Deutschlands schusselige Elite
4. Februar 2014Niemand zahlt gerne Steuern. In Deutschland nicht und auch in keinem anderen Land der Welt. Und deswegen versucht jeder Bürger, seine Steuerlast so weit wie möglich zu minimieren. Gerne auch auf illegalem Weg. Steuerhinterziehung ist Volkssport: Da werden private Ausgaben zu beruflichen deklariert, Belege gefälscht, es wird schwarzgearbeitet oder Schwarzarbeit in Anspruch genommen. Alles zum Schaden des Staates, dem dadurch jährlich Einnahmen in Milliardenhöhe entgehen. So weit, so schlecht.
Dass der Staat auf Einnahmen angewiesen ist, um seine Aufgaben zu erfüllen, bezweifelt niemand ernsthaft. Auch die nicht, die dem Fiskus durch Tricks und Rechtsbruch das vorenthalten wollen, was dem Staat per Gesetz zusteht. Es gibt zwar keine Untersuchungen darüber: Aber sogar das Verhalten derer, die dem Staat besonders verpflichtet sind, unterscheidet sich vermutlich kaum von dem anderer Bürger. Zumindest klagen auch Beamte und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes regelmäßig vor Finanzgerichten auf Minderung ihrer Steuerlast. Obwohl man doch die Hand nicht beißen soll, die einen füttert, wie ein altes Sprichwort sagt.
Können vor diesem Hintergrund die Enthüllungen der vergangenen Tage noch Emotionen auslösen? Theo Sommer, der langjährige Chefredakteur und Herausgeber der angesehenen Wochenzeitung "Die Zeit": ein verurteilter Steuerbetrüger. Alice Schwarzer, das Gesicht der deutschen Frauenbewegung, omnipräsent auf den TV-Bildschirmen zu vielen Fragen von Recht und Gerechtigkeit: jahrzehntelang Besitzerin eines Schwarzgeld-Kontos in der Schweiz. André Schmitz, der Kulturstaatssekretär des Bundeslandes Berlin: ebenfalls verurteilt wegen Steuerhinterziehung mithilfe von Schweizer Konten. Und der Prozess gegen Fußballmanager Uli Hoeneß wegen des gleichen Deliktes beginnt in wenigen Wochen.
Ja, diese Nachrichten müssen Emotionen auslösen, selbst wenn sie in den meisten Fällen ebenfalls durch Rechtsbruch an die Öffentlichkeit gelangt sind - weil nämlich auch verurteilte Steuersünder in Deutschland ein Recht auf das Steuergeheimnis haben. Die Fälle müssen Emotionen auslösen, nicht wegen der zum Teil überraschend hohen Geldbeträge, die von den Genannten am Finanzamt vorbeigeschafft wurden. Es geht nicht um Neid auf Menschen, die mehr Geld haben als die Durchschnittsbürger. Nein, die Fälle lösen Emotionen aus, weil die Steuersünder allesamt zur Elite der deutschen Gesellschaft zählen. Als solche haben sie Vorbildfunktion. Und allesamt versagt.
Ausgerechnet der Spitzenmanager der deutschen Hauptstadtkultur, der es ständig an Geld mangelt, zahlt seine Steuern nicht. Da bleibt einem die Spucke weg. Theo Sommer, den alte Kollegen als durchaus pedantisch beschreiben, nennt "Schusseligkeit oder Schlamperei" als Grund für den Steuerbetrug. Und Alice Schwarzer fällt nichts Besseres ein, als sich als Opfer zu inszenieren: Sie habe das Geld in der Schweiz angelegt, weil sie vor Jahrzehnten fürchtete, eventuell einmal die Bundesrepublik verlassen zu müssen. Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.
Der Rechtsstaat hat diese drei Fälle längst zu den Akten gelegt, die Urteile sind gesprochen, die Strafen bezahlt. Alle drei Steuersünder sind immer noch wohlhabende Bürger, denen es an nichts mangelt. Außer an Glaubwürdigkeit, von der sie in ihren bisherigen Ämtern und Funktionen so profitierten. Diese ist unwiederbringlich verloren, und mit jedem neuen Rechtsfertigungsversuch wird es nur schlimmer. Wenn sie also dem Staat und der Gesellschaft noch einen letzten Dienst erweisen wollen, dann sollten sie den Rest ihrer Tage ganz einfach öffentlich schweigen.