Volkssport Steuerhinterziehung
10. März 2014Beim Schlagersänger Freddy Quinn waren es rund 900.000 Euro, beim früheren Deutsche-Post-Vorstand Klaus Zumwinkel war es knapp eine Million, der Tennis-Star Boris Becker kam sogar auf 1,7 Millionen Euro: Die Rede ist nicht vom Einkommen dieser Persönlichkeiten, sondern von der Summe der Steuern, die sie hinterzogen haben und für die sie in Deutschland auf der Anklagebank saßen. FC Bayern-Präsident Uli Hoeneß darf sich also zumindest in prominenter Gesellschaft fühlen, sollte ihn das Münchner Oberlandesgericht tatsächlich wegen Steuerhinterziehung verurteilen.
Viele Millionen soll FC Bayern-Präsident Uli Hoeneß am deutschen Fiskus vorbei in die Schweiz geschleust und auf diese Weise über drei Millionen Euro Steuern gespart haben - eine gewaltige Summe, die in der deutschen Öffentlichkeit für viel Wirbel sorgte: Drücken sich die Reichen um ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen? Und: Sind die einfachen Arbeitnehmer die Dummen, denen die Steuern direkt vom Gehalt abgezogen werden?
Wie viel Steuern sind gerecht?
Die guten Armen, die bösen Reichen: Ganz so einfach ist die Sache nicht, meint der Ökonom Gebhard Kirchgässner von der Universität St. Gallen. Er beobachtet zwar bei vielen Wohlhabenden die Ansicht, dass ihre Steuerlast zu hoch sei und der Staat nicht das Recht habe, so viel von ihnen zu verlangen: "Aber Steuerhinterziehung ist durchaus kein Privileg der Reichen, sondern kommt in allen gesellschaftlichen Gruppen vor", so Kirchgässner.
Denn beim Thema Steuerhinterziehung geht es nicht nur um Millionendepots auf Schweizer Nummernkonten oder um Scheinfirmen auf den Bahamas: Dazu gehört eben auch der Nebenjob, der dem Finanzamt nicht gemeldet wird, oder die kleine Schummelei bei der Angabe in der Steuererklärung, wie viele Kilometer der Arbeitsplatz vom Heimatort entfernt ist, um mehr Fahrtkosten absetzen zu können. "Wenn ich einen Handwerker ein Zimmer renovieren lasse, und er das schwarz macht, dann geht es um einen ziemlich geringen Steuerbetrag - und da haben die Leute wenige Gewissensbisse", vermutet der Ökonom Kirchgässner.
Steuern sparen leicht gemacht
Doch auch die vielen kleinen hinterzogenen Steuerbeträge häufen sich am Ende zu einer großen Summe: 30 Milliarden Euro gehen dem deutschen Staat jedes Jahr verloren, weil bei der Steuer geschummelt wird, schätzt die Steuergewerkschaft. Die Deutschen, ein Volk von Steuerhinterziehern?
Der Präsident beim Bund der Steuerzahler Reiner Holznagel glaubt nicht, dass es um die Steuermoral der Deutschen besonders schlecht bestellt ist. "Aber man darf auch nicht unterschätzen, dass ein sehr kompliziertes Steuersystem dazu beiträgt, dass Steuern hinterzogen werden", sagte er der DW. In der Tat machen es die vielen Paragraphen im deutschen Steuerrecht mit unzähligen Ausnahmen und Sonderregelungen leicht, hier und da ein wenig zu tricksen. Doch nach Ansicht von Holznagel ist das nicht der einzige Grund, warum viele Deutsche es offenbar als eine Art Sport betrachten, möglichst wenig Steuern zu zahlen: Viele hätten einfach nicht das Gefühl, dass der Staat das Geld, das er einnimmt, sinnvoll ausgibt. Der Bund der Steuerzahler listet in seinem Schwarzbuch jedes Jahr eine ganze Sammlung von Fällen auf, in denen Steuern verschwendet werden - darunter auch ziemlich skurrile Beispiele wie der Bau einer Brücke für Fledermäuse im schwäbischen Biberach.
Also ist der Staat schuld, der das hart verdiente Geld der Bürger einfach verschleudert und deshalb auf berechtigte Gegenwehr stößt? Viele führen in diesem Zusammenhang die Schweiz als Gegenmodell an: Dort bestimmen die Bürger mit, wie viel Steuern sie zahlen und wofür das Geld dann ausgegeben wird. Der Ökonom Gebhard Kichgässner von der Universität St. Gallen lebt seit vielen Jahren in der Schweiz und sieht darin sowohl als Bürger als auch aus Sicht eines Wissenschaftlers nur Vorteile: "Es gibt Untersuchungen, dass direkte Demokratie tendenziell zu mehr Steuerehrlichkeit führt." Und das Schweizer Modell rechnet sich sogar: Das zumindest hat eine Untersuchung in 148 Schweizer Gemeinden gezeigt. "Je stärker ausgebaut die Mitbestimmung in den Gemeinden ist, desto geringer ist die Verschuldung pro Kopf."
Wie viel Staat will man sich leisten?
Politikwissenschaftler Thomas Rixen von der Universität Bamberg glaubt trotzdem nicht, dass die Schweizer deshalb auch ehrlicher ihre Steuern zahlen als die Deutschen: "Das ist eine Behauptung, die noch nie jemand bewiesen hat."
Er zweifelt auch daran, dass mehr Mitbestimmung als Allheilmittel gegen Steuerhinterziehung taugt - und fordert stattdessen eine stärkere Diskussion darüber, was öffentliche Güter sind und wofür jeder Bürger sie braucht. In den vergangenen Jahren habe man in der Öffentlichkeit den Staat immer kritischer gesehen und stärker auf den Markt gesetzt: "Man hat damit quasi eine ideologische Grundlage gelegt, dass man den Staat nicht gut ausstatten muss, weil man ja gar keinen starken und handlungsfähigen Staat wollte."
Kein Kavaliersdelikt mehr
Wünschenswert sei auch mehr Transparenz darüber, wie die Steuerlast in Deutschland verteilt ist: "Das kennt man auch aus anderen Ländern: In Schweden zum Beispiel kann man nachsehen: Wie viel Steuern bezahlt mein Nachbar?", so Rixen im DW-Interview. Und obwohl die Steuersätze in ganz Skandinavien deutlich höher sind als in Deutschland, ist die Steuerehrlichkeit dort ebenfalls größer. Ob ein Steuersystem als gerecht oder ungerecht empfunden wird, hängt aus Sicht des Politologen Rixen nicht so sehr von der Höhe der Steuern ab: Rixen glaubt, dass es viel wichtiger ist, dass das Steuerrecht auch gleichmäßig durchgesetzt wird. Und da sieht er in Deutschland erhebliche Mängel: Die Finanzämter seien zu schlecht ausgestattet, es gebe zu wenig Steuerfahnder, die sich auf die Suche von Betrügern machen können.
Dass nun immer mehr Steuerbetrüger wie Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß oder die Verlegerin Alice Schwarzer sich selbst anzeigen, ist nach Ansicht von Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler ein gutes Signal: "Offenbar hat auch die gesellschaftliche Diskussion darüber dazu beigetragen, dass Steuerhinterziehung eben nicht mehr als Kavaliersdelikt angesehen wird."