EU kurz vor Klage gegen Deutschland
30. Januar 2018Nach wie vor gibt es in europäischen Städten zu viel Feinstaub und zu viel Stickoxid in der Luft - so das Fazit von EU-Umweltkommissar Karmenu Vella nach dem Treffen mit neun Mitgliedsstaaten. Allen Staaten droht eine Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sie seit Jahren die Grenzwerte nicht einhalten. "Alle Fristen sind gerissen worden. Wir können uns keine weiteren Verzögerungen mehr leisten", sagte Vella in der Sitzung mit den Umweltministern. Es könne nicht länger hingenommen werden, dass jährlich 400.000 EU-Bürger vorzeitig stürben, weil die Luft, die sie atmeten, zu schlecht sei. "Wir verlieren Leben durch die Luftverschmutzung. Wir müssen unsere Bürger schützen", so der EU-Kommissar.
Dem stimmen im Prinzip die Minister der betroffenen neun Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, auch zu. Aus Sicht der EU-Kommission lassen sie sich nur zu viel Zeit im Kampf für saubere Luft. Seit 2010 gelten die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid. Schon seit 2015 laufen sogenannte "Vertragsverletzungsverfahren" gegen die Umweltsünder. Jetzt droht die EU-Kommission nach langem Zögern mit einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, die in letzter Konsequenz zu empfindlichen Geldstrafen führen kann. Die EU-Kommission sah das Treffen in Brüssel als "letzte Chance" an, eine Klage abzuwenden.
Deutschland sieht Erfolge
Barbara Hendricks (SPD), die geschäftsführende deutsche Umweltministerin, wollte diese Chance nutzen und legte dem EU-Kommissar noch einmal den wohlbekannten Aktionsplan der Bundesregierung zur Luftreinhaltung vor. Der Bund will in diesem Jahr eine Milliarde Euro für neue Busse in den Städten ausgeben. Mehr Elektrofahrzeuge sollen auf die Straße gebracht werden, mehr Pendler auf die Schiene. Neue Verkehrskonzepte für die 20 am stärksten betroffenen Städte wie Stuttgart, München oder Köln sollen entwickelt werden. Barbara Hendricks versuchte, die bisherigen Bemühungen in Deutschland als Erfolg darzustellen. Im letzten Jahr sei die Stickoxid-Belastung um fünf Prozent zurückgegangen, sagte sie. Nicht mehr 90, sondern nur 70 Städte würden die Grenzwerte reißen. "Wir sind noch nicht da, wo wir hinkommen wollen", räumte die Ministerin ein.
Wie die Umweltminister der übrigen Staaten hat Hendricks die EU-Kommission um mehr Zeit gebeten, die Maßnahmen umzusetzen. Ob EU-Kommissar Vella darauf eingehen würde, konnte die deutsche Ministerin nicht sagen. Eine Klage sei immer noch möglich. Vella sagte auf Reporterfragen nach der Sitzung, man habe keine neuen Fristen gesetzt. "Das rechtliche Verfahren geht weiter, allerdings können die Staaten noch bis kommenden Montag letzte Unterlagen nachreichen." Es habe ein paar neue Zusagen zur Luftreinhaltung gegeben, sagte der Kommissar, ohne Einzelheiten zu nennen.
Vielleicht Nachrüstungen für Diesel, keine Fahrverbote
Die EU-Kommission schreibt den Mitgliedsstaaten nicht vor, wie sie die Luft verbessern können. Das müssen sich die Staaten selbst ausdenken. Deutschland hat aus Sicht der Europäischen Union seine wichtigste Schlüsselindustrie, die Autobauer, bislang pfleglich behandelt. Dieselfahrzeuge, die für den größten Teil der Stickoxide in deutschen Städten verantwortlich sind, müssen nur mit einer Software nachgerüstet werden; kostspielige Ein- und Umbauten von Filtersystemen waren bislang nicht gefordert.
Dies könnte sich ändern, deutete die Umweltministerin an. "Die Autoindustrie ist in der Pflicht", sagte Barbara Hendricks. Bislang sei nur die Hälfte der Softwareupdates umgesetzt. Für technische Nachrüstungen an den Autos sei sie offen - auf Kosten der Hersteller. Fahrverbote allerdings wolle sie vermeiden. "Damit würde man das Problem bei den Diesel-Fahrern abladen. Das wäre zutiefst ungerecht." Die nächste Bundesregierung muss sich hierzu ein Meinung bilden. Das Problem dürfte auch in den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD auftauchen.
VW-Chef entschuldigt sich
Die Tests zur Wirkung von Stickoxiden, die drei deutsche Autofirmen und ein Zulieferer an Affen in den USA und möglicherweise an Menschen in Deutschland hat durchführen lassen, hätten bei dem Treffen in Brüssel keine Rolle gespielt, sagte die Umweltministerin mit säuerlicher Miene. Bereits gestern hatte Hendricks die Studien als "widerlich" und "unethisch" kritisiert. Der Chef von Volkswagen, Matthias Müller, hatte sich am Montagabend beim Jahresempfang seiner Firma für Lobbyisten in Brüssel entschuldigt. "Es gibt Dinge, die macht man einfach nicht", sagte Müller.