"Experimente hatten nichts mit Dieselskandal zu tun"
29. Januar 2018In Deutschland finden keine Versuche an Tieren oder am Menschen statt, ohne dass eine Ethikkommission zuvor diese Versuche befürwortet. So war es auch mit einem Experiment, das der Arbeits-, Sozial- und Umweltmediziner Prof. Thomas Kraus am Uniklinikum Aachen 2013 durchgeführt hatte.
25 gesunde Probanden wurden für drei Stunden einer Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) ausgesetzt, die unterhalb der üblichen Grenzwerte gelegen habe, erklärte Kraus am Montag der Deutschen Presseagentur. Die Forschungsarbeit habe nichts mit dem späteren Dieselskandal zu tun gehabt, versichert die Uniklinik darüber hinaus in einer Pressemitteilung.
Ebenso distanziert sie sich darin auch explizit von einem in der New York Times zitierten "Affenversuch". Damit habe man nichts zu tun. Es sei ausschließlich um die Schadstoffbelastungen am Arbeitsplatz gegangen. Besonders starke Stickoxidbelastungen erleiden zum Beispiel LKW- und Busfahrer, KfZ-Mechaniker, Schweißer oder auch Menschen, die an stark befahrenen Straßen leben oder arbeiten.
Uni: Forscher "in keinster Weise beeinflusst"
Die Studie sei im Rahmen einer Herabsetzung des gesetzlichen Stickstoffdioxid-Grenzwertes erfolgt. Seit 2010 dürfen in Europa im Jahresmittel 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft nicht überschritten werden. An Arbeitsplätzen im Freien darf der Wert über eine Dauer von einer Stunde nicht über 200 Mikrogramm steigen. In geschlossenen Räumen dürfen die Werte indes deutlich höher sein: Bis zu 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) habe die Studie gefördert, erklärte Kraus. Er betont, dass diese Industrie-Vereinigung die Forscher jedoch "in keinster Weise" beeinflusst habe. Und bei keinem der Probanden habe es gesundheitliche Auswirkungen gegeben.
Universitäre Ethikkommissionen üben Selbstkontrolle aus
Der Ethikkommission der Aachener Uniklinik, die die Studie zugelassen hatte, gehören neben Ärzt/innen, ein/e Jurist/in mit Befähigung zum Richteramt, ein/e Apotheker/in, ein/e Ethiker/in sowie ein/e Patientenvertreter/in an. Die meisten Mitglieder der Kommission sind Beschäftigte des Uniklinikums. Somit ist die Kommission eine Institution der universitären Selbstkontrolle.
Dies sei die übliche Zusammensetzung für universitäre Ethikkomissionen, sagt Prof. Bert Heinrichs, vom Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE) der Universität Bonn, der Deutschen Welle. Die Kommission sei in ihren Entscheidungen völlig unabhängig – insbesondere von den Mittelgebern der durchgeführten Forschungsvorhaben.
"Ethikkommissionen können Auflagen auferlegen und auch Forschungsvorhaben ablehnen. Da besteht keine unmittelbare Abhängigkeit", betont Heinrichs. "Nach meinem Wissensstand prüfen die Kommissionen sehr gewissenhaft. Das System der deutschen Ethikkommissionen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt und ist wirklich ein gutes und anerkanntes."
Nicht mit Medikamentenstudie vergleichbar
Ethikkommissionen sind insbesondere dem hippokratischen Prinzip verpflichtet, dass kein ärztliches Handeln zum Schaden von Patienten ausfallen darf. Das gilt insbesondere für Medikamentenversuche.
Im Fall der NO2-Experimente wurde aber kein medizinischer Wirkstoff an den Probanden erforscht, sondern ein Luftschadstoff. Das macht den Fall etwas komplizierter. Er sei deshalb auch nicht mit einer Medikamenten-Verträglichkeitsstudie vergleichbar, betont Heinrichs.
"Ist es das wirklich wert gewesen?"
"Der Arzt ist natürlich Arzt und damit dem Wohl des Patienten verpflichtet, aber in dieser konkreten Situation tritt er ja als Forscher - als Wissenschaftler auf. Ganz wichtig ist, dass er das dem Probanden auch deutlich macht." Da die Probanden über den Versuch aufgeklärt werden, sei ihnen klar, dass sie daraus keinen persönlichen Nutzen ziehen.
Sicherlich habe die Aachener Ethikkommission "gute Gründe" gehabt, das Forschungsvorhaben zu akzeptieren. Es sei aber "ungewöhnlich" dass ein Umweltgift an den Probanden erprobt wurde, selbst wenn es sich um minimale Konzentrationen gehandelt habe, bei denen eine Gefährdung sehr unwahrscheinlich gewesen sei. Üblicherweise gehe es bei Versuchen am Menschen um Arzneimittelstudien. "Da fragt man sich natürlich: Ist es das wirklich wert gewesen?", gibt Heinrichs zu bedenken.
Arzneimittelgesetz greift nicht
Und noch etwas unterscheide den Fall der NO2-Studie von einer Arzneimittelstudie, fügt der Ethiker hinzu, nämlich die gesetzliche Grundlage: "Spezielle gesetzliche Regelungen für die Forschung am Menschen - unterhalb ganz allgemeiner Verfassungsgrundsätze und Strafvorschriften - gibt es in Deutschland nur für Arzneimittel und Medizinprodukte."
Auf dieser Grundlage können Ethikkommissionen, die über Forschungsvorhaben zu befinden haben, auch auf weniger konkrete Handlungsempfehlungen zurückgreifen. Ohne Kenntnis des Studienprotokolls sei der konkrete Fall schwer zu bewerten. Allerdings räumt Heinrichs ein, sei es durchaus vorstellbar, dass auch die umstrittene NO2-Studie wichtige Erkenntnisse liefern könne - "beispielsweise um Arbeitsplätze sicherer zu machen."