Stimmungstest für Erdogan
26. März 2019Wer einen Termin bei Recep Tayyip Erdogan will, muss gar nicht lange warten. In der Kleinstadt Gölcük, etwa zwei Autostunden von Istanbul entfernt, macht er gerade Wahlkampf. Schwarzer Anzug, weißes Hemd. Händeschütteln im Blumengeschäft. Fototermin beim Fleischer. Werbezettel verteilen im Teehaus.
Allerdings ist dieser Recep Tayyip Erdogan erst 20 Jahre alt und neu in der Politik. Bei den türkischen Kommunalwahlen kandidiert er als "Muhtar" - eine Art Bezirksvorsteher, parteilos und auf fünf Jahre gewählt.
"Der Name hilft mir bei diesen Wahlen"
"Wenn ich meinen Namen sage, glauben mir viele Leute zunächst nicht und denken, ich mache Scherze - dann zeige ich ihnen meinen Personalausweis", sagt Erdogan und zückt die handtellergroße Plastikkarte. Verwandt ist er nicht mit dem türkischen Präsidenten, aber sein Vater sei ein großer Fan des islamisch-konservativen Politikers gewesen - schon damals, als der noch Bürgermeister von Istanbul war.
Klein anfangen und irgendwann vielleicht einmal groß rauskommen, das ist jetzt auch der Traum des jungen Erdogan. "Dass ich genauso heiße wie unser Präsident, ist für mich eine große Ehre, denn er wird respektiert und geliebt. Ich bekomme viele positive Reaktionen. Ich denke, der Name hilft mir bei diesen Wahlen".
"Frage des Überlebens" für Erdogan
Auch Erdogans Namensvetter, der Präsident, hofft offenbar, dass seine persönliche Popularität die entscheidenden Stimmen bringt. Seit Jahresbeginn macht er nahezu pausenlos Wahlkampf, reist durchs ganze Land. Jeden Tag redet Erdogan gleich auf mehreren großen Kundgebungen, live übertragen von den meisten TV-Kanälen. Es wirkt fast so, als stünden am 31. März nicht Bürgermeister, Stadträte und Bezirksvorsteher zur Wahl, sondern er - der Staatschef.
"Erdogan hat sich die ganze Last dieses Wahlkampfes auf die eigenen Schultern geladen. Er ist ein beeindruckender Redner aber man merkt ihm auch an, dass er nervös ist", sagt der Journalist Ismail Saymaz, der für "Hürriyet" schreibt. Die Tageszeitung wurde 2018 an einen Erdogan-nahen Unternehmer verkauft.
Saymaz gilt als einer der wenigen Autoren des Blattes, die sich noch trauen, die Politik des Präsidenten kritisch zu kommentieren. "Das ist keine gewöhnliche Kommunalwahl", sagt er. "Erdogan selbst hat diese Abstimmung zu einer 'Frage des Überlebens' erklärt. Im Kern geht es darum, ob die Wähler das neue Präsidialsystem bestätigen - oder nicht".
Rezession in der Türkei
Seit ihrer Gründung 2001 hat Erdogans Partei, die AKP, jede Wahl gewonnen. Unter anderem mit dem glaubwürdigen Versprechen auf eine bessere Zukunft: Gute Wachstumszahlen und steigender Lebensstandard. Erdogan selbst ist vom Istanbuler Bürgermeister zum Ministerpräsidenten und schließlich zum Staatschef aufgestiegen. Seit vergangenem Jahr hat er als Präsident weitreichende neue Machtbefugnisse.
Aber jetzt ist die Türkei zum ersten Mal seit Langem in einer Rezession. Die Währung ist eingebrochen. Inflation, Arbeitslosenzahlen und Preise sind in die Höhe geschnellt. Immer mehr Firmen melden Konkurs an. Um die Märkte zur Senkung der Preise zu zwingen, hat die Regierung eigene Verkaufsstände eingerichtet. An vielen Orten stehen die Menschen jetzt Schlange - für staatlich subventioniertes Gemüse.
Istanbul gilt als wichtigste politische Trophäe
All das könnte Erdogans AKP das Wahlergebnis verhageln. Die Partei tritt - wie schon bei der Parlamentswahl 2018 - in einem Bündnis mit der ultranationalistischen MHP an. Vielerorts dürfte die AKP stärkste Kraft bleiben, doch besonders in den prestigeträchtigen Metropolen muss sie mit Rückschlägen rechnen.
In der Hauptstadt Ankara führt laut Umfragen der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Mansur Yavaş. Auch in Antalya, Adana, Mersin und vielleicht sogar in Bursa könnte die Opposition das Bürgermeisteramt erobern. Izmir an der Westküste ist ohnehin eine Hochburg der CHP.
In Istanbul sehen Umfragen den AKP-Kandidaten Binali Yildirim knapp vorn, doch es droht ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Wirtschaftsmetropole mit ihren 15 Millionen Einwohnern gilt als wichtigste politische Trophäe. Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei - betont Erdogan selbst immer wieder.
"Verlust von Istanbul wäre politisches Erdbeben"
Eine Woche vor den Wahlen hielt er hier eine seiner größten Kundgebungen, auf riesigen Monitoren präsentierte der Präsident Errungenschaften und Großprojekte: Krankenhäuser, U-Bahn-Strecken, Wohnanlagen, Bibliotheken, Sporthallen, Schulen, Brücken, der neue Istanbuler Flughafen. "Wir arbeiten hart und schlafen wenig", rief Erdogan seinen Anhängern zu. Viele trugen Stirnbänder mit seinem Namen.
"Erdogan ist eng mit Istanbul verbunden. Hier hat seine Karriere begonnen. Wenn seine AKP in Istanbul eine Niederlage erlebt, dann wäre das ein politisches Erdbeben", sagt Journalist Ismail Saymaz. "Selbst wenn sie nur einige wichtige Stadtteile verlieren, wie Üsküdar oder Beyoglu - die AKP wäre angezählt".
Spekulationen über Neuwahlen
Sollte die Opposition sowohl Ankara als auch Istanbul gewinnen, so Saymaz, werde es in der Türkei bald Diskussionen über Neuwahlen geben. Seit Wochen halten sich zudem Gerüchte über eine neue Partei, angeführt von einstigen Unterstützern Erdogans, wie Ex-Präsident Abdullah Gül und Ex-Premier Ahmet Davutoğlu.
An solche Szenarien will der junge Recep Tayyip Erdoğan nicht denken. Aber auch er hört in seinem Viertel in Gölcük viele Beschwerden über die schlechte Lage im Land. "Zu viele junge Menschen sind arbeitslos, die kleinen Geschäftsleute haben es schwer", beschwert sich der Besitzer eines Teehauses. "Nichts läuft gut. Gar nichts".
Wenn er Bezirksvorsteher wird, will er die Probleme anpacken - zumindest in Gölcük, sagt Erdogan. Doch noch hat er das Muhtar-Amt nicht sicher, es gibt zwei Gegenkandidaten. Erst am Wahlabend wird sich zeigen, ob der Name den entscheidenden Unterschied macht - für beide Recep Tayyip Erdoğans.