum Wachpersonal gehörte, ihr totes Kind.
Die Aufseherin habe es daraufhin in einen Pappkarton gelegt, der Kommandant des Eidelstedter Lagers, Walter Kümmel hatte das Kind ertränkt. Erst Anfang der 1970er Jahre sei es vor dem Landgericht Hamburg zu einem Untersuchungsverfahren gekommen, beide Mütter sagten dort als Zeuginnen aus. Trotzdem wurde vor Gericht die Beteiligung des damaligen Kommandanten an der Tötung der Neugeborenen "nur als Beihilfe zum Mord gewertet". Ihm seien "keine niederen Beweggründe nachzuweisen" gewesen.
Stigmatisiert in der eigenen Heimat
Viele Frauen wurden außerdem zur Abtreibung gezwungen. Nicht nur im Nachkriegsdeutschland schwieg man über dieses dunkle Kapitel der vergessenen Kinder. Zurück in ihren Heimatländern, sprachen auch die Mütter dieser Kinder in den meisten Fällen kaum über diese Zeit. Die Kinder, die die Zwangsarbeiterinnen in den Lagern in Deutschland bekommen hatten, galten zuhause als "Verräter-Kinder".
Mittlerweile hat Margot Löhr mehr als 400 dieser Schicksale aufgeschrieben und in Buchform veröffentlicht. Die Geschichte der Hamburger Zwangsarbeiterinnen ist inzwischen gut erforscht. Allein auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf waren 246 dieser Babys bestattet worden. 1959 waren die meisten dieser Gräber allerdings eingeebnet worden.
Umso wichtiger ist heute, diese lange verschwiegenen Schicksale wieder zu vergegenwärtigen. Im Herbst 2020 sollen nun noch weitere Stolpersteine in Erinnerung an die vergessenen Hamburger Kinder verlegt werden, für den einen oder anderen darunter werden noch Patinnen und Paten gesucht.