Stella Nyanzi: Ugandas radikalste Aktivistin
8. März 2022Es ist ein nasskalter Tag im Februar 2022. Dem Münchner Winter zum Trotz trägt Stella Nyanzi eine Kombination aus kurzer Bluse und Hose aus Kitenge, einem traditionellen afrikanischen Stoff, der in ihrem Heimatland Uganda sehr beliebt ist. Dazu auffallend roten Lippenstift. Stella Nyanzi liebt Lippenstift. Für die Feministin ist er wie eine Kampfansage; als könnte sie damit die Worte, die ihren geschminkten Mund verlassen, noch unterstreichen. Und das sind in der Regel kraftvolle Worte. Worte, die sie in der Vergangenheit bereits zweimal ins Gefängnis gebracht und ins Exil gezwungen haben.
Aufatmen in Deutschland
Ende Januar 2022 hat sie mit ihren drei Kindern Zuflucht in Deutschland gefunden. Als Stipendiatin des "Writers in Exile" Programms der Schriftstellervereinigung PEN, die sich für verfolgte Autoren und Autorinnen einsetzt. "Hier kann das, was gegen Diktaturen gesagt werden muss, ausgesprochen werden", so Nyanzi im Gespräch mit der DW. "Niemand wird mich dafür töten oder mich niederprügeln. Das ist es, was Freiheit bedeutet!" Ihre Stimme zittert, als sie den letzten Satz ausspricht. Die Aktivistin und Bürgerrechtlerin hat einen langen und lebensgefährlichen Weg hinter sich, bevor sie ihre Freiheit wiedererlangen konnte.
In Uganda gilt die 47-Jährige als eine der erbittertsten Kritikerinnen von Präsident Yoweri Museveni, der das ostafrikanische Land seit mehr als 35 Jahren regiert. Mit Taten und Worten lehnt sich Nyanzi auf - gegen ihn persönlich und seine Regierung, die unliebsame Gegner verhaften, foltern oder einfach verschwinden lässt.
2017 muss sie zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, in die Fänge eines repressiven Systems zu gelangen. Für einen, wie sie sagt, "banalen" Facebook-Post, indem sie den ugandischen Präsidenten als "ein Paar Arschbacken" und seine Frau, Bildungsministerin Janet Museveni, als "hirnlos" bezeichnet, muss Nyanzi für über einen Monat ins Hochsicherheitsgefängnis Luzira. Vorausgegangen war eine heftige Kontroverse rund um ein gebrochenes Wahlversprechen: Als Museveni 2015 für die Wiederwahl kandidierte, warb er damit, kostenlose Monatsbinden an "arme Mädchen" verteilen zu wollen.
In Uganda wie in vielen afrikanischen Ländern südlich der Sahara sind Menstruationsprodukte Luxusartikel. Vielen Frauen und Mädchen können sich keine Binden leisten. Aus Scham bleiben viele Schülerinnen regelmäßig dem Unterricht fern und können den verpassten Stoff nur schwer aufholen. Einige Mädchen brechen die Schule daraufhin komplett ab.
Das Versprechen der Musevenis hätte das Leben vieler Mädchen verändern und ihre Chance auf eine gute Ausbildung erhöhen können. Schon während des Wahlkampfs hatte Nyanzi heftige Kritik an Museveni geübt, ihm unter anderem vorgeworfen, er habe "in unsere Demokratie geschissen" und sich bei Protesten mit der Polizei angelegt, dennoch war sie nicht auf das vorbereitet, was sie nach ihrer Verurteilung erwarten sollte: "Wenn man es zum ersten Mal mit einer repressiven, militanten, brutalen Diktatur zu tun bekommt, mag man noch unschuldig und naiv sein", meint sie rückblickend. "Aber wenn man so viel Brutalität seitens des Staates erfährt, macht einen das sehr schnell kämpferisch."
Stella Nyanzi lässt sich nicht brechen
Als Stella Nyanzi nach vier Wochen wieder auf freien Fuß kommt, ist sie körperlich geschwächt: Im Gefängnis wurde sie geschlagen, hat sich mit Malaria angesteckt und sich einen Harnwegsinfekt zugezogen. Sie kann kaum gehen. Doch mental fühlt sie sich stärker denn je: "Wenn Museveni und seine Diktatur gehofft haben, sie könnten mich zum Schweigen bringen, indem sie mich wegsperren, da musste ich sie einfach schockieren und weiter reden, weitermachen und noch radikaler werden."
Auf der Straße und in den Sozialen Netzwerken kämpft Stella Nyanzi fortan noch kompromissloser und entschlossener weiter für Meinungsfreiheit und für die Rechte von Frauen, Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen. Ihre Motivation zieht sie zum Teil aus ihrer eigenen Geschichte: "Ich bin die erstgeborene Tochter einer Mutter, die 'nur' vier Mädchen geboren hat", so Nyanzi. "Ich musste zusehen, wie mein Vater polygame Ehen mit anderen Frauen einging, um Söhne zu bekommen, damit seine Familie zufrieden ist."
Trotz der patriarchalischen Familienstruktur, in der sie aufwächst, erhält Stella Nyanzi eine gute Ausbildung: Nach dem Abitur und einem Bachelor an der Makerere University hängt Nyanzi, dank eines Stipendiums, einen Master an der University of London an. Danach promoviert sie in medizinischer Anthropologie an der London School of Hygiene & Tropical Medicine. Naynzis Fachgebiet sind Themen rund um die sexuelle und reproduktive Gesundheit, insbesondere im Zusammenhang mit der Stigmatisierung von Jugendlichen, Frauen und sexuellen Minderheiten in Uganda. Ihre Arbeit gilt sowohl bei Wissenschaftlern als auch Aktivisten als bahnbrechend, da sie Homosexualität und afrikanische Queer-Identitäten beleuchtet - Themen, die nicht nur in Uganda, sondern in vielen Ländern Subsahara-Afrikas, als kulturelles Tabu gelten und dementsprechend schwierig zu erforschen sind.
Als sie nach ihren Auslandsstudien nach Uganda zurückkehrt, um eine Stelle an der Makerere University anzutreten, wird im Land heftig über ein Gesetz diskutiert, das Homosexualität mit dem Tode bestrafen soll. Nyanzi beginnt, die Sozialen Medien zunehmend als Plattform zu benutzen für ihren "radikalen Protest" und baut sich eine große Followerschaft auf. Ihre Posts sind kritisch, unverblümt, schonungslos und anklagend. 2018 findet sie in einem Gedicht radikale Worte für den Wunsch, Museveni sei nie geboren worden: "(...) Yoweri, man sagt, du hattest gestern Geburtstag. Was für ein ekelerregender Tag!" Was dann folgt, ist nichts für zarte Gemüter.
Folter und Trauma im Gefängnis
Für ihr Gedicht landet Stella Nyanzi erneut im Hochsicherheitsgefängnis - dieses Mal für 16 Monate. Wenn sie heute über diese Zeit spricht, spiegelt sich ein Meer von Emotionen in ihrem Gesicht wider: Trauer, Wut, Kummer, aber auch Stolz. Wie eine Trophäe verwahrt sie ihre Gefängnisunform und die mehrfach geflickten Flip-Flops, die ihr als einziges Schuhwerk im Gefängnis gestattet waren. "Ich habe diese Uniform aus dem Gefängnis gestohlen und ich bin froh darüber, denn man hat mir im Gefängnis mein Baby weggenommen!" Stella Nyanzi lässt ihre Worte nachhallen, bevor sie weiterspricht: "Die Gefängniswärterinnen haben mich verprügelt, mich gefoltert. Sie haben mich traumatisiert. Als ich ihnen das Blut zwischen meinen Beinen zeigte, sagten sie: 'Das ist Tomatensoße'. Ich würde nur etwas vortäuschen. Sie haben mir mein Kind aus dem Bauch herausgeprügelt und es in den Müll geworfen, zusammen mit OP-Handschuhen, Spritzen und anderem medizinischen Abfall. Und man hat mir nicht mal erlaubt, mein Kind zu begraben."
Auch ihre zweite Haftstrafe kann Stella Nyanzi nicht brechen: "Trotz all des Leids und der Folter, die ich ertragen musste, feiere ich heute", so Nyanzi. "Ich feiere, dass man mich eingesperrt hat, denn zum ersten Mal in der Geschichte Ugandas, hat es eine Frau geschafft, das Rechts- und das Strafvollzugssystem auszunutzen, um den Machthabern die Meinung zu sagen und die Regierung bloßzustellen und in Verlegenheit zu bringen." Nyanzi spielt hier unter anderem darauf an, dass sie während ihrer unzähligen Verhandlungen wortgewandte Tiraden losgeschossen und aus Protest ihre Brüste entblößt hatte.
In Deutschland wolle sie nun die Ruhe und den Frieden nutzen, um das Erlebte künstlerisch zu verarbeiten: 305 Gedichte für 305 lange Tage im Hochsicherheitsgefängnis. Bereits 2020 veröffentlichte sie einen ersten Band mit Gedichten aus dem Gefängnis. Auf ihren Profilen in den Sozialen Netzwerken ist sie weiterhin aktiv und setzt ihren unermüdlichen Kampf für die Freiheit fort. In den vergangenen Tagen hat sie sich auch Solidaritätskundgebungen für die Ukraine angeschlossen.
Neuanfang in München
Stella Nyanzi ist Aktivistin durch und durch, aber auch eine alleinerziehende Mutter, die um die Sicherheit ihrer Kinder bangen musste: "Mein größtes, vielleicht mein einziges Bedauern verspüre ich für jede Nacht, die ich getrennt von meinen Kindern verbringen musste", gesteht sie im Gespräch mit der DW. "Jede Nacht, die ich auf meiner Matte auf dem Gefängnisboden verbrachte, habe ich mich gefragt: Haben meine Kinder etwas zu essen? Haben meine Jungs gebadet? Und ihre Hausaufgaben gemacht?"
Maximal drei Jahre darf Nyanzi mit ihrem PEN-Stipendium in Deutschland bleiben. Doch so weit in die Zukunft mag die Feministin derzeit noch gar nicht denken. Ihre Hauptsorge besteht nun darin, für ihre Kinder eine gute Schule zu finden. Ihre 15-jährigen Zwillinge hat sie bereits im Fußballverein angemeldet, ihre 17-jährige Tochter fürs Schwimmen. Ein Anfang und ein Stück Normalität.