Mahnmal gegen NS-Zwangsarbeit
11. August 2020Sie sieht aus wie ein Riesenstapel aus stählernen Paletten. Dazwischen klemmen beleuchtete Stahlboxen mit Infotafeln voller Texte und Bilder. Knapp 4,5 Meter ragt die begehbare Skulptur über den Phoenix-See in Dortmund-Hörde in die Höhe. "Zwischen Licht und Schatten" heißt der von der Architektin Pia Emde entworfene Erinnerungsturm. "Jeder, derin den 1940er Jahren in Dortmund gelebt hat, wusste um dieLebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeitenden. In unserer Stadt soll niemals mehr jemand solches Leid erfahren müssen", sagte Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau in seiner Einweihungsrede.
Bis zu 80.000 ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mussten während des Zweiten Weltkriegs in der Industriestadt Dortmund schuften, fast ein Viertel allein für das Dortmunder Montanunternehmen Hörder Hüttenverein. Das Phoenix-Werk befand sich exakt dort, wo sich seit 2010 der künstlich angelegte Phoenix-See breit macht, ein begehrtes Naherholungsgebiet mit Ruder- und Segelbooten inmitten eines neu geschaffenen Stadtteils.
Das Stahlwerk, zuletzt im Besitz der Thyssen-Krupp-AG, war 2001 geschlossen worden. Teile der Anlage wurden nach China verkauft. Der Dortmunder Stadtrat beschloss bereits 2014 an dieser Stelle ein Mahnmal zu errichten, um an die Verbrechen der Nazi-Zeit zu erinnern.
In Kellern zusammengepfercht
Zwar ist Ulrich Sander erfreut über das neue Mahnmal. Der Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) erkennt darin ein "sichtbares Erinnerungszeichen". Doch bedauert Sander im DW-Interview, dass mit der einstigen Walzhalle des Stahlwerks und der dazugehörenden Pförtnerloge ein "authentischer Erinnerungsort" weichen musste. Das Mahnmal für NS-Opfer auf der Kulturinsel mitten im Phoenix-See lässt er als "Kompromiss" gelten.
Belegt ist, dass die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in den Kellern unter der Vergüterei der Werke des Dortmund-Hörder Hüttenvereins auch ein Straflager unterhielt - auf Wunsch der Konzernleitung. Laut Stadtarchiv waren dort zunächst sogenannte Ostarbeiter auf engstem Raum zusammengepfercht, später auch politische Gefangene aus umliegenden Ruhrgebietsstädten sowie jüdische Gefangene. Viele von ihnen wurden kurz vor Kriegsende in den botanischen Garten Dortmunds, den Rombergpark, gebracht und dort ermordet.
Gegen moderne Zwangsarbeit
An die sogenannten "Rombergmorde" erinnert seit den 1960er Jahren ein zweites Dortmunder Zwangsarbeiter-Denkmal im Stadtwald Bittermark. Wolfgang Asshoff hat sich damals erfolgreich dafür engagiert. Der pensionierte Lehrer und Erinnerungsarbeiter weiß um die Nazi-Verbrechen in Bittermark, Rombergpark und Hörde. Mehr als 300 Frauen und Männer - Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Widerstandskämpfer aus verschiedenen Ländern - wurden hier auf grausame Weise umgebracht. Ein "zeitgerechtes" Gedenken wie jetzt am Phoenix-See begrüßt Asshoff, doch müsse man auch in die Gegenwart blicken und gegen die "moderne Form der Zwangsarbeit" angehen. "Auch wenn sich die Methoden verfeinert und andere Bezeichnungen verwendet werden", sagt er im DW-Gespräch, "so werden trotzdem weiterhin Menschen als billige Arbeitskräfte ausgebeutet!"
Zwar geht die Idee für ein weiteres Zwangsarbeiter-Denkmal auf die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) zurück. Doch wirkten an der Realisierung auch das Stadtarchiv mit seiner Mahn- und Gedenkstätte Steinwache und der Fachbereich Architektur der FH Dortmund mit. Dortmunder Architekturstudierende entwickelten Entwürfe für ein Mahnmal. Die Jury entschied sich für den Entwurf von Pia Emde.
Entschädigung spät geregelt
"Zwischen Licht und Schatten" heißt die stählerne Mahnmal-Skulptur am Dortmunder Phoenix-See. Zwischen diesen beiden Polen bewegte sich jahrzehntelang auch die Frage der Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die Betroffenen zählten lange zu den "vergessenen Opfern des Nationalsozialismus", deren Ansprüche vom deutschen Entschädigungsrecht nicht gedeckt waren. Das änderte sich erst Ende der 1990-er Jahre, als Deutschland eine Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeit einrichtete – unter Beteiligung der deutschen Wirtschaft.
Parallel dazu führten Sammelklagen und Boykottdrohungen in den USA zur Gründung einer Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Darüber boten vor allem exportorientierte deutsche Großunternehmen eine Beteiligung an einer "humanitären Geste" an – ohne ein Schuldeingeständnis. Im Gegenzug verlangten sie "Rechtssicherheit" für die Unternehmen vor weiteren Klagen in den USA. Nach Feststellung dieser "Rechtssicherheit" durch den Bundestag am 30. Mai 2001 konnten die Auszahlungen beginnen.
"Einen geeigneteren Standort für dieses Mahnmal der Erinnerung hätten wir nicht wählen können", sagte Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Gerade der Kontrast zwischen Naherholungsgebiet und brutaler Vergangenheit werde helfen, die Erinnerung wach zu halten. Gut 20 Jahre nach der Debatte über Entschädigungen für Zwangsarbeiter sei Dortmund mit seinem Mahnmal am Phönix-See vielleicht "spät dran", räumt der Historiker Markus Gönnewig von der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache auf DW-Anfrage ein. "Dafür passiert in vielen anderen Städten gar nichts."